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Der Magier des Filmnordens

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DIE BEHANDLUNG EINES UNGEWÖHNLICHEN WERKES mag eine ungewöhnliche Einleitung rechtfertigen.

„ und da es das siebente Siegel auftat, ward eine Stille in dem Himmel bei einer halben Stunde.

Und sieben Engel, denen sieben Posaunen gegeben waren, hatten sich gerüstet, zu posaunen.

Und der erste Engel posaunte, und es war ein Hage! und Feuer, mit Blut gemengt, und es fiel auf die Erde; und der dritte Teil der

Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte.

Und der andere Engel posaunte; und es fuhr wie ein großer Berg mit Feuer brennend ins Meer, und der dritte Teil des Meeres ward Blut.

Und der dritte Teil der lebendigen Kreaturen im Meer starben, und der dritte Teil der Schiffe wurde verdorben.

Und der dritte Engel posaunte: Und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel und fiel auf den dritten Teil der Wasserströme und über die Wasserbrunnen.

Und der Name des Sterns hieß Wermut. .. und viele Menschen starben von den Wassern, weil sie so bitter geworden “

Wie kann man es wagen, in einer Zeit, da das inhaltsschwere künstlerische Wort kaum mehr eine Chance hat, sich Gehör zu verschaffen, da

vorgeblich nur leichtes und leichtestes Unterhaltungsgut die aufgewandte Mühe rentiert, da für die große Mehrheit der Zeitgenossen Fernsehschirme und Musikboxen die einzigen Kulturvermittler geworden sind, wie kann man es in einer solchen Zeit wagen, die erschütternden Verse der Offenbarung des Johannes in den Mittelpunkt eines modernen Films zu setzen? Man kann sich das Hohngelächter jener Manager in den modernen Traumfabriken vorstellen, von denen zwölf auf ein Dutzend gehen.

UND DANN WAGT ES DENNOCH EINER, und als am dramatischen Höhepunkt des Werkes diese Worte, einfach und ungekünstelt, gelesen wurden, und als die Augen der Zuhörer in der Szene davon zeugten, daß sie die Schritte dessen näherkommen hörten, dem keiner entgeht, da wußte man, daß diese Worte und das künstlerische Wollen, das sich ihrer bediente, den Griff um die Herzen der Menschen noch nicht verloren haben. Aber man muß ihn eben haben, diesen Griff! Ingmar Bergman, der schwedische Filmmann, hatte ihn in seinem Werk „Das Siebente Siegel“, dem Film, der ein Welterfolg wurde und seinem Schöpfer einige der angesehensten Preise aus der Welt der flimmernden Leinwand einbrachte. Doch „Das Siebente Siegel" war nicht der einzige Film, der von einem unkonventionellen, kühnen, oft schockierenden, aber immer in seltsamer Weise gefangennehmenden Filmschaffen zeugte. Und auch den zeitlich letzten Werken fehlte nicht jene faszinierende Originalität, die zu einem Signum Bergmanscher Filmarbeit geworden ist.

NACH DEN FILMEN „Am Ende des Tages“, „Das Siebente Siegel“. „Das Gesicht“ und „Die Jungfrauenquelle" ist es modern geworden, über den eigenwilligen jungen Schweden zu schreiben. Der deutsche Sprachkreis hat dabei allerdings noch kaum einen bemerkenswerten Beitrag geleistet — den Deutschen scheint es sonderbarerweise schwerzufallen, zum kulturellen Norden einen echten Kontakt zu finden — doch in England, Amerika. Frankreich und natürlich auch in Skandinavien erschienen in der letzten Zeit einige sehr bedeutungsvolle Essays und Bücher, die sich bemühen, das Phänomen Bergman zu verstehen und zu durchleuchten.

Soweit es sich um den Umfang der Werke handelt, ist die Aufgabe leicht. Der heute erst

42 Jahre alte Ingmar Bergman schriet bisher 15 Theaterstücke, zeichnete für etwa 30 Filme verantwortlich — als Manuskriptverfasser oder als Regisseur — und leitete 80 Inzenierungen auf Bühnen in Hälsingborg, Stockholm, Malmö und Göteborg. Den Anfang machte der damals neunzehnjährige Student als Regisseur einer Laienspielgruppe des Christlichen Studentenverbandes in Stockholm. Man gab, nach einer viele Monate erfordernden Einstudierung, Vanes' „Nach einem fremden Hafen", und zwar im Andachtsraum der Kirchengemeinde (wobei Bergman durch seine Forderung, den Predigtstuhl abzureißen, die Mitglieder der Gemeinde in Schrecken und Ent-

rüstung versetzte), und das nächste Ziel ist das Königlich-Dramatische Theater in Stockholm. Fürwahr ein steiler Aufstieg seit den letzten Jahren des zweiten Weltkrieges!

Erste Preise in Berlin, Cannes, Venedig, Kopenhagen und Helsinki blieben nicht aus. Das letzte Festival in Cannes brachte den Ehrenpreis der Filmkritiker für den ebenso erschütternden wie gewagten Film „Die Jungfrauenquelle“. Alles das sagt manches über die Weltgeltung und den äußeren Erfolg, aber noch nichts über die Ursachen der Wirkung, die Bergmans Filme haben.

ES GIBT KRITIKER, die bei ihrer Betrachtung die starke religiöse Note in vielen Bergman- Filmen in den Vordergrund rücken. Dieser religiöse Einschlag rührt kaum von Bergmans Herkunft her — sein Vater war Pfarrer — und sicher auch nicht von seinem Debüt als Theaterleiter im christlichen Master Olofsgärden in Stockholm, sondern von seinem leidenschaftlichen Anteilnehmen an den wahrhaft großen

Schicksalsfragen der Menschheit, die in ihrem innersten Kern religiöse Fragen sind, für den, der sie so zu verstehen versucht und hofft, hier eine Antwort gefunden zu haben Religiös bedeutet hier vor allem tiefe Hingabe, Glaube und Hoffnung, aber auch ihre Gegenpole Zweifel und Verzweiflung. „Wenn Ingmar Bergman mit dem Teufel ringt“, sagen skeptische Kritiker, „dann

gewinnt immer der Teufel!“ Dieses Ringen um die Wahrheit und die Erlösung wird immer wieder von neuem aufgenommen, aber es führt nicht zum Ziel. Bergman ist immer ein Wanderer und ein Suchender, und so will er im Grunde genommen auch verstanden werden. Man rätselte unendlich viel um das Phänomen Bergman herum und übersah dabei die einfache klare Antwort, die in einigen seiner großen Filme bereits gegeben worden war. So sagt Spegel, ein versoffener Schauspieler, in dem Film „Das Gesicht“ :

„Ich habe in meinem Leben e i n Gebet gebetet: Brauch mich, verwende michl — Der

Herr aber verstand nicht, was für ein starker und untertäniger Diener ich gewesen wäre. So ging ich ungebraucht. Das aber ist auch eine Lüge '..

Und an einer anderen Stelle läßt er Spegel sagen:

„Schritt für Schritt für Schritt setzt man ins Dunkel hinein fort. Die Bewegung selbst ist die einzige Wahrheit!“

Niemand wird behaupten wollen, daß dies die Gelassenheit eines gläubigen Christen ist, der bereits die Antwort auf alle Fragen gefunden

hat, ganz sicher aber ist es die Aussage eines um die Wahrheit Ringenden. Vom ersten Film „Hetze“ (1944) angefangen über „Hafenstadt“ (1948), „Einen Sommer lang“ (1951), den „Siebenten Siegel“ (1956) bis zum „Ende des Tages" und zur „Jungfrauenquelle“ merkt man dieses Streben und Mühen und das ehrliche Pathos eines Suchenden. Und immer geht es auch darum, das Publikum aufzurütteln und zu engagieren. So entstand das „Siebente Siegel“, eine erschütternde Geschichte aus der Pestzeit des Mittelalters, in der Zeit der schärfsten Auseinandersetzungen über die Frage der Verwendung von Atomwaffen. Es ist unschwer zu erkennen,

daß die eingangs zitierten Verse aus dem Buch der Offenbarungen hier als Warnung und Parteinahme angesehen werden können.

UM DAS ERSTREBTE ZIEL ZU ERREICHEN, erweist sich aber Bergman oft vollkommen skrupellos. Nach ihm sind alle Wege erlaubt, die zum Erfolg führen, und die gefahrvollsten erscheinen ihm oft als die einzig möglichen:

„Seinem künstlerischen Gefühl in allen Dimensionen zu folgen, ist so gefährlich, daß man jeden Augenblick hinunterfallen und sich das Genick brechen kann, und dann sagen alle vernünftigen und moralischen Leute: ,Sieh, da liegt der Dieb, der Mörder, der Hurenbock, der Lügner Es war am besten so!" Niemand denkt daran, daß die Schaffensfreude, die eine schöne Sache ist, immer mit dem Greuel des Schaffens bemengt ist, der notwendig ist. Man kann soviel wie möglich Beschwörungen lesen, seine Demut vergrößern und seinen Hochmut vermindern, so gut man kann, eine Tatsache bleibt immer bestehen: seinem künstlerischen Gewissen zu folgen, ist eine ins Fleisch eingebrannte Perversität. Die Schlußsumme wird dieselbe, wie man auch rechnet. Erst beim absoluten Schmelzpunkt des Ichs entsteht eine Legierung zwischen Glauben und Unterwerfung, was künstlerische Selbstklarheit genannt wird. Ich will keineswegs behaupten, daß ich mich an diesem Punkt befinde, aber er ist mein einziges Ziel, und ich versuche die Kompaßrichtung einzuhalten, so gut ich kann “

Bergman sagte einmal, daß nach seiner Ansicht die Kunst viel verloren habe, als sie von der Kulthandlung geschieden wurde. Das Inkognito des Künstlers war eine gute Sache. Seine Anonymität war eine Garantie gegen äußere Einflüsse, gegen materielle Rücksichten und Prostitution. Man schuf sein Werk in Geist und Wahrheit, so gut man es vermochte, und übergab es dn Besteller oder dem HERRN. So lebte man und starb wie jeder andere tüchtige Handwerker.

Und hier Ingmar Bergmans „Testament":

„Ich will ein Handwerker sein beim Bau der Kathedrale. Ich will aus dem Stein einen Drachenkopf heraushauen, einen Engel oder einen Teufel, denn als Künstler und Handwerker habe ich gelernt, Glieder, Gesichter und Körper aus Stein zu formen. Um das Urteil der Welt oder der Nachwelt kümmere ich mich nicht. Ich bestehe aus einem Vornamen und einem Nachnamen, die nirgends eingemeißelt sind und die verschwinden werden, wenn ich selbst verschwinde!“

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