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INGMAR BERGMAN SEHR ALLEIN

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EINE DER GROSSEN SCHWEDISCHEN WOCHENZEITUNGEN stiftete im Jahre 1956 einen eigenen schwedischen Filmpreis, eine Statuette Stillers, des berühmten Regisseurs der zwanziger Jahre, dem die Welt die Entdeckung Greta Garbos zu verdanken hat. Dieser „schwedische Oscar“ sollte jedes Jahr dem Schöpfer eines hervorragenden Filmwerkes verliehen werden als

Ansporn und Ermunterung für eine neue Avantgarde des schwedischen Films.

Im vorigen Jahr ist nunmehr dieser Preis nicht verliehen worden. Sind seine Stifter gleichgültig geworden gegenüber dem Geschehen in Schwedens Traumfabriken? Verwirrte sie die Fülle dargebotener Spitzenfilme? Die Wahrheit lautet, daß sie nicht ein einziges Produkt gefunden hatten, das einer Auszeichnung würdig gewesen wäre!

UND INGMAR BERGMAN? fragt der erstaunte Filmkenner. Hat er nicht zwei Jahre hintereinander den Oscar für den besten ausländischen Film erhalten? Laufen nicht die Filme „Wilde Erdbeeren“, „Die Jungfrauenquelle“ und „Das siebente Siegel“ vor vollen Häusern?

Der Einwand ist berechtigt. Bergman gehört zur Weltelite des Films. Aber Bergman ist leider ein Riese unter Zwergen in einer dem Anscheine nach sterilen Landschaft; er ist eine einsame Säule in einem verwitternden Tempel, durch dessen Hallen hohl die rhetorische Phrase scheppert und das seichte Geplapper munter schäkernder Film-Twens. Ingmar Bergman ist sehr allein!

DAS LAGER DER FILMPRODUZENTEN sieht die Ursache für diesen Zustand im Verhalten der Staatsmacht gegenüber dem Film. Eigentlich sei es ein Wunder — so sagt man auf dieser Seite —, daß der schwedische Film den doppelten Schlag der harten Besteuerung und des Fernsehens überlebt habe. Die Filmindustrie bezahlt jährlich sieben Millionen Kronen Vergnügungssteuer, zurück erhält sie an Unterstützungen 1,5 Millionen. Die 5,5 Millionen, die ihr genommen werden, würde sie dringend zur Anschaffung neuer Apparaturen brauchen. Ingmar Bergman erzählte kürzlich, daß die „Svensk Filmindustrie“ seit acht Jahren keine Kamera mehr kaufen konnte, denn eine solche koste 110.000 Kronen, und „ ... für Filmkameras gilt dasselbe wie für Seidenstrümpfe: man muß zwei davon kaufen, wenn man etwas davon haben soll, und das können wir nicht“. Man arbeite mit einem vorsintflutlichen Tonaufnahmegerät, erzählte er weiter, und die Kameras müsse man mit Pferdedecken umwickeln, damit der Lärm, den sie machen, nicht jede Aufnahme zerstöre: „Wir hatten einige Polen hier zu einem Studienbesuch, sie haben sich beinahe krank gelacht, als sie sahen, mit welchen Werkzeugen wir arbeiten!“'

ES FEHLT VOR ALLEM an Ausbildungsmöglichkeiten. Junge, vielversprechende Regisseure — und solche besitzt zweifellos der schwedische Film — müssen sich in der praktischen Arbeit erproben und an ihr wachsen, sie müssen Filme machen! Der junge Regisseur Abramson machte einen solchen Film: „Briggen Tre Liljor“ („Die Brigg .Drei Lilien' “); der Film kostete 700.000 Kronen und spielte 200.000 Kronen ein. Der Nettoverlust betrug eine halbe Million Kronen, doch der schwedische Film bekam einen neuen großen Filmschöpfer! Es fehlen Studienmöglichkeiten, eine Filmhochschule, eine gezielte staatliche Förderung — und Investitionsgelder! Die verantwortlichen Regierungsstellen wissen, daß manche dieser Klagen berechtigt ist. Eine zentral geleitete Förderung des Films, des Theaters und des Musikschaffens soll eingerichtet, eine Hochschule für Film und Fernsehen soll errichtet werden, es kommt nur darauf an, ob alle diese schönen Einrichtungen das Licht der Welt erblicken, bevor sich der Vorhang über den schwedischen Film für immer gesenkt hat

„GEBEN SIE DEM SCHWEDISCHEN FILM in der heutigen Situation noch eine Chance?“ fragte man Ingmar Bergman nach der Verleihung des Oscars für den Film „Wie in einem Spiegel“. „Ist der schwedische Film von neuem auf dem Weg zu einem neuen Höhepunkt?“

„Ja!“ lautete die klare Antwort. „Jedenfalls hoffe ich, daß es so ist. Nach allen Zeichen zu urteilen, befindet sich der schwedische Film gerade jetzt in einer entscheidenden Periode des Umbruches. Wir stehen in einer Situation, in der über Leben oder

Tod des schwedischen Filmes entschieden werden muß. Es geht nun darum, ob der schwedische Film die Chance bekommen wird, einen Riesensprung vorwärts zu tun, ober ob er erstarren, im Sprunge stürzen und sterben soll...

Wir glauben trotz allem an eine neue Morgenluft. Wir wenden uns an ein junges Publikum, das fest verwurzelt ist in dieser Gegenwart und in der heutigen europäischen Situation. Die eska-pistische Tendenz des Firmes haben wir ganz zur Seite geschoben!“

BERGMAN ERINNERTE EINMAL nach einer solchen Frage an die Entstehung der Kathedrale von Chartres, die, vom Blitz getroffen, niedergebrannt war. Von allen Ecken und Enden der Welt waren da Arbeiter, Künstler, Geistliche und Bürger gekommen, um sie wieder aufzubauen. Auf den Bau einer Kathedrale durch die vielen Anonymen und Unbekannten kommt Bergman immer wieder zurück: „Ich will zu den Künstlern der Kathedrale auf der großen Ebene gehören“, sagte er. „Ich will aus Steinen einen Drachenkopf hauen, einen Engel oder einen Teufel oder, mag sein, einen Heiligen. Ich forme aus Steinen Gesichter, Glieder und Leiber; um das Urteil der Nachwelt sorge ich mich nicht. Ein kleiner Teil von mir wird in der triumphierenden, anonymen Ganzheit weiterleben.“

DER ALLTAG DES SCHWEDISCHEN FILMS hat zweifellos trübere Seiten, als man draußen in der weiten Welt glaubt. In jener Welt, die das „Siebente Siegel“ bewundert, die „Wilden Erdbeeren“, „Das Lächeln einer Sommernacht“, die von der schaurig-schönen Saga der „Jungfrauenquelle“ gefangengenommen wird, die in „Wie in einem Spiegel“ sich selbst erkennt, und die binnen kurzem mit dem kleinen „Nils Holgersson“' über das Land fliegen wird. Schon diese Filmtitel weisen darauf hin, daß der schwedische Film wirklich einen kühnen Sprung nach oben gewagt hat, der ihm hohe Anerkennung, aber auch einen tödlichen Rückschlag durch die Unreife und Verständnislosigkeit eines breiten Publikums bringen kann Denn Statuetten braucht dieser Film nicht mehr, wohl aber (leider!) die Gunst des zahlenden Publikums, ohne die er nicht leben kannl

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