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Unter Tag

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Der Bergman ging unter Tag. 1960 drehte Ingmar Bergman ein Lustspiel (Humor ist, wenn Schweden „Ah!“ sagen), bewies damit, daß er auch Dinge kann, die ihm eigentlich nicht liegen, und FS 2 brachte das interessante „Teufelsauge“ unlängst als Reprise.

Zur Debatte steht, wie immer bei Bergman, ob Gott denn nun wirklich tot sei. Wenn Gott nämlich nicht definitiv tot ist, dann müßte die Schöpfung und alles Dasein sich am Ende doch noch als Komödie (als eine göttliche

Komödie) herausstellen, müßte sich als solche gestalten, ja sogar als Film drehen lassen. Weil aber auf dem Gipfel der Zivilisation, nämlich in Schweden, gescheite Leute der Ansicht sind, daß Gott ein für allemal tot ist, setzt Bergman sorglich seine Komödie unter ironische Anführungszeichen, läßt die Dinge also in Schwebe und die große Debatte, ob Gott nun tot sei, kann von vorne beginnen.

Bergman ging, wie gesagt, unter Tag und begann Drehbuch und Inszenierung in der Hölle. In einer barocken Hölle mit einem eleganten, ewig prasselnden Kaminfeuer, mit einem Zeremonienmeister und diskreten Hofschranzen, die unter ihren Allongeperücken formvollendete Kratzfüße nach strengster Versailler Etikette ausführen. Hinter einem verspielten, mit Chinoiserien bemalten Paravent vollzieht sich Don Juans Verwandlung in einen modernen Jüngling. Zur Stelle ist hier auch der nächst Luzifer abgefeimteste aller Teufel in Gestalt eines katholischen Mönchs.

Einfälle muß man haben und Bergman hat sie: Don Juan mitsamt seinem Pablo-Leporello wird höllischerseits — losgelassen auf eine schwedische Durchschnittsfamilie —, und wäre sie nicht überdies eine Pastorenfamilie, sie wäre nicht von Bergman. Um alles vorwegzunehmen: Don Juan und (halb und halb auch) Pablo-Leporello scheitern natürlich. Scheitern, weil die farbige, faszinierende Dämonie des Südens an nordischer Unkompliziertheit scheitern muß. Wie sollte man einander nicht mißverstehen? Die ganze Ostsee liegt dazwischen.

Es beginnt damit, daß Europäer aus mittleren und südlichen Breiten hinter nordischer Vnkompliziertheit Mysterien und Vieldeutigkeiten vermuten, die nicht vorhanden sind. Vorhanden sind vordergründige Spinnereien, entstanden in allzulanger Winternacht und zur Schau getragen in der nicht endenden, orangegelben, milden Helligkeit des allzulangen Sommertages, der jeden zu hektischer Schläfrigkeit verführt.

Und es endet mit der Fassungslosigkeit des Südeuropäers vor dem schwedischen „Ehrlichkeits“-Komplex. Wissend um eigene und fremde Abgründe und gewohnt, mit barmherzigen Höflichkeiten sich und anderen die immerhin wohlbekannten Abgründe des Daseins erträglicher zu machen, kann der Südeuropäef nie und nimmer begreifen, daß Schweden einander alles „ehrlich“ ins Gesicht sagen, kehrtmachen und glauben, damit seien alle Schrecknisse in perfekte, aufgeklärte Wohlfahrt verwandelt. „Unehrlich“ ist ja schließlich auch, wer nicht bestätigt, daß Gott tot sei.

Bergman ging unter Tag, setzte Anführungszeichen und wußte warum. Er kannte die Seinen.

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