Einer, der Lilien aus Kadavern wachsen ließ

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Es war klar, dass jemand wie Ingmar Bergman nicht mit 65 in Pension gehen kann. Nachdem er 1982 den Oscar für seinen Film Fanny und Alexander erhielt, verkündete der schwedische Regisseur seinen Rückzug vom Film. Doch bis zuletzt arbeitete Bergman weiter: Er widmete sich verstärkt dem Theater, schrieb Drehbücher für Bille August oder seine einstige Lebensgefährtin und Lieblingsschauspielerin Liv Ullmann, inszenierte etliche TV-Filme und setzte, zuletzt, mit Saraband (2004) gar seinen Welterfolg Szenen einer Ehe (1973) fort. Bergman, der sehr zurückgezogen auf der Ostseeinsel Farö lebte, blieb bis zum Schluss ein Schaffender, der über das Menschsein und das Individuum nachdachte.

Jetzt, mit 89, ist er gestorben, still, leise und zurückgezogen. Und dennoch: Sein Œuvre beschäftigt Filmemacher und Kinogänger immerfort und hat den zeitlosesten Status in der Filmgeschichte. Die Themen, die Bergman bewegten, drehten sich meist um existenzielle Fragen wie Tod, Einsamkeit, Liebe oder Glaube. Bergman inszenierte direkt, niemals stilisierend. Viele Geschichten-Ideen stammten aus dem eigenen Leben.

Bergman, der 1918 in Uppsala als Sohn eines Pastors zur Welt kam, drehte seine ersten Filme in den 40er Jahren, arbeitete aber auch als Theater- und Opernregisseur, und schrieb auch eigene Stücke. Sein filmisches Schaffen prägte die Filmgeschichte nachhaltig: Seinen Durchbruch hatte er 1955 mit Lächeln in einer Sommernacht, sein Film Wilde Erdbeeren (1957) rückte das Individuum in eine entfremdete Gesellschaft. Mit Das Schweigen (1962) löste Bergman einen Skandal aus, Kritiker befürchteten ob der freizügigen Sexszenen schon den Untergang der moralischen Weltordnung. Zu seinen Meisterwerken zählen auch Das siebente Siegel (1957), Persona (1966) oder Passion" (1969). 1970 erhielt Bergman den Oscar für sein Lebenswerk, 1997 die einzigartige Auszeichnung der "Palme aller Goldenen Palmen" in Cannes. Weltweit wird er als der bedeutendste Regisseur des 20. Jahrhunderts gefeiert. Mit Szenen einer Ehe schuf er seinen vielleicht berühmtesten Film: Die zerbrechende Filmehe seiner Protagonisten wies auch Parallelen zu Bergmans Privatleben auf: Als 31-Jähriger ließ er seine Frau Ellen und zwei Kinder in Schweden zurück, um mit einer Journalistin nach Paris auszureißen, wo er drei liebestrunkene Monate verlebte. Genau jene Affäre fand Eingang in Szenen einer Ehe.

Überhaupt hatte Bergman Probleme mit dem Treusein (sechs Ehen mit acht Kindern), aber auch mit den Behörden: 1976 wurde er wegen Steuerhinterziehung sogar verhaftet.

Von einem Bergman-Stil, wie ihn viele seiner Kollegen bewundern, kann man rückblickend nicht sprechen. Vielleicht aber von einem gemeinsamen Merkmal seiner Filme: Bergman war näher an der Zeit und ihren Themen als die meisten anderen. Michael Winterbottom, der zwei Dokus über Bergman drehte: "Bewundernswert ist die Einfachheit, die Tatsache, dass er sich ganz aufs Wesentliche konzentrierte und den übrigen Ballast abwarf." Dem britischen Guardian erzählte Bergman einmal, hinter den meisten seiner Filme stünden seine persönlichen Dämonen. "Aber ich habe gelernt, diese Dämonen zu zähmen und sie zu meinem Vorteil einzusetzen", sagte Bergman. Sein Trick: Schönheit aus dem Hässlichen zu gebären. "Lilien wachsen oft aus den Gerippen von Kadavern".

Matthias Greuling

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