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QUERSCHNITTE

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Das Kinderkonto

Der Knabe, der am frühen Morgen des Sonntags, 11. Juli 1954, aus dem Tore der Kais’erjubiläumskirche zum heiligen Franz von Assisi am Erzherzog-Karl-Platz im zweiten Bezirke trat, schien sich bloß dem Zuge der Immer-Neugierigen anzuschließen, der teils zur Reichsbrücke, teils zum Uferstück rechts davon strömte. Dort gab es nämlich eine anziehende und wirkungsvolle Stelle, wo die Müßigen, von spielenden Hunden umtollt, auf der blanken Erde das Steigen der Wasserflut beobachteten. Dort stand sie gestern abends, hier ist sie heute früh — wo wird sie mittags sein? Stetig leckten die gelben Zungen, Reiser und Grasbüschel vor sich hinschiebend. Und einige Dutzend Meter davon entfernt, parkten vornehme Innenlenker und Motorroller, denen die Polizei, den Verkehrsvorschriften entsprechend, Halt auf der Brücke selbst verbot

Der Bub stand lange dort. Er sah weder die spielenden Hunde noch die Holzfischer noch die Limousinen und Roller. Sein Blick lag unverwandt auf dem Wasser. Es fror ihn, der nur mit Hemd und kurzer Hose und bloß- füßig dastand, anscheinend kaum. In der rechten Hand hielt er etwas, das wie ein

Leinensäckchen aussah, das vielleicht früher einmal ein Tabaksbeutel gewesen sein mochte. Und dann, endlich, ging der Bub. Langsam über den weiten Platz, die Reichsbrückenstraße entlang.

Bei der Nummer sechs, wo ein Postkasten hängt, machte er halt. Er stellte sich auf die Zehen, um den Briefschlitz zu erreichen. Und da konnte der Beobachter erkennen, was in der kleinen Faust lag: es war wirklich ein Leinensäckchenr, nicht mehr ganz sauber, in dem Zehngroschenmünzen klimperten. Neun Stück waren es. Sie wollte der Bub, wie von Automaten bekannt, in den Briefschlitz stek- ken. Auf die Frage, was er denn damit wolle, antwortete er ohne Verlegenheit, selbstsicher, etwas erstaunt, daß man es nicht wisse: „Aufs Konto von der Post, wie ich’s bei der Nachbarin im Radio g’hört hab’ “

Er meinte nämlich das Postsparkassenkonto, auf dem die Geldspenden für die Hochwasseropfer eingezahlt werden sollen.

Der Kleine weigerte sich entschlossen, seine 90 Groschen zu behalten. Der Beob achter mußte ihm versprechen, sie richtig, aber wirklich richtig einzuzahlen.

Dem Fremden aber schien der Kleine mit einem Male größer.

Und beschämt wandte sich „der Große“ ab.

Frühe Phrase

Die Zeugnisse sind verteilt. Die Maturanten haben ihre beschwingten Elaborate abgegeben. Wenn man sich solche Arbeiten besieht, die doch, im Gegensatz zu den noch im Banne der Vorgesetzten stehenden der Hauptschul- Abschlußklassen, in Inhalt und Ausdruck schon eine eigene Note haben sollten, ist man oft überrascht von dem Schwulst, von der Phrase, von der Verkleinerung erkannter Uebel. Schlagworte, die zu unser aller Leid, Schmach, Trauer und Vernichtung über die Länder brachten, wuchern wieder — oder noch immer.

Einzelfälle? Ausnahmen? Leider nicht. Die Jahrestagung des Landesverbandes Bayrischer Zeitschriftenverleger in Rottach war beherrscht von der Rede des Staatsrates im Bayrischen Kultusministerium, Dr. Meinzolt; er bat die Verleger um ihre Unterstützung bei der Erziehung und Bildung der Jugend. Manches klang geradezu so, als habe es Landesschulinspektor Adalbert Stifter geschrieben: Man müsse sich „gegen die Verherrlichung der Phrase und die Verniedlichung der Lüge“ wenden. Solche Erscheinungen würden besonders deutlich in den Schulaufsätzen der Abiturienten.

Rottach ist eine kleine, etwa 2400 Einwohner zählende Gemeinde im Regierungsbezirk Oberbayern, am Tegernsee. Aber die Gemeinde derer, die am Ausmerzen der Phrase interessiert ist, liegt nicht bloß am gemütlichen Tegernsee und zählt nicht zweieinhalbtausend Menschen. Wie pikant, daß der Präsident des uns benachbarten Landesverbandes — Oesterreicher heißt!

Vielleicht haben wir bei unserer Unterrichtsverwaltung oder beim Presseverband einen Herrn, der Bayer heißt.

Dritte Dimension

Aus Hollywood wird bekannt, daß nun auch die Bibel dreidimensional verfilmt wird. MGM will Esther Williams als plastische „Susanne im Bade“ zeigen. Sie spielt die Hauptrolle und wird auf dem Höhepunkt des Films mit ihren Kolleginnen- in einer großen 3-D-Wasserparade brillieren.

Ihr Sprung ins Bassin ist aber nur der Startschuß für kommende große Dinge. Durch die Indiskretion eines enttäuschten Geheimtresorknackers, der statt Atomplänen nur ein dickes Dossier über die Absichten Hollywoods fand, sind wir zu sensationellen Enthüllungen imstande. Demnach planen die amerikanischen Firmen eine dreidimensionale Gesamtverfilmung der Bibel, die in vielen Fortsetzungen in Gemeinschaftsproduktion entstehen soll. Die Frage, mit welcher Bibelstelle man beginnen wird, hat bereit zu einer Entzweiung im Olymp der Filmmetropole geführt. Mister Goldmeyer wollte mit der Genesis beginnen und selbst die Regie dieses Streifens führen, während Cecil Bidemill zuerst das Paradies verfilmen will. Aus Rationalitätsgründen will man Goldmeyer bis zum nächsten Wasserstoffbombenexperiment warten und Bidemill den Vortritt lassen.

Wenn die „Susanne im Bade“ ein Erfolg wird, woran niemand zweifelt, wird die dreidimensionale Bibelverfilmung also mit dem Großfilm „Freuden des Paradieses“ fortgesetzt. Für die Hauptrollen sind Hildegard

Kleff und Marilyn Mannroe vorgesehen, doch wird es voraussichtlich vom Erfolg einer Abmagerungskur, der sich Marilyn derzeit unterzieht, abhängen, welche von den beiden Darstellerinnen in der Rolle der Schlange zu sehen sein wird. Auch die Handlung dieses einmaligen Filmwerks verdient Erwähnung. Die Filmarchitekten sind bereits mit den Entwürfen für die Bauten beschäftigt, denn ein Großteil des Films wird im Palast eines morgenländischen Sultans spielen. Der Poten tat wird regelmäßig von einem Traum heimgesucht: Er träumt, Adam und mit einer einzigen Frau, Eva, im Paradies zu sein. Mit der Zeit wird dieser Alptraum jedoch zu einem Wunschtraum und am Ende der Sultan zur Monogamie bekehrt. Wegen der Rolle des Adam verhandelt der Regisseur bereits mit Charles Lafton.

Ganz andere Wege geht der berühmte Regisseur Hitschglock, dessen spannende Werke auch bei uns ein Begriff sind. Er wird den Mord Kains an Abel in einem neuen psychoanalytischen Sinn interpretieren und in einem packenden Kriminalfilm in Vor- und Rückblendungen mehrmals vorführen. Außerdem kämpft Hitschglock um den Regieauftrag für sein Projekt „Vor der Sintflut“. Walt Disney macht ihm diesen Auftrag allerdings streitig, da er in der Arche den geeigneten Vorwurf für seinen ersten dreidimensionalen Trickfilm sieht.

Aus einer Bemerkung am Rand des erwähnten Dossiers geht hervor, daß keiner dieser beiden Sintflutfilme ernste Chancen hat, da der Auftrag insgeheim bereits an O’Flagerty vergeben wurde. O’Flagerty wird unter dem Titel „Nach der Sintflut“ einen großen Naturfilm drehen, der teils in freier afrikanischer Wildbahn, teils in einer Insektenfarm entstehen soll.

Ueberhaupt findet das Sintflutthema sehr großen Anklang in der amerikanischen Film- ‘welt, denn auch Hemingweck arbeitet an einem Manuskript, das er einem unabhängigen oder einem ausländischen Konkurrenzunternehmen übergeben will. In diesem Manuskript stellt er den ersten Ehestreit im Hause Noah realistisch dar. Für die Rolle des Noah ist der Oesterreicher Paul Hubschraub in Aussicht genommen, seine Gattin soll Marlene Nachschlüssel spielen. Marlene hat dem Drehbuchautor zuliebe bereits zugesagt und meinte in einem Spezialgeheiminterview: „Schließlich habe ich Erfahrungen als Dompteur!“

Soweit die Enthüllungen des Geheimdossiers. Leider hat es sich mittlerweile als Fälschung entpuppt. Die amerikanischen Filmfirmen legen Wert auf die Feststellung, daß Pläne für eine zusammenhängende Bibelverfilmung nicht vorliegen und daß sie weitere Bibelfilme unabhängig voneinander drehen werden. Dem findigen Fälscher allerdings hat eine der Firmen bereits einen Dauerposten als Drehbuchautor für Bibelverfilmungen angeboten.

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