Überraschende Empfehlungen

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Einst wetterte der Vatikan gegen manche Leinwandwerke, heute empfiehlt er einige dieser Filme als kulturelle Wegweisung.

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Einst wetterte der Vatikan gegen manche Leinwandwerke, heute empfiehlt er einige dieser Filme als kulturelle Wegweisung.

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Papst Johannes Paul II. sieht auch in den modernen Medien Mittel zur Verkündigung des Glaubens, der Rechte des Menschen und der geistig-geistlichen Werte. Mehrfach hat er die zu Kongressen in Rom versammelten Journalisten und Filmschaffenden zum Dialog mit der Kirche aufgerufen und während des Kongresses "Das Kino als Träger der Spiritualität und Kultur" den wertvollen Beitrag, den der Film zum Wirken der Kirche leisten kann, betont. Auch im Jahr 2000 wird im Vatikan wieder ein Symposium über die Rolle des Films stattfinden.

Der "Päpstliche Rat für die sozialen Kommunikationsmittel" hatte zum Jubiläum "100 Jahre Kino" 45 Filme aus den 6.000, die die vatikanische Filmothek besitzt, ausgewählt. Sie werden auch den Pilgern, die Italien im Jahr 2000 erwartet, als religiöse und kulturelle Wegweisung empfohlen. Die subjektive Auswahl beruht auf der eindeutigen Evidenz eines Filmes, auf Meinungsumfragen und auch auf dem persönlichen Geschmack der Experten des Vatikans. Die Liste über "Einige bedeutende Filme" ist in drei Abschnitte gegliedert.

Von Pasolinibis "Ben Hur" Im Abschnitt Religion ist der Stummfilm "Die Passion der Jungfrau von Orleans", ein Werk des Dänen Carl Theodor Dreyer, dessen Schaffen religiösen Themen galt. Das Meisterwerk des russischen Regisseurs Andrej Tarkowskij über den russischen Ikonenmaler Andrej Rubljow entstand in der Sowjetunion und durfte dort erst 1971, zwei Jahre nach seiner Fertigstellung, gezeigt werden. Weiters sind vertreten "Franziskus, der Gaukler Gottes" von Roberto Rosselini und "Nazarin" (1958/59) von Luis Bunuel, dessen zwei Jahre später gedrehter Film "Viridiana" nach einer scharfer Kritik im "Osservatore Romano" einen veritablen Skandal hervorrief. Weitere Empfehlungen im Abschnitt "Religion" sind - für viele erstaunlich - die Filme "Babettes Fest" von Gabriel Axel, "Ein Mann zu jeder Jahreszeit" von Fred Zinnemann, und "Ben Hur", das Remake eines bekannten Stummfilms durch den Austroamerikaner William Wyler im Jahr 1959. Dieser Kolossalfilm mit 5.000 Komparsen ist vor allem durch den Aufwand bekannt geworden, mit dem er alle bis dahin gedrehten Filme übertraf.

Umstritten war die Aufnahme des Filmes "Das 1. Evangelium - Matthäus" in die vatikanische Liste, denn für viele Katholiken war 1964 die unkonventionelle Darstellung des Lebens Jesu durch den bekennenden Atheisten und Marxisten Pier Paolo Pasolini ein Stein des Anstoßes. Trotzdem hat der Regisseur den Film der "gütigen, fröhlichen und leutseligen Erscheinung Johannes XXIII." gewidmet. Der italienische Regisseur Franco Zeffirelli beklagte, daß man seine Filme "Jesus von Nazareth" und "Bruder Sonne, Schwester Mond" nicht nominiert hatte; weit mehr zu bedauern ist das Fehlen der Verfilmung von Georges Bernanos' "Tagebuch eines Landpfarrers", die das ergreifende Ringen eines katholischen Priesters um die Gnade des Glaubens in einer heillosen Welt schildert.

Transzendenz und Werte: "Fahrraddiebe" Zu den Filmen zum Thema Transzendenz und Werte zählt der Vatikan die Meisterwerke "Gandhi" von Richard Attenborough, Vittorio de Sicas "Fahrraddiebe", Roberto Rossellinis "Rom, offene Stadt", Steven Spielbergs "Schindlers Liste", Elia Kazans "Die Faust im Nacken" und den japanischen Film "Uzala, der Kirgise" des "Rashomon"-Regisseurs Akira Kurosawa. Der Schwede Ingmar Bergman ist mit den Filmen "Wilde Erdbeeren" und "Das siebte Siegel" vertreten. Vergessen scheint, daß sein Film "Das Schweigen" mit seiner provozierenden Darstellung der Sexualität 1963 stürmische Proteste ausgelöst hatte. Den Stummfilm "Intolerance" (1916) des Amerikaners David W. Griffith, der die Ausbeutung von Arbeitern anprangert, hat Lenin durch seine Agitatoren jahrelang in der Sowjetunion verbreiten lassen. Die sowjetischen Regiegrößen Sergej Eisenstein und W. I. Pudowkin haben daher Griffith manche Anregung zu verdanken.

Dracula undCharlie Chaplin Zu den 15 Filmen, die Meisterwerke der Filmkunst repräsentieren, zählen die Stummfilme "Napoleon" von Abel Gance, "Metropolis" des lange in Berlin tätigen Österreichers Fritz Lang und der Dracula-Klassiker "Nosferatu" von Friedrich Wilhelm Murnau. Zu den Tonfilmen gehören die Klassiker "Modern Times" von Charlie Chaplin, "Der Leopard" von Luchino Visconti, "Citizen Kane" von Orson Welles und "La grande Illusion" von Jean Renoir, dem Sohn Auguste Renoirs. Der päpstliche Medienrat hat ferner zwei Filme Federico Fellinis, "La Strada" und "8 1/2", nominiert, obwohl der Regisseur in vielen seiner Filme wenig rücksichtsvoll mit der katholischen Kirche umgegangen ist. Vor allem "La Dolce Vita" mit der Schilderung des Rummels um eine vorgetäuschte Marienerscheinung hat 1959 einen handfesten Skandal provoziert.

Die 45 "Oscars", die der Vatikan Filmen aus unserem Jahrhundert im Blick auf das Millennium verliehen hat, widerspiegeln nicht die Erwartungen seiner Kritiker. Vielleicht sind sie deshalb so wenig bekannt.

Der Autor ist Publizist und lebt in München.

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