pasolini - © Getty Images / Jean-Regis Rouston / Roger Viollet

Pier Paolo Pasolini: Besessen – von Gott und der Welt

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Katholisch bis ins Mark, aber kirchenfern. Kommunist, von den Genossen erst am Grab rehabilitiert. Offen schwul lebend – und den Hedonismus der Zeit geißelnd. Zu Pier Paolo Pasolinis 100. Geburtstag.

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Katholisch bis ins Mark, aber kirchenfern. Kommunist, von den Genossen erst am Grab rehabilitiert. Offen schwul lebend – und den Hedonismus der Zeit geißelnd. Zu Pier Paolo Pasolinis 100. Geburtstag.

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Sei also ein Besessener
der kein Heilmittel sucht.

Das Unerlaubte sitzt dir im Herzen
und nur dies gilt.
Lach über die natürlich
tausendjährige Scham.

Obige Zeilen aus „L’ille­cito/Das Unerlaubte“, das sich in seiner – auf Deutsch längst vergriffenen – Gedichtsammlung „Die Nachtigall der katholischen Kirche“ findet, könnten über dem Leben von Pier Paolo Pasolini stehen, der am 5. März 100 Jahre alt geworden wäre.

Der Lyriker Pasolini war im deutschen Sprachraum unvollständig präsent. Erst im Vorjahr erschienen die von Theresia Prammer (neu) übersetzten „Späten Gedichte“ im Band „Nach meinem Tod zu veröffentlichen“ – eine wesentliche Abrundung von Pasolinis Œuvre. Der Titel entstammt einem Gedicht von 1969:
Der naheliegendste Titel wäre freilich „Nach meinem Tod zu veröffentlichen“,
aber wie könnte ich der Versuchung wider­stehen, es schon vorher zu tun?

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Auch wenn vor allem seine Filme an Pasolini erinnern, so war er viel mehr: ein begnadeter Pä­dagoge, Linguist und Kämpfer für das Friulanische, ein Dichter, Romanschriftsteller, Drehbuchautor, Schauspieler, politischer Essayist, Maler und eben Schöpfer von zwei Dutzend Filmen in nur 14 Jahren.

Ein intellektueller Tausendsassa, der sich jeder Einordnung entzieht: Die katholische Kirche, mit der er brechen musste, prägte ihn nachhaltig – und ließ ihn nicht los. Die Kommunistische Partei, der er 1947 in Friaul, wo er als junger und beliebter Lehrer tätig war, beitrat, schloss ihn schon zwei Jahre später wegen seiner Homosexualität aus. Erst an seinem Sarg gab ihm die KPI das Parteibuch zurück.

Auf Pasolini passte keine gängige Kategorie: Für die katholische Kirche war er ein Ketzer, einer mit inakzeptablem Lebenswandel, der ihre sexualmoralisch-neurotischen Standards nicht nur nicht lebte, sondern mit seinen Werken auch hinterfragte. Interessanterweise war auch für die kommunistische Bewegung die „zweifelhafte“ Moral Pasolinis nicht tragbar, und als dann im Gefolge der 1968er der sexuelle Rigorismus bei den Linken aufbrach, wurde Pasolinis Nonkonformismus schnell als reaktionär gebrandmarkt.

Pier Paolo Pasolini: ein intellektueller Tausendsassa, ein heiliger Ketzer, der sich jeder gängigen Einordnung entzieht.

Nachdem Pasolini wegen seiner Homosexualität 1949 Friaul verlassen hatte und mit seiner Mutter nach Rom gezogen war, interessierte er sich fürs Subproletariat in den Borgate, den Vorstädten Roms. Diese Menschen beschrieb er in Romanen wie „Ragazzi di Vita“ – sowie ab 1961 im Film.

Religiöse Motivik ist hier von Anfang übermächtig. Schon sein erster Film „Accatone“ (1961) ist eine moderne Passionsgeschichte über einen kleinen Zuhälter, der um Erlösung schreit. Dass Pasolini zur Unterstreichung der christlichen Folie, auf der er agierte, den Film mit Musik aus Bachs „Matthäus­passion“ unterlegte, löste einen Skandal aus. Zwei Jahre später wurde Pasolini für seinen Kurzfilm „La Ricotta – Der Weichkäse“ gar zu vier Monaten auf Bewährung verurteilt – wegen „Verunglimpfung der Staatsreligion“.

„La Ricotta“ ist eine Persiflage auf Bibelverfilmungen: Eine Filmtruppe stellt unter der Leitung eines von Orson Welles gespielten Regisseurs die Kreuzigungsszene zweier Renaissancemaler filmisch nach: ein absurdes Scheitern. Parallel dazu erzählt der Film die Geschichte von Stracci, dem Komparsen des rechten Schächers, der seine Familie kaum ernähren kann. Nach vergeblichen Versuchen, an Essen zu kommen, stopft dieser Stracci einen Laib Ricotta in sich hinein, um danach für die Filmszene wieder aufs Kreuz zu steigen, wo er elendiglich krepiert. Die beißende Sozial­kritik Pasolinis geht auf, indem ihm der Prozess gemacht wird. Interessant allenfalls, dass die katholische Kirche den Film nicht verbot – das Gerichtsverfahren wurde von rechten Kräften angezettelt, die Pasolini lebenslang nachstellten.

„Verunglimpfung der Staatsreligion“

Kirchlichen Protest gab es hingegen gegen den Film „Teorema“ 1968. Nicht mehr das Subproletariat ist das Anschauungsobjekt Pasolinis, sondern die Bourgeoisie: Eine Fabrikantenfamilie wird von einem geheimnisvollen Gast heimgesucht, der mit allen Frauen wie Männern sexuell verkehrt – und sie nach seiner Abreise orientierungslos zurücklässt. Diese göttliche Gestalt sehen katholische Obere als Blasphemie an, während die katholische Film­organisation „Teorema“ bei den Festspielen in Venedig auszeichnet.

Ein Film ragt aus Pasolinis „religiösem“ Werk besonders empor: „Das 1. Evangelium – Matthäus“ erzählt 1964 die Passion neu. Diesmal bleibt der Skandal aus: Pasolini widmet den Film Papst Johannes XXIII., und für die beim II. Vatikanum versammelten Bischöfe wird eine eigene Vorführung organisiert. Pasolinis „Matthäusevangelium“ ist bis heute Prototyp einer Bibelverfilmung, die süditalienische Landschaft der Basilikata, wo er mit Laienschauspielern drehte, gilt als ikonisches Vorbild für Jesusfilme. Die Sicht auf Jesus als Unangepassten, der eine verarmte und verhärmte Welt zum Heil führt, gehört zu Pasolinis prägenden Hinterlassenschaften.

Schuld und Erlösung sind in all diesen Filmen präsent. Bei Schuld kennt Pasolini keine Kompromisse – wie im Gedicht „An einen Papst“, in dem er Pius XII. vorwirft, blind
gegen das Elend gewesen zu sein:
Unter deinem Pontifikat haben vieltausend Menschen,
vor deinen Au­gen gelebt in Ställen und Koben.
Du wußtest genau: Sündigen heißt nicht, Böses zu tun:
das Gute nicht tun, ist Sünde.
Wieviel Gutes konntest du tun! Und tatest es nicht: es gab
keinen größeren Sünder als dich.

In seinen letzten Lebensjahren verschrieb sich Pasolini dem Kampf gegen den Konsumismus, den er in seinen „Freibeuterschriften“ 1975 die „vom neuen System von Herrschaft gewollte Ideologie hedonistischer ‚Toleranz‘“ nannte, welche „die schlimmste aller Repressionen der Menschheitsgeschichte“ sei. Pasolini spricht in diesen Essays auch vom „Faschismus der Antifaschisten“, was enormen Widerspruch hervorrief.

Noch mehr eckte er, der seine Homosexualität auslebte, mit dem flammenden Plädoyer gegen die Freigabe der Abtreibung an, die er wegen der für ihn damit einhergehenden „sexuellen Permissivität“ entschieden ablehnte. Dagegen setzte er zunehmend auch auf eine dem Evangelium verpflichtete Kirche als Bollwerk gegen den Konsumismus, etwa im Gedicht „Pe­trus II.“:
... Wo das Christentum
nicht neu geboren wird, geht es zugrunde. Und wird,
eintausend und abertausend Mal durch meinen
unveräußerlichen Christus angedeuteter Widerspruch,
von irgendeinem wildgewordenen Herodes vertreten werden,
auf makabre Weise jeden Sinns für das Lächerliche bar.

Eines Zwiespältigen Leben

Pasolinis Ermordung am 1./2. November 1975 durch einen Strich­­jungen gilt als nicht endgültig aufgeklärt – und bot Stoff für Verschwörungserzählungen, aber auch fiktionale Auseinandersetzung wie Abel Ferraras Film „Pasolini“ (2015), der dem letzten Lebenstag dieses Jahrhundertzeitgenossen nachspürt .

In vielen seiner Gedichte spricht Pasolini über seinen Tod, dieses letzte Zeichen eines unbändigen Lebens:
Wie sagte Euripides: „Die Demokratie beruht
auf diesen einfachen Worten:

Wer kann seinem Vaterland ein paar sinnvolle Ratschläge erteilen?“
Meine Ratschläge werden die eines gemäßigten Wahnsinnigen sein.
Nach meinem Tod wird man mich daher auch nicht vermissen:
Der Zwiespalt besteht, solange der Zwiespältige lebt.


RADIOTIPP: Der unbändige Ketzer
Otto Friedrich über Pier Paolo Pasolini

Gedanken für den Tag
Bis 5.3., 6.56 Uhr, Ö1 • oe1.orf.at

nach-meinem-tod-zu-veroeffentlichen_cover - © Suhrkamp
© Suhrkamp
Buch

Nach meinem Tod zu veröffentlichen

Späte Gedichte
Von Pier Paolo Pasolini.
Aus dem Italienischen von Theresia Prammer.
Suhrkamp 2021.
640 S., geb.,
€ 43,20

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