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VERISMO?

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Seit Monaten diskutiert man in Schweden den Skandalfilm „491“.

Uber das Verlangen der Regierung war der Film in drei Abschnitten gekürzt worden — um 38 Meter oder um 84 Sekunden Spielzeit. Was übrigblieb, erfüllte kaum die Erwartungen jener Besucher, die gekommen waren, um erotische Sensationen zu erleben.

Als Filmerzählung ist Sjömans Opus dürftig, als Kunstwerk fragwürdig, als Milieuschilderung möglicherweise nicht ohne Verdienste, als Sozialreportage eine Serie von Knüppelschlägen: Es ergibt sich von selbst, daß ein Film, der so viel sein will oder soll, als Ganzes scheitern muß.

Unzweifelhaft ist „491“ eine beißende Kritik an der schwedischen Jugendfürsorge. Unfähige oder verlotterte Jugendpfleger, verlogene Moralisten und urdumme Polizisten wetteifern darum, dieser Gruppe entgleister Jugendlicher, die auf dem Weg in den Untergang sind, den letzten Funken Glauben an die Repräsentanten der Gesellschaft zu nehmen. Nirgendwo merkt man den ehrlichen Willen, den jungen Menschen zu helfen und sie aufzurichten: Alles ist Phrase. Unfähigkeit und Selbstgenügsamkeit. Auf dieser Seite muß man den Film wie einen Peitschenhieb empfunden haben.

Schildert nun „491“ tatsächlich die „Wirklichkeit“? Nein! So lebt der überwiegende Teil der schwedischen Jugend nicht. Anderseits besteht kein Zweifel daran, daß diese Probleme, diese nihilistischen und jede Ordnung auflösenden Tendenzen existieren. Uberfüllte Erziehungsanstalten und endlose Reihen von Straftaten sprechen eine deutliche Sprache.

Die jugendlichen Besucher über 18 Jahre sind von dem Film nicht besonders beeindruckt, viele Erwachsene dagegen sind tief schockiert und erschüttert, manche finden ihn widerwärtig und roh bis zum Exzeß.

Das Rotwelsch des Films ist zum Glück unübersetzbar: das Ausland wird also — wenn überhaupt — „491“ nur in gemilderter Form durchleiden dürfen.

Greta Garbo ist die berühmteste Darstellerin der Filmgeschichte, dem Namen nach auch der jüngeren Generation bekannt. Wer aber kennt noch ihre Filme? Wer aus der Generation unter vierzig Jahren kennt wirklich „Ninotschka“, „Anna Karenina“, Königin Christine“, den „Gelben Schleier“? Die Zeit ist reif für eine Garbo-Präsentation großen Stils. Und so kam es zu den großen landumfassenden Garbo-Festivals in Schweden.

Man rechnete nur mit einem mäßigen Erfolg. Seit den Tagen des ersten Garbo-Fiebers sind immerhin mehr als dreißig Jahre vergangen — und was für Jahre waren das! Vieles würde man heute anders darstellen, manches ist möglicherweise schon etwas wehmütig-altertümlich an diesen Filmen. Bedeutet die Garbo noch etwas?

Man unterschätzte das Publikum: Die Filme mit der Garbo wurden vor vollen Häusern gespielt, und für tausende junge Menschen vor allem wurden die unvergeßlichen Streifen mit John Gilbert, Robert Taylor und Charles Boyer zu einem großen Erlebnis.

Und so rollt nun die neue Garbo-Welle in Schweden von Stadt zu Stadt und verdrängt den üblen Beigeschmack, den einige auf Sensation aufgemachte Streifen der letzten Zeit hinterlassen haben. Es gibt schlimmere Wellen als diese! Abend für Abend erstrahlen sie nun von neuem, jene unvergeßlichen Sterne auf dem Filmhimmel, die alle zusammen doch nur ein Stern sind: Ninotschka, Anna Karenina, Maria Walewska, Königin Christine und die Kameliendame. Ihretwegen ist man geneigt, den jetzigen „Großen“ des schwedischen Films einige zeitbedingte kleine Sensationen zu verzeihen!

♦TTttradition und Ruhm'—möge-dieser-auch schon etwas ver- - A(' staubt' sein kfc-i verpflichten.IUnd so wird die erste Filmschule Schwedens unter den Eintrittsuchenden eine denkbar strenge Auslese vornehmen. Die Filmschule des Schwedischen Institutes wird die teuerste Schule des Landes und zugleich seine kleinste werden, denn die erste Jahresgruppe wird nicht mehr als zehn Schüler umfassen.

Bei der Auswahl spielen formelle Kenntnisse und abgelegte Examen nur eine geringe Rolle; die Hauptforderung an die Schüler wird ganz allgemein mit „Talent für den Film“ umschrieben. Die Prüfungskommission — zu der auch Ingmar Bergman gehört — ist schon auf Grund der geringen Anzahl Plätze gezwungen, streng zu prüfen. Die zweijährige Schule ist für den Besuchenden kostenlos, außerdem kann er mit ansehnlichen Studienunterstützungen rechnen. Es soll um die zehn Plätze tausend Ansuchen gegeben haben, und man muß sich fragen, ob diese exklusive Auswahl wirklich die beste Methode ist, neuen Begabungen den Weg zum Film zu eröffnen. Die Schule wird hohe staatliche Zuschüsse erfordern, zumal die praktische Filmarbeit einen großen Teil der Zeit in Anspruch nehmen soll.

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