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Das Phänomen Curd Jürgens

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Uber den sozialen, finanziellen, gesellschaftlichen Status dei Schauspieler ist im Laufe der letzten Jahrhunderte viel geschrie-ben worden, nicht hur Aufsätze, sondern Bücher, ja ganze Bibliotheken. Wenn heute ein paar Worte über dieses Thema gebracht werden, so weil es dank einem Mann wieder recht aktuell geworden ist: Curd Jürgens.

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Uber den sozialen, finanziellen, gesellschaftlichen Status dei Schauspieler ist im Laufe der letzten Jahrhunderte viel geschrie-ben worden, nicht hur Aufsätze, sondern Bücher, ja ganze Bibliotheken. Wenn heute ein paar Worte über dieses Thema gebracht werden, so weil es dank einem Mann wieder recht aktuell geworden ist: Curd Jürgens.

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Irgendwann einmal, vor vielen Jahren, galt mehr oder weniger überall auf der Welt jener berühmte Satz: „Hängt die Wäsche weg, die Komödianten kommen!“ Diese Meinung ist schon deshalb überflüssig geworden, weil die meiste Wäsche, wenn sie überhaupt gewaschen wird, in Wäschereien gebracht wird, die nur dann den Besuch von Schauspielern erhalten, wenn diese ebenfalls ihre Wäsche dort waschen lassen wollen. Übrigens haben die genug Wäsche, müssen also keine stehlen.

Auch die Zeiten, in denen Schauspieler und -innen mehr oder weniger Hofbeamte waren — Angestellte der vielen hundert Fürstentümer, Königstümer, Kaiserreiche — sind endgültig vorüber, weil es diese nicht mehr gibt. Aber einzelne Rudimente kann man noch feststellen. Zum Beispiel dürfen sich die Schauspieler des Burgtheaters — das laut Fassade immer noch „K. und K. Burgtheater“ heißt — nach Schluß des Stückes nicht verbeugen, denn sie waren einmal, als Österreich-Ungarn noch Kaiserreich und Königtum war, gewissermaßen Angestellte des Hofes — und ein Hofbeamter verbeugt sich nun einfach nicht vor denen, die zwar zahlen, um ihn zu sehen, aber doch gesellschaftlich unter ihm stehen. Seit ungefähr fünfzig Jahren versucht man, dieses Verbot abzuschaffen, und es spricht viel dafür, daß man es in weiteren fünfzig Jahren abgeschafft haben wird.

Auch die Zeiten sind vorüber, da berühmte Filmstars angestarrt wurden wie überirdische Wesen und natürlich auch Autogramme geben mußten; welcher Umstand allein sie schon als nicht ganz überirdisch charakterisiert. Grund: es gibt keine Filme mehr, die gerne gesehen werden. Und das Fernsehen produziert seltsamerweise keine Stars. Seltsamerweise, obwohl jedes Fernsehspiel doch von Dutzenden, manchmal von Hunderten von Millionen Menschen gesehen wird. Es gibt deren zu viele, sowohl Fernsehspiele als auch Schauspieler oder Beinahe-Schauspieler, die sich dort produzieren.

Es gibt da wohl einige Ausnahmen, aber sie sind an fünfzehn Fingern und drei Händen abzuzählen. Es handelt sich dabei meist um Persönlichkeiten, die nicht als solche bekannt werden, sondern als Inhaber von populären Rollen. Sie werden auch auf der Straße angesprochen, nicht mit ihrem Namen, sondern mit dem Namen ihrer Rolle: als Tierarzt, als Zirkusdirektor, als Geschäftsfrau, als Putzfrau ...

Die einzige Ausnahme von allen diesen Entwicklungen, der einzige Schauspieler auf der Welt — ich wiederhole: auf der Welt —, der sowohl gesellschaftlich als auch künstlerisch prominent geworden oder geblieben ist: Curd Jürgens.

Das Erstaunliche: auch er war einmal jung und schön, ja, wirklich schön. Und arbeitete als vorzüglicher Schauspieler am Wiener Burgtheater. Er war nicht populärer als seine Kollegen, nicht einmal in

DIE FURCHE Nr. 5 / 3. Februar 1973 Wien, wo allerdings jeder populär ist, der irgendwann einmal auf der Bühne gestanden hat, auch wenn es schon ein Viertel Jahrhundert her ist, daß er sich von der Bühne hätte zurückziehen sollen (gilt auch für sie).

Im Film spielte Jürgens überhaupt keine Rolle, immer nur so mit, allerdings in unzähligen Filmen. Aber man hatte ihn genauso schnell vergessen wie die Filme selbst, und das war für beide gut.

Leute, die Jürgens damals kannten, aber das waren, wie gesagt, wenige, hauptsächlich seine Kollegen -1- Klatschspalten gab es auch noch nicht im deutschsprachigen F.uropa — fanden, daß er zuviel trank, Umgang mit zu vielen Frauen hatte und demnächst von der Bildfläche verschwinden würde. Denn so jung, so schön konnte er ja nicht bleiben.

Und nun geschah das Seltsame: als seine Zeit eigentlich vorbei war, wurde aus dem guten Schauspieler ein großer — und dies ist ganz ernsthaft gesagt. Und er machte in einer Zeit, in der der Film allerorts, oder doch fast allerorts, im Ab- und Aussterben begriffen war, eine internationale Filmkarriere, wie man sie bisher, oder doch zumindest seit der Tonfilm ausgebrochen war, nicht erlebt hatte. Er machte große Filme — und für ihn gab es keine Sprach grenze. Er filmte in Deutschland, in Frankreich, schließlich auch in Hollywood. Daß er so vorzüglich Deutsch sprach, hatte er dem Umstand zu verdanken, daß er seine Jugend in Berlin verbrachte und dem Umstand, daß er nicht allzulange in Wien weilte. Daß er Französisch ohne Akzent sprach, dürfte er seiner französischen Mutter verdanken; Englisch lernte er, wie er selbst sagte, von den amerikanischen Besatzungstruppen in München und Wien. Er spricht es fließend und mit einem so leichten Akzent, daß es nicht einmal die polnischen, tschechischen, griechischen Regisseure, die in Hollywood arbeiten, bisher gemerkt haben.

Er war, bis diese sagenhafte Filmkarriere begann, immer verschuldet (siehe Alkohol, siehe Frauen). Jetzt wurde er reich. Und unter reich soll hier wirklich reich verstanden werden. Er konnte sich Häuser kaufen, er konnte Geld in interessante Geschäfte stecken; auch das hätte niemand für möglich gehalten.

Noch erstaunlicher: Er, der immer klug gewesen war, wurde jetzt ausgesprochen gescheit und gebildet, er konnte über alles sprechen, sprach auch über alles, wußte Bescheid über die politischen, über die gesellschaftlichen Strömungen der Zeit, über Hasch, über Guerillas, über die Chance dieser oder jener Politiker, die er übrigens meist persönlich kannte. Man konnte — und kann noch immer — mit ihm über die letzten Neuerscheinungen reden, die wichtigsten Aufführungen in New York, London oder Paris, wo er übrigens in seinem eigenen Theater spielt, und weiß Gott, wo sonst noch. Er ist so gebildet, daß nur wenige ihn für einen Schauspieler halten würden, wenn man es nicht wüßte, daß er einer ist.

Das Erstaunlichste vielleicht: er ist gesellschaftlich akzeptiert. Und zwar nicht etwa in Wien oder Berlin, in Paris oder New York, in Kalifornien oder Bangkok — sondern überall. Man kann kaum eine Klatschspalte lesen, ohne darin zu finden, daß er auf dieser oder jener Party zu sehen war, auf den Bahamas oder - an der Riviera, in London oder in Ki'tzbühel, oder... oder ... oder... Und zwar neben dem Fürsten von Monaco oder einem englischen Herzog oder einem griechischen Reeder ... Was immer heutzutage die Gesellschaft wert sein mag: er ist, wie man es heute so schön nennt, „in“.

Als ich unlängst einem Buchven-lag vorschlug, einen Band über ihn zu schreiben, stieß ich auf Achselzucken. Jürgens? Ein Schauspieler? Ein Filmschauspieler? War der so wichtig? Ein paar Tage später, der Zufall wollte es, waren die Zeitungen voll davon, daß er sich von seiner Frau — ich glaube, es war die dritte oder vierte, genau weiß ich es nicht, genau weiß es vielleicht nicht einmal Jürgens — getrennt hatte und eine sehr junge Dame zu ehelichen beabsichtigte. Dieser an sich ja wirklich nicht so wichtige und doch rein private Vorgang wurde von einer der seriösesten Zeitungen deutscher Zunge ganz ausführlich besprochen. Und zu Recht. Denn dieser Jürgens ist eben nicht nur Schauspieler, nicht nur Filmschauspieler, nicht nur ein gescheiter Mann, nicht nur ein reicher Mann, nicht nur ein Mitglied des internationalen Jet-Sets, nicht nur überall gern gesehen — und man darf wohl sagen, daß er nicht einmal die Hälfte der Einladungen annehmen kann, die an ihn ergehen: er ist alles zusammen.

Ein Phänomen. Etwas, was es in unserer Zeit eigentlich gar nicht mehr gibt. Und der Verlag ist denn auch zu der Einsicht gekommen, man solle über ihn ein Buch schreiben.

Meine Prognose: Es werden noch mehrere Bücher über ihn geschrieben werden.

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