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Die Goldwyn-Saga

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Die meisten, selbst die Filmkenner, sogar diejenigen, die noch seine großen Filme gesehen haben, die er bis etwa 1955 produzierte, wissen gar nicht, daß er noch lebt. Er wird ja nun auch, am 17. August dieses Jahres, neunzig Jahre alt, und das ist' eitf biblisches Alter,.insbesondere für Hollywood, wo alles so sehr, sehr schnell geht. Aber er lebt noch. Das ist aber auch das einzige, was man mit Sicherheit von ihm sagen kann.

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Die meisten, selbst die Filmkenner, sogar diejenigen, die noch seine großen Filme gesehen haben, die er bis etwa 1955 produzierte, wissen gar nicht, daß er noch lebt. Er wird ja nun auch, am 17. August dieses Jahres, neunzig Jahre alt, und das ist' eitf biblisches Alter,.insbesondere für Hollywood, wo alles so sehr, sehr schnell geht. Aber er lebt noch. Das ist aber auch das einzige, was man mit Sicherheit von ihm sagen kann.

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Fast alles, was heute von ihm erzählt wird, ist falsch; so zum Beispiel, daß er Gründer oder Mitbegründer der berühmten Metro-Goldwyn-Mayer war. Mit der hatte er nichts zu tun. Das war vielmehr eine Fusion von verschiedenen Gesellschaften, darunter eine, die Gold-wyn Pictures Corporation hieß, die er aber damals, 1924, längst abgestoßen hatte. Trotzdem verlangte er, daß sein Name in die neue Firma aufgenommen werde, nicht zuletzt auch, weil er das Terrain besaß, auf dem sie sich etablierte.

Sein Lebenslauf ist der des Selfmademan per excellence. Im Getto von Warschau geboren, früh Vollwaise, ging er zu Verwandten nach London. Damals war er zwölf Jahre alt. Mit vierzehn reiste er allein nach Amerika, denn er wußte schon damals, daß dies das Land der unbegrenzten Möglichkeiten war. Für ihn jedenfalls wurde es zu einem solchen Paradies der unbegrenzten Möglichkeiten.

Allerdings arbeitete er in einem selbst für Amerika erstaunlichen Tempo und einer Intensität, die ihn sein ganzes Leben lang nicht verlassen sollte. Er wurde Verkäufer von Handschuhen, er avancierte in der Firma, die sie fabrizierte, er wurde schließlich ihr Mitbesitzer.

Aber Handschuhe — das war irgendein Verkaufsobjekt, ein alteingeführtes sozusagen. Er suchte nach etwas Neuem. Er beobachtete, daß mit den ersten Apparaten, in denen man Filme sehen konnte — man mußte dazu nur einen Nickel, will sagen fünf Cents, einwerfen —, erstaunliche Geschäfte zu machen waren. Er begriff: hier lag die Zu- gf kunft. Man mußte Filme machen. Wo mußte man sie machen? Natürlich dort, wo das Wetter am günstigsten war, also nicht in New York oder Umgegend, sondern in Kalifornien, wo — damals noch — die Sonne fast immer schien. Denn in jenen Zeiten wurden die Filme fast ausschließlich im Freien gedreht, selbst die Szenen, die in einem Zimmer spielten. Der Lärm tat nichts; der Film hatte noch keinen Ton.

Der Anfang war nicht ganz leicht. Da er gar nichts vom Film verstand — wer verstand schon damals was davon? —, war der erste Film ein totaler Reinfall. Goldwyn, der sein ganzes Geld hineingesteckt hatte, sah sich bereits ruiniert. Der Film wurde aber dann doch durch einen photographischen Fachmann gerettet und machte ein Vermögen. Und auch andere Filme von ihm machten ein Vermögen.

Aber es wäre falsch, zu behaupten, Goldwyn hätte sich vornehmlich dafür interessiert, Geld zu machen. Gewiß, er machte Geld. Er wurde sehr, sehr reich, um so erstaunlicher, da er ja beim Punkt Null anfing. Aber nicht darauf kam es ihm an. Er begriff — und hier war er nun innerhalb der Pionierbranche Film ein Pionier —, daß nur die Qualität sich durchsetzen würde. Es kam ihm darauf an, gute Filme zu machen. Gute? Die besten, die gemacht werden konnten.

Hierzu — auch das erkannte er früh — mußten zwei Vorbedingungen geschaffen werden. Die eine: er mußte unabhängig sein. Daher trat er niemals, in keiner Phase seines Lebens, irgendeiner Kombination bei, gründete niemals eine Firma mit anderen, war immer ein Alleingänger; der einzige neben Charly Chaplin. Er baute seine Ateliers selbst, er engagierte seine Dramaturgen, die Schreiber, seine Schauspieler. Und hier war nur die zweite Vorbedingung für die Qualität seiner Filme: Im Gegensatz zu den meisten Hollywood-Filmmachern, damals und auch später, versuchte er nicht, sich dem Erfolg gewissermaßen anzuschließen. Er engagierte nicht Regisseure und Künstler, die bereits Geld machten. Er suchte neue, noch unbekannte. Er suchte sie in den New Yorker Theatern, auf den Universitäten, im Zirkus. Er ließ alle Theaterstücke lesen, die in Frage kommen konnten. Er war der erste Produzent, der manchmal ein halbes Jahr und länger an Vorbereitungsarbeiten verschwendete, die bei anderen Firmen allenfalls zwei oder drei Wochen dauern durften. Er haßte Improvisation.

Er war es, der zum Beispiel junge Menschen engagierte, die noch gar keine Schauspieler waren und die er ausbilden ließ; und das zu einer Zeit, als hübsche Chauffeure und bildhübsche Mannequins oder auch Verkäuferinnen Hauptrollen in Filmen spielten. Später waren in Hollywood und auch anderswo sogenannte Ausbildungsverträge an der Tagesordnung. Aber er hatte sie eingeführt.

Er war der erste, der Gagen zahlte, die man bis dahin nicht kannte. Es ist hier müßig, Namen „seiner“ Stars zu nennen — es waren wirklich „seine“ Stars, sie wären nie ohne ihn berühmt geworden; die meisten sind längst vergessen. Immerhin soll erwähnt werden, daß er Rodolfo Valen-tino entdeckte, Gary Cooper, David Niven, Will Rogers, Danny Kaye, daß er den Berliner Ernst Lubitsch ermunterte, nach Hollywood zu gehen, obwohl er ihn da nicht engagierte.

*

Ich erinnere mich noch eines sehr kostspieligen Filmes, den er in den dreißiger Jahren machte. Ich saß in seiner Nähe, als er ihn sich vorführen- ließ. Nach Ansicht aller war es ein Film, der Millionen machen mußte, wenn auch vielleicht nicht gerade ein künstlerisches Meisterwerk. Goldwyn stand nach der Vorführung abrupt auf und erklärte in kurzen Worten, welche Szenen noch einmal nachgedreht werden mußten. Es handelte sich fast um ein Drittel des gesamten Films. Einer seiner leitenden Männer wagte den Einwand: „Mr. Goldwyn, das kostet uns 600.000 Dollar!“ Und das war damals wesentlich mehr Geld als heute. Goldwyn war keineswegs beeindruckt. „Ich weiß es!“ sagte er. Die fraglichen Szenen wurden noch einmal gedreht, der Film wurde dadurch sehr viel besser — und übrigens ein Erfolg. Aber das wäre er wohl auch ohne die nachgedrehten Szenen geworden.

Er hatte ein untrügliches Gefühl für die künstlerischen Werte eines Films. Er sah — und das ist es wohl, was ihn so groß machte —, was die wenigsten sahen. Ob ein Schauspieler eine Rolle „abzog“, ob ein Regisseur in Routine verfiel, wie das so oft in Hollywood geschah und heute wohl noch geschieht, ein Film einfach „abgedreht“ wurde. Das alles ist um so erstaunlicher, wenn man seiner Herkunft gedenkt, wenn man bedenkt, daß er, abgesehen von Abendkursen, die er in New York absolvierte, überhaupt keine Bildung besaß. Die Intellektuellen Amerikas, die ja früher oder später auch nach Hollywood kamen, verachteten ihn tief — bis sie mit ihm ins Gespräch kamen. Dann spürten sie: dieser Mann war etwas Besonderes.

Seine Unbildung hat zu unzähligen Geschichten über ihn geführt. Um sie aufzuzählen, müßte man ein Buch schreiben — es ist übrigens geschrieben worden, ein Buch nur mit Anekdoten von Samuel Goldwyn. Manche mögen erfunden sein, manche wahr. Ich glaube, daß nicht einmal er heute sagen könnte, was er gesagt hat und was man ihm in den Mund gelegt hat. Er nahm das letztere übrigens nicht übel. Er hielt es für gute Propaganda.

Ich erinnere mich noch an seinen berühmten Ausspruch: „Ein mündlicher Vertrag ist nicht einmal das Papier wert, auf dem er geschrieben wurde!“ Oder den noch berühmteren: „Include me out, Gentlemen!“ Das ist schwer übersetzbar. Es heißt soviel wie: „Zählen Sie auf mich, daß ich da nicht mitmache, meine Herren!“

Die hübscheste Geschichte, und die ist wahr, die habe ich miterlebt, ist folgende, die sich Anfang der dreißiger Jahre abspielte. Goldwyn kam aus New York zurück. Er sammelte seine Getreuen um sich — übrigens auch die Presse (auf diese Weise kam ich in den erlauchten Kreis) — und erklärte: „Meine Damen und Herren, ich habe in New York die Filmrechte zum größten Erfolg der Spielzeit erworben!“ Allgemeine Spannung. „Ich habe die Filmrechte zu ,Die Gefangene' des Franzosen Bourdet erworben.“ Allgemeines ominöses Schweigen. Goldwyn wunderte sich. Schließlich sagte einer seiner Geschäftsführer. „Aber, Mister Goldwyn ... In diesem Stück spielt doch eine Lesbierin die Hauptrolle! Es geht doch um eine Lesbierin!“ Goldwyn war wenig beeindruckt. „Und wenn schon! Wenn wir keine Lesbierin bekommen, dann nehmen wir eben eine Rumänin!“

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