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Götter altern nicht

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Sie bleibt ein Rätsel — wie sie es immer war; auch heute noch kann man oft in Zeitungen über sie lesen, sogar, daß sie wieder filmen wird. Wie absurd! Eine Siebzigjährige, die Menschen und Publicity flieht, die zurückgezogen lebt und photo-und kamerascheu ist — während die Filmtheater in allen Ländern der Erde immer wieder ihre unvergessenen und unvergeßlichen Filme aufführen ... Jabei wurde die Garbo im üblichen Sinne nie ein „populärer“ Star, obwohl jeder ihren Namen kennt. Man kennt ihn aber wohl in erster Linie in Verbindung mit jenen Filmtiteln, die in aller Munde sind, wenn er genannt wird, mit „Königin Christine“, „Anna Karenina“, der „Kameliendame“. Vorwiegend war es ihre Aufgabe, bedeutende, tragische oder geheimnisumwitterte Frauen der Geschichte oder der Weltliteratur im Kino lebendig werden zu lassen.

Und so löst sich auch das Rätsel um die Menschenflucht der Garbo: die Welt horchte auf, als sie 1943 verkündete, sie werde nicht mehr filmen. Und es gab Rätsel über Rätsel, warum sie diesen für einen Künstler so unwahrscheinlichen (und bewundernswerten) Entschluß gefaßt hat. Dabei gibt es einen ganz einfachen Grund dafür: nach den schlechten Kritiken ihres letzten Films, eines für sie unpassenden Lustspiels, war sie erschreckt, verschreckt: und sie fand keine Rollen und Drehbücher mehr, die wertvoll genug waren, daß sie von einer „Legende“ verkörpert werden konnten. Das war nicht Selbstüberschätzung, maßlose Einbildung, sondern kluge Erkenntnis: das Leben und auch die Filmindustrie begann sich in jenen Jahren zu verändern. .. Gewöhnt an jene stillen und großen Rollen, die ihren Weltruhm begründet und immer wieder von neuem gefestigt,, gestärkt hatten, zog sich die Garbo enttäuscht zurück — und wurde dadurch zeitlos...

Wer weiß eigentlich überhaupt, daß die Garbo am 18. September 1905 in Stockholm in der Blekingega-tan 32 als Greta Lovisa Gustafsson geboren wurde? Es ist letztlich ja auch uninteressant, ohne Bedeutung — sie hat sich mit Erfolg das Privatinteresse ihrer Millionen Verehrer verbeten und wurde dadurch gerade das, was sie immer, solange das Wunder des Films bestehen wird, bleibt: „die Göttliche“...

Die Bildkunst des 20. Jahrhunderts umschmeichelte sie, Dichter und Philosophen bewunderten sie, eine Welt lag (und liegt noch immer) zu ihren Füßen; alle rühmten ihre zeitlose

Schönheit: „Nicht die Schauspielerin Garbo eroberte die Welt. Sie ist keine schlechte Schauspielerin“, so schreibt der berühmte ungarische Filmästhetiker und -theoretiker Bela Baläzs, „aber ihre Popularität verdankt sie ihrer Schönheit. Freilich ist es nicht ganz einfach, zu präzisieren, worin diese Schönheit besteht. Die reine Schönheit ist eine Sache des Geschmacks sowie des Sex-Appeals und kann schon aus diesem Grund nicht auf eine Masse von Millionen Menschen auf der ganzen Welt in gleicher Weise wirken. Es gibt außer ihr noch viele vollkommen schöne Frauen, sodaß also die Harmonie ihrer Linien allein ihr noch nicht eine so einzigartige, privilegierte Stellung gesichert hätte. Aber die Schönheit der Garbo ist nicht nur eine Harmonie der Linien, nicht nur ein Ornament. In der Schönheit Greta Garbos drückt sich die Physiognomie eines bestimmten Seelenzustan-des aus ... Greta Garbo ist traurig. Nicht nur in bestimmten Situationen, aus bestimmten Gründen. Greta Garbos Schönheit ist eine leidende, eine das ganze Leben, die Umwelt erleidende Schönheit. In ihr liegt alle Trauer der Reinheit einer in sich selbst verkapselten inneren Vornehmheit — selbst dann, wenn sie eine verkommene Prostituierte spielt. Ihr schwerer Bilde kommt auch dann von weither und geht weithin. Auch dann ist sie eine in die Fremde Vertriebe, die nicht weiß, wie sie dorthin gelangte... In der Physiognomie Greta Garbos sehen Millionen, die sich ihres eigenen leidenden Protestes vielleicht noch gar nicht bewußt geworden sind, einen schmerzlichen und passiven Protest. Aber gerade darum gefällt ihnen die Schönheit der Garbo — und diese ist für sie die schönste der Schönheiten ...“

Und in einem der schönsten deutschsprachigen Bücher über die Garbo mit dem so treffenden Titel „Ein Wunder in Bildern“ schrieb Alexander Lernet-Holenia vor beinahe 40 Jahren die heute noch genau so gültigen Zeilen: „Von allen berühmten Frauen nähert, durch ihre Schönheit, die Garbo sich am meisten dem Ideal des Jahrhunderts. Es mag unberühmtere geben, die schöner sind als sie. Ja, dies ist sogar sicher. Allein der Ruhm dieser Frau ist ein Teil wesentlicher Ergänzung zu ihren Bildern und vertritt die Stelle dessen, was die Bilder nicht wiederzugeben vermögen ... Den Ruhm der Garbo hat es ausgemacht, daß sie, zum Beispiel, einsam ist inmitten von Leuten, die von Platzangst befallen werden, wenn sie allein sind; daß ihre Schönheit, im Grunde, so weit verschieden vom Standard ist wie nur irgend etwas; daß sie, eigentlich, nicht einmal blond ist, sondern brünett; daß sie zur Melancholie neigt, während doch alle Welt glaubt, sie müsse die glücklichste Person sein; daß sie sich, natürlich, auch aus ihrem Ruhm nichts macht, kurz: daß sie, in dieser immer unpersönlicher werdenden Welt, noch Persönlichkeit besitzt. Und mag Schönheit an sich auch um so vollkommener sein, je unpersönlicher sie ist: Persönlichkeit, letzten Endes, ist das einzige Kriterium des Idealen.“

Persönlichkeit in so vollkommenem Maße — das unterscheidet die Garbo von all den anderen Göttinnen und Stars aller Grade, die neben, vor und nach ihr im All des Films aufscheinen: ihr innerer Besitz ist größer als der aller anderen. Von ihrer Seele aus gestaltete sie, und das macht sie groß vor den anderen, die nur „spielten“, und sei dies noch so gut... In ihren Filmen ist sie stets ein Mensch, der sein Schicksal erlebt, nicht eine Schauspielerin, die eine Rolle spielt (es sei denn, daß diese Filme aus dem Menschlich-Wahrscheinlichen ins bloße Theater abglitten, daß, was Schicksal werden sollte, zum bloßen Spiel wurde — in solchen Szenen und Werken blieb auch die Garbo nichts als nur eine schöne Frau). Dabei sind ihre Filme nie im klassischen Sinne in die Filmgeschichte eingegangen, als unsterbliche Meisterwerke — und doch sind sie selbst Filmgeschichte geworden, aus ihr nicht fortzudenken, weil die Garbo in ihnen spielte, weil sie in ihnen unvergeßliche Rollen verkörperte ...

Es ist hier völlig bedeutungslos und unwichtig, die Titel ihrer zwölf Stummfilme (plus zwei kurze Reklamefilme) und 14 Tonfilme aufzuzählen — die Garbo ist kein Objekt für tüftelnde Historiker oder eifrige Soziologen; sie ist die Garbo — unvergessen für alle, die sie einmal in einem ihrer Filme gesehen haben, seltsam faszinierend und unerklärlich in dem Bann, in den sie den Zuschauer zieht. Ob als geheimnisumwitterte Spionin des Ersten Weltkriegs, „Mata Hari“, als alternde und von Ängsten gehetzte Tänzerin Grusinskaja in „Menschen im Hotel“, als tragische Liebende, Marguerite Gautier, in „Die Kameliendame“ oder als verzichtende Monarchin, als unvergeßliche „Königin Christine“ — wer sie gesehen hat, weiß, warum sie die „Göttliche“ genannt wurde und es noch in Generationen bleiben wird...

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