6895259-1980_08_13.jpg
Digital In Arbeit

Unermüdlicher Moralist

Werbung
Werbung
Werbung

„Ich bin froh, daß ich wieder fünf Stunden am Tag arbeiten kann", sagt der alte Herr, der sich von einer Gallenoperation gut erholt hat und nun an einer deutschen Neuausgabe der Broschüre „Die immerwährende Neutralität der Republik Österreich" (eine englische, französische, spanische und bald auch eine italienische Ausgabe gibt es schon), sowie an einer erweiterten englischen Ausgabe des „Universellen Völkerrechtes" von Verdroß/Simma arbeitet.

Alfred Verdroß-Droßberg, direkter Lehrer der meisten, indirekter aller Juristen Österreichs (denn auch seine Kollegen trugen praktisch ihn vor), namhaftester Repräsentant österreichischer Rechtslehre in den Juristenzirkeln der Welt, ist auch mit 90 noch ein Unermüdlicher.

Der junge Doctor iuris wurde noch von Kaiser Karl zum Hof- und Mini-sterialkonzipisten im Wiener Außenamt ernannt. Nach dem Ersten Weltkrieg an der österreichischen Gesandtschaft in Berlin tätig, 1924 außerordentlicher Professor an der Universität Wien, 1925 Ordinarius, 48 Jahre lang im Staatsdienst aktiv, war er auch nach seiner Emeritierung noch Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Als Mitglied der UN-Rechtskommission war er maßgeblich an drei großen Kodifizierungswerken (Diplomatenrecht, Konsularrecht, Vertragsrecht) beteiligt. Österreichs neutralitätsrechtliche und neutralitätspolitische Rolle hat er entscheidend mitdefi-niert.

„Ich habe nie meine Weltanschauung verleugnet", darf der gläubige Katholik Alfred Verdroß sagen, „aber ich habe mich auch bewußt nie einer Partei angeschlossen. Es muß Parteien geben, aber es muß auch Menschen geben, die bewußt das Gemeinsame betonen. Und deshalb verteidige ich so sehr den Geist der Zusammenarbeit von 1945, der die Zweite Republik möglich gemacht hat."

Unermüdlich hat er in Forschung und Lehre nachgewiesen, daß die stoisch-christliche Auffassung von der moralisch-rechtlichen Einheit der

Welt erstmals vor 300 Jahren von spanischen Naturrechtslehren auf die Staatengemeinschaft angewendet und von den Vereinten Nationen erstmals universell kodifiziert worden ist. „Natürlich werden Grundsätze der UN-Charta wie der des Verbots von Gewaltanwendung immer wieder verletzt. Trotzdem gibt es keine Alternative zu diesen Prinzipien."

Daß diese wenigstens theoretisch allgemein akzeptiert worden sind, erfüllt den leidenschaftlichen Moralisten Verdroß ebenso mit Freude und Hoffnung wie die Tatsache, daß die Päpste seit Pius XII. nicht mehr nur zu innerkirchlichen Fragen, sondern zugunsten universeller Menschenrechte das Wort ergreifen.

In diesen Tagen stellen sich die Gratulanten bei Alfred Verdroß an. Die Wissenschaftsministerin wartet mit einem Orden, der Bundespräsident mit einem Essen. „Ich bin dankbar", sagt der 90jährige Witwer, „daß ich weiter arbeiten und zeigen kann, wie alte Gedanken in neuer Form weiterwirken sollen und können." Österreich hat mannigfachen Grund, Alfred Verdroß-Droßberg dankbar zu sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung