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Zeller und Tschechow

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Daß sich mit Carl Zellers harmlos-liebenswürdiger Operette „Der Vogelhändler“ bei behutsamer Regie und guten Kräften auch heute noch ein starker Publikumserfolg erzielen läßt, bewies die vorletzte Neuinszenierung, die Anton Marifc am Pult und Wilfried Steiner am Werk sah, der den Staub fortblies und den Strauß blühender Melodien in einer Welt zwischen urwüchsigem Volkstum und gespreizter Hofatmosphäre zur Geltung kommen ließ. Vorzügliche Tenöre — Thomas Lehrberger (Adam) und Alois Aichhorn (Stanislaus) — und eine resolute, stimmlich und darstellerisch gut gelaunte Briefchristi (Afonique Lobasa) ergänzten den musikalischen Elan, dem sich Theo Knapp als Baron Weps komödiantisch hinzugesellte. Daß die „Prüfungsszene“ mit Süffle und Würmchen nicht restlos in Albernheit unterging, ist Tony Niessner und Hermann Faltis zu danken. Adrienne Pokorny (Adelaide) zeigte, daß man auch einer „komischen Alten“ künstlerisch Substanz zu geben vermag. Eitel Freude im Haus.

Weniger an Freude, weil es auf Tschechow nicht mehr ganz einzugehen vermochte, schien das Publikum mit der Komödie „Der Kirschgarten“ zu haben, obwohl hier ein Stück unverlierbaren Theaters durch Hans Gauglers Inszenierung subtil und einfühlend zur Geltung gebracht worden war. Daß hier wenig „geschieht“, will nichts besagen, hier liegt mehr zwischen den Sätzen und in den Pausen, als es sich eine nur noch auf Unterhaltung oder Schock bedachte Zuhörerschaft träumen läßt. Gaugier hatte vermieden, aus dem Kirschgarten betonte Zeitbezüge zu pflücken; was in den Gestalten des Studenten und des alten und jungen Dieners liegt, genügt vollauf, um zu zeigen, daß hier der Untergang einer Epoche vorausgeahnt wird; man muß nicht erst mit dem Finger darauf hindeuten. Matthias Kralj baute die Szene mit der ihm eigentümlichen Ausstrahlung auf Bühne und Haus. Hier konnten sich Gestalten und Charaktere ergehen, ausleben, in eine dunkle Zukunft schreiten wie die von Angela Salloker sicher gezeichnete Gutsbesitzerin Ljubov Andre-jevna, die mit dem unter den Hammer geratenen Kirschgarten auch endgültig ihre glücklichen Jahre verliert. Stark in seiner berechnenden Gradlinigkeit der emporgekommene Ersteigerer des Gutes, Lopachin (Paul Görden), unaufdringlich überzeugend der Student Troflmow, Peter Uray, rührend in seiner Alterseinfalt Joe Liszt als Firs, dem die schäbig-brutale Art des jungen

Dieners Jascha durch Horst Eder zum Gegenpol wird. — Eine Aulführung, die starken Eindruck machte, aber — wie oben — kaum der kompakten Majorität des Publikums zusagen wird.

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