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Von Kant zu Thomas

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Hönigswald, der letzte echte Kantianer und letzte deutsche Philosoph Breslaus, geht in diesem Werk jenen letzten Weg, den einst auch Hermann Cohen mitten im ersten Weltkrieg beschritt: den Weg zurück in eine Theologie des Alten Bundes. Wie Cohen, das Haupt der Marburger Kant-Schule, am Ende seines Lebens, das ihn, fast gezwungen, von Marburg an das Berliner jüdische Lehrinstitut führte, eine ausdrückliche jüdische Theologie i seiner „Religion aus den Quellen des Judentums“ (Leipzig 1919) und seinen „Jüdischen Schriften (I bis II, Berlin 1924) schuf, zur Vollendung seiner These, daß Kantische Philosophie das gemäße Präludium zu jüdischer Theologie sei (wie Thomas von Aquin zu christlicher Theologie), entwickelt Hönigswald, diesem Cohen nachfolgend, als letzter Kantianer eine Theologie der Schöpfungsgeschichte der Genesis, wie diese ein solches Gottes- und Weltbild darstellt, das kantischer Erkenntnistheorie entspricht. Es ist nicht nur bei Cohen und Hönigswald das Altersbekenntnis zum angestammten Judentum (wie Rahel Varnhagen, die Judenchristin als Mittelpunkt der Berliner Romantik, am Ende ihres Lebens nur noch hebräische Briefe schrieb und von sich bekannte, „aus dem Judentum kommt man nicht heraus“: vgl. ihre Biographie von Hannah Arandt, München, Piper 1959). Es ist mehr noch ein geheimer Instinkt in beiden für das verborgen (schottisch) Kalvinisch-Puri-tanische in Kant selbst (wie kalvinischer Puritanis-mus ein neues Altes Testament mitten im Christlichen aufricht-ct). Die Abfolge der „Schöpfungserzählungen“ im Buch Hönigwalds ist dementsprechend eine solche, daß der Mythos der heidnischen Schöpfungserzählungen praktisch das Präludium in die (abschließende) Darstellung und Durchleuchtung der ersten Kapitel der Genesis, als in die erfüllende Offenbarung als ihre Erfüllung mündet (wie die ersten Kirchenväter es taten und wie der Verfasser in seiner „Typologischen Anthropologie“ diesen Weg bewußt geht). Das Überraschendste aber ist, daß das .Gottesbild, das Honigs-;, wald aus der Genesis herausentwickelt, immer wieder Ale 'Züge trägt,'wie' Augustinus undoGregotder Große sie betonen: Gott als „über allem“ und „in allem“ (superior-inferior, exterior-interior, novior-antiquior), das heißt, Gott im Medium der klassischen „analogia entis“, wie Aristoteles sie grundlegte und das IV. Lateranische Konzil in die letzte Formel faßte (vgl. des Verfassers „Analogia entis“, München 1932). So wird das Abschiedswerk des letzten Kantianers praktisch das, was Marechal in seinem „Point de depart de la metaphysique“ bewußt unternahm: Thomas zu „transponieren“ auf die Ebene Kants und Kant auf die Ebene von Thomas. Aber im Unterschied zu Marechal ist es bei Hönigswald gerade die „analogia entis“, in der der scheinbar rein ontologische Thomas und der scheinbar rein erkenntnistheoretische Kant sich begegnen. Das macht dieses Abschiedswerk Hönigwalds zu einem wahren philosophischen Ereignis, wie es einst der Rückweg Nikolai Hartmanns von Kant (in dessen Geist er unter Cohen eingetaucht war) zu Aristoteles war.

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