Alibaba und der Börsenboom

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Die Bedeutung funktionierender Märkte für Risiko- und Beteiligungskapital wird in Europa unterschätzt. Wir sehen allzu oft nur die spekulative Rückseite des Geschehens

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Die Bedeutung funktionierender Märkte für Risiko- und Beteiligungskapital wird in Europa unterschätzt. Wir sehen allzu oft nur die spekulative Rückseite des Geschehens

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An den Börsen scheinen wieder einmal alle ökonomischen Gesetze der Schwerkraft außer Kraft gesetzt zu sein. Einen vergleichbaren Höhenflug der Kurse gab es zuletzt im Frühjahr 2000, bevor der spekulative Hype der so genannten "New Economy" in sich zusammenbrach. Heute nennen wir sie zwar nicht mehr so - aber die "New Economy" ist tatsächlich Wirklichkeit geworden. Digitale Netzwerke wie Facebook machen Furore und ziehen ganze Sternschnuppen-Schwärme kleinerer Unternehmen nach sich, die oft wenige Jahre nach der Gründung zu märchenhaften Bewertungen aufgekauft und weiterentwickelt werden. In der vergangenen Woche nun -vor kurzem noch undenkbar - der mit 200 Milliarden US-Dollar höchst bewertete Börsengang aller Zeiten: Alibaba, ein chinesischer Internet-Händler, den sein Gründer Jack Ma in nur eineinhalb Jahrzehnten aus kleinsten Anfängen zur nun wertvollsten Großhandelsplattform der Welt hochgestemmt hat. Schon am Tag der Börseneinführung stieg der Kurs um über 30 Prozent an.

Das Abrakadabra der Finanzanalysten reißt selbst hartgesottene Profis zu Investitionsentscheidungen hin, die sich nicht an wirtschaftlichen Fakten sondern am Verhalten der anderen Mitspieler orientieren. Ob und wann hier die Schwarmintelligenz versagt und simples Herdentrieb-Verhalten die Oberhand gewinnt, lässt sich schwer sagen. Erst post festum werden wir es genauer wissen.

Und dennoch erfüllen die Börsen gerade auch mit solchen Höhenflügen ihre wohl wichtigste Funktion als Innovations- und Wachstumsturbo. Zahlreiche "gestandene" Unternehmen im Bereich der Elektronik, Medizintechnik oder Biotechnologie würde es schlicht nicht geben, wären da nicht in der riskanten Anfangsphase Investoren zur Stelle gewesen, die entschlossen waren, "daran zu glauben" - wie immer es ausgehen würde. Damit sie dieses Wagnis eingehen konnten, musste es die Chance geben, das eingesetzte Risikokapital über einen Börsengang zurückzuverdienen.

Gefahr der Abwanderung von Firmen

Der kalifornische Unternehmer Elon Musk zeigt mit seinem Elektroauto Tesla eindrücklich vor, was das Zusammenwirken von Spitzenforschung, Gründerzentren und Kapitalmarktprofis bewirken kann. An den etablierten Autobauern der Welt vorbei entwickelt er Visionen von künftiger Mobilität, die Anleger so begeistern, dass der Börsenwert seines noch vergleichsweise kleinen Unternehmens, das noch nie Gewinn gemacht hat, bereits beim Eineinhalbfachen des Porsche-Konzerns liegt.

Die Bedeutung funktionierender Märkte für Risiko- und Beteiligungskapital wird in Europa und besonders hierzulande unterschätzt. Wir verdächtigen sie fälschlich, Mitverursacher der Finanzkrise zu sein - obwohl deren Ausgangspunkt eindeutig im Bankensystem lag. Und wir sehen allzu oft nur die spekulative Rückseite eines Geschehens, bei dem es in der Hauptsache um die Aufbringung von Wagniskapital geht. Damit riskieren wir aber, dass Unternehmen, die Kapital für rasches Wachstum in neuen Technologien brauchen, dorthin abwandern, wo die Börsen funktionieren.

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