Außenpolitische Höhen und Tiefen

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60 Jahre österreichische Außenpolitik hat der Innsbrucker Zeithistoriker Michael Gehler in 1300 Seiten verpackt - und bekommt dafür von seinem Wiener Historikerkollegen Gerald Stourzh höchstes Lob: "bedeutendes Werk, lesenswert und lesbar".

Der Innsbrucker Historiker Michael Gehler, Jahrgang 1962, hat sich mit seinem neuen Werk zur Geschichte von sechs Jahrzehnten österreichischer Außenpolitik endgültig in die vorderste Reihe der österreichischen Zeithistoriker gespielt. Das fast 1300 Seiten umfassende Buch wird wohl ganz schnell als unverzichtbares Werkzeug für Diplomaten, Medienleute, Studenten und einfach für interessierte Bürger erkannt und genutzt werden, denn Gehler verfügt über zwei wichtige Gaben: Er kann die überwältigende Materialfülle blendend gliedern und übersichtlich aufbereiten, und er kann den Fachjargon der Experten allgemeinverständlich erklären.

Damit leistet Gehler übrigens einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der auch in Österreich vorhandenen Kluft zwischen den "Insidern" einerseits und dem breiteren, oft mit unverständlichem Expertenkauderwelsch konfrontierten Publikum.

Souverän bei damals & heute

Gehler ist dank eigener spezialisierter Arbeiten (besonders über Außenminister Karl Gruber, zur Südtirolfrage, zur deutsch-österreichischen Konfliktsituation in der Zeit des Staatsvertragsabschlusses) in der Frühgeschichte der österreichischen Außenpolitik ganz zu Hause. Doch ebenso souverän führt Gehler durch die spätere Entwicklung der Außenpolitik, vor allem durch die Geschichte der spannungsgeladenen und an Rückschlägen reichen Einbindung Österreichs in die Europäische Integration. Die innenpolitische Gegnerschaft der spö (Pittermanns "Bürgerblock"-Attacke gegen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) wird ebenso behandelt wie die langjährige Gegnerschaft der Sowjetunion zu Österreichs Annäherungsversuchen an "Brüssel" und unterschiedlich motivierte Querschüsse aus Rom und aus Paris.

Gehler hat auch keine Berührungsängste gegenüber neuen außenpolitischen Entwicklungen, für die noch keine archivalischen Quellen zur Verfügung stehen. Er zeigt, wie viel Information man aus öffentlich zugänglichen Materialien schöpfen kann und hat zahlreiche Zeitzeugengespräche mit Akteuren der österreichischen Außenpolitik geführt.

Gehler bringt bemerkenswerte Persönlichkeitsprofile von Akteuren der österreichischen Außenpolitik: des "Außenministers aus Leidenschaft" Bruno Kreisky, des "Völkerrechtlers mit reinstem Neutralitätsgewissen" Rudolf Kirchschläger, und anderer Außenminister bis zur ausgewogenen Charakteristik Benita Ferrero-Waldners (großer Mut und Stehvermögen in der Sanktionskrise, dann manche Pannen).

Globalisierung & Isolierung

In sechs Jahrzehnten erlebte Österreichs Außenpolitik Höhenflüge wie Raabs Staatsvertragserfolg 1955 oder die internationale Ausstrahlung der Persönlichkeit Kreiskys, aber auch tiefe Wellentäler wie die Waldheim-Affäre ("von der Globalisierung zur Isolierung") und der Sanktionskrise des Jahres 2000 - "ein beispielloses Vorgehen gegen ein Mitgliedsland ohne ausreichende Rechtsgrundlage".

Den verschlungenen Pfaden der Neutralitätsentwicklung von ihrer Begründung 1955 bis in die Anfänge unseres Jahrhunderts widmet Gehler viel Aufmerksamkeit, sein Buch ist (auch) die übersichtlichste Neutralitätsgeschichte, die wir besitzen. Auf zwei Zäsuren, von Gehler zu Recht deutlich hervorgehoben, sei auch hier besonders aufmerksam gemacht. Der Irak-Kuwait-Krieg von 1990/91, der unter ein un-Mandat gebracht wurde, führte dazu, dass "der Ballhausplatz seine aus der uno-Mitgliedschaft resultierenden Bindungen zur un-Charta höher ansiedelte als seine neutralitätspolitischen und -rechtlichen Verpflichtungen".

Die zweite Zäsur erfolgte 1998, als mit dem Vertrag von Amsterdam die schon 1992 von der Westeuropäischen Union festgelegten "Petersberg-Aufgaben" in die eu integriert wurden. Diese schlossen friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich "friedenschaffender Maßnahmen" - welch Orwellsches Wort! - auch außerhalb eu-Gebiets und ohne Notwendigkeit eines un-Mandats mit ein. Zu diesem Zweck wurde ein eigens neuformulierter, der Öffentlichkeit weitgehend unbekannter Artikel 23 f der Bundesverfassung beschlossen, der eine beträchtliche Einschränkung des Neutralitätsgesetzes bedeutet. Manche Experten haben sogar vom Ende der österreichischen Neutralität am 1. Mai 1999 (Inkraftreten des Amsterdamer eu-Vertrags und des neuen Verfassungsartikels 23 f gesprochen. Es ist Gehlers großes Verdienst, die Relevanz jenes Art. 23 f, der eigentlich immer gleichzeitig und gleichbedeutend mit dem Neutralitätsgesetz genannt werden sollte, aus der elitären Sphäre der juristischen Expertendiskussionen in ein allgemein zugängliches und bald weit verbreitetes Werk übertragen zu haben. Gehler macht deutlich, welch starke Diskrepanz zwischen der auf die neutralitätsfreundliche Stimmung der Bevölkerungsmehrheit Rücksicht nehmenden politische Rhetorik und der nüchternen staats- und völkerrechtlichen Realität klafft.

Lesenswert und lesbar

Gehler kritisiert zu Recht, dass die einseitige Westorientierung ab Ende der 80er Jahre trotz des Einsatzes eines Erhard Busek Österreichs politische Chancen in Ostmitteleuropa verschlechtert habe. Positiv bewertet Gehler den stabilisierenden Wert von Österreichs Neutralitätspolitik in den 70er und 80er Jahren und kann - außerhalb der eu - der Neutralität auch für die Zukunft weltpolitisch gesehen einiges abgewinnen. In summa: ein bedeutendes Werk, lesenswert und lesbar. Man wird noch viel davon hören.

ÖSTERREICHS AUSSENPOLITIK DER ZWEITEN REPUBLIK.

Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts

Von Michael Gehler, Studienverlag

Innsbruck 2005, 2 Bände,

1292 Seiten, geb., e 144,90

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