Der Terror hat seinen Preis

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Nicht die Schadenshöhe, sondern die Art des Terrors hat die Welt der Versicherungen komplett verändert, analysiert ein heimischer Branchenkenner.

Hurricane Andrew (1992, Bahamas, USA) kostete die Versicherungswirtschaft rund 20 Milliarden US-Dollar. Das Northridge-Erdbeben (1994, USA) kostete 16 Milliarden, der Taifun Mireille (1991, Japan) sieben Milliarden Dollar. Das waren die bisher teuersten Versicherungsschäden.

Der 11. September 2001 wird nach derzeitiger Schätzung einen Schadenaufwand von 40 Milliarden Dollar verursachen. Die Versicherungsunternehmungen sind noch zusätzlich von der Krise der Finanzmärkte und dem Rückgang der Konjunktur - beides ausgelöst oder verstärkt durch die Terrorwelle - empfindlich getroffen; werden doch die Schadenaufwendungen zum größten Teil durch die Finanzerträge der Versicherer finanziert. Es ist nicht die Höhe des Rekordschadens - dieser ist durch das weltweite System des Versicherns und Rückversicherns breitest gestreut und verkraftbar -, es ist die Art des Ereignisses, welche die Weltsicht des Versicherers gravierend verändert hat: Der "Verlust" von vier Verkehrsflugzeugen an einem Tag (drei derselben Airline), der Einsturz beider Türme des World-Trade-Centers binnen einer knappen Stunde und die Zerstörung dreier weiterer Gebäude daneben, eine Opferanzahl von über 6.000 Verletzten und über 6.000 toten oder vermissten Personen sowie die schwerste Beeinträchtigung oder Auslöschung von 500 Unternehmungen (im WTC) mit 50.000 Beschäftigten durch einen einzigen Akt des Terrors war bislang nur Stoff von Hollywood-Produktionen, nicht aber Grundlage für die Kalkulation von Versicherungsprämien.

Die Fragen der Versicherungsexperten verblassen neben dem Leid und den politischen Folgen, sie liegen aber auf der Hand: Handelt es sich überhaupt um ein vom Versicherungsschutz gedecktes Ereignis - was ist Terror, was ist Krieg? -, handelt es sich beim Einsturz der beiden Türme um ein oder um zwei Ereignisse (ist also die Versicherungssumme von 3,5 Milliarden Dollar für diese Gebäude ein- oder zweimal hinzulegen?); was ist vorzukehren, um ein weiteres derartiges Ereignis finanzieren zu können; mit welchen Szenarien, die bisher unvorstellbar waren, müssen wir künftig rechnen und sind diese versicherbar?

Grundlage für die Methodik des Versicherns sind das Vorhandensein einer großen Zahl gleichartiger Risken und der Eintritt von zufälligen Schadenereignissen, die mit Hilfe der Empirik und der Statistik in ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet werden können. Terrorakte dieser neuen - vielleicht auch jetzt noch gar nicht erfassbaren - Dimension passen nicht in diese Systematik. Anzahl, Ausmaß und Häufigkeit derartiger Ereignisse entziehen sich - anders als bei Naturkatastrophen - der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die Versicherungswirtschaft, allen voran die großen Rückversicherungsgesellschaften, reagiert richtigerweise deutlich, entfernt Terror- sowie Kriegsklauseln aus den Versicherungsverträgen oder definiert diese Begriffe neu, teilweise werden Prämien prohibitiv erhöht (etwa für Airlines) oder die Gewährung von Versicherungsschutz überhaupt versagt. Die Einrichtung von Pools zur Tragung von Terror- oder Kriegsrisken wird konkret diskutiert und die Beteiligung auch der Staaten daran vorgeschlagen. Diese restriktive Vorgangsweise ist betriebswirtschaftliches Krisenmanagement. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach dem Wert des Versicherns und den Grenzen dieses volkswirtschaftlich bedeutenden Wirtschaftszweiges. Der Versicherungsvertrag gehört zu den Glücksverträgen (ABGB), weil es - so wie bei der Lotterie - für den Konsumenten vom Zufall abhängt, ob er für seinen Einsatz jemals eine geldwerte Leistung (Gewinn bei der Lotterie, Entschädigungsbetrag beim Versichern) zurückerhält. Trotzdem ist die Hauptleistung ist in jedem Fall erbracht; es wurde Hoffnung auf einen Gewinn vermittelt oder Risiko abgenommen.

Diese Risikoübernahme ist also die Kernleistung der Versicherungswirtschaft, Zahlungen im Schadenfall kommen nur ergänzend hinzu; erst durch die Risikoübernahme wird in der westlichen Welt ein Leben ohne existenzielle Sorgen, erst dadurch wird den Unternehmungen das Wirtschaften ermöglicht. Wenn heute wesentlichen Branchen wie dem Luftverkehr kein adäquater Versicherungsschutz mehr zur Verfügung gestellt werden könnte, oder wenn bestimmte Risikosituationen unversicherbar werden, stellt das einen zusätzlichen Schaden für die Weltwirtschaft und die Welt dar.

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Versicherungsbranche ist selten so klar hervorgetreten wie in diesen Tagen, ganz klar werden aber auch deren Grenzen sichtbar: Privatwirtschaftlich organisierter (Versicherungs-) Schutz versagt dort, wo die Staatengemeinschaft und die Weltpolitik ihr Aufmarschfeld haben. Dabei genügt es nicht, politische Ereignisse letztlich politisch zu lösen. Vielmehr bedürfen politische Risken auch schon der politischen Vorsorgen und des vorausschauenden politischen "Risk-Managements."

Der Autor ist Vorsitzender des Vorstandes der VAV, Wien.

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