„Sei verflucht, Scheißkrieg!“

Werbung
Werbung
Werbung

Hass kennzeichnet die Beziehung zwischen den Kaukasusvölkern und den russischen Eroberern seit Jahrhunderten. Ein Kriegsherd, angeheizt von geopolitischem Kalkül und abgrundtiefer Verachtung.

In der Zeit, als Alexander Puschkin noch kein russischer Nationaldichter, sondern ein verfolgter russischer Nationalfeind war, schickte ihn der Zar in den Kaukasus. Doch anders als nach ihm Leo Tolstoi, der mit den Kaukasus-Völkern sympathisierte, pries Puschkin die russischen Kriege und rätselte über eine Zähmungsmethode für den kulturlosen Kaukasus, wo „der Totschlag nur eine Gebärde“ sei: „Unlängst“, schrieb Puschkin, „hat man einen friedlichen Tscherkessen gefangen, der auf einen Soldaten geschossen hatte. Er rechtfertigte sich damit, sein Gewehr sei zu lange geladen gewesen. Was macht man mit so einem Volk?“

Die russische Antwort auf Puschkins Frage lautet seit 200 Jahren Krieg – „Wladikawkas“, der russische Name der nordossetischen Hauptstadt, war und ist Programm: „Beherrsche den Kaukasus!“ Und die kaukasische Reaktion darauf geht über „nur“ Hass hinaus – der Russe Tolstoi beschreibt sie in seinem letzten Roman „Hadschi Murat“ am tschetschenischen Beispiel: „Das Gefühl, das alle Tschetschenen, vom jüngsten bis zum ältesten, ihnen gegenüber empfanden, war stärker als Hass. Es war nicht Hass, sondern das Gefühl der Unmöglichkeit, diese russischen Hunde überhaupt als Menschen anzusehen, es war ein solcher Abscheu und Ekel, ein so fassungsloses Erstaunen über die sinnlose Grausamkeit dieser Geschöpfe, dass der Wunsch, sie wie Ratten, Wölfe oder giftige Spinnen auszurotten, ebenso verständlich erschien wie der Trieb der Selbsterhaltung.“

Ratten, Affen, Läuse …

Die jeweils anderen sind in den Augen von Tschetschenen wie Russen Tiere, abscheuliche Tiere – bis heute: In den Büchern der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja über den letzten Tschetschenien-Krieg werden die Tschetschenen von den Russen als „Affen“ oder „schwarze Läuse“ bezeichnet; im Erlebnisbericht des russischen Tschetschenien-Soldaten Arkadi Babtschenko ist das ganze Kaukasus-Volk unter dem Schimpfwort „unrussisches Geschmeiß“ subsumiert, „das sich nicht einmal richtig den Arsch abwischen kann“. Die russischen Soldaten hassen ihre tschetschenischen Gegner vor allem dafür, schreibt Babtschenko, dass diese kein Toilettenpapier verwenden, sondern sich nach muslimisch-arabischer Sitte den Hintern mit der linken Hand und Wasser waschen: „In jedem tschetschenischen Haus gibt es spezielle Krüge mit langen Tüllen, geschmückt mit arabischer Zierschrift. Unsere Jungs konnten zuerst überhaupt nichts damit anfangen und kochten Tee darin. Als man ihnen erzählte, wofür sie benutzt werden, tobten sie vor Wut.“ Laut Tschetschenien-Veteran Babtschenko hatte das aber keinen religiösen Hintergrund: „Allah oder Jesus, die Frage des Glaubens ist uns piepegal, wir sind schließlich atheistisch erzogen, aber in diesen Krügen verkörpert sich der ganze Unterschied zwischen unseren Kulturen.“

Dieser angebliche Unterschied der Kulturen manifestiert sich vor allem in der alten Arroganz der Russen gegenüber den Kaukasusvölkern. Wie langlebig, orts- und tatsächlich kulturunabhängig die russischen Vorurteile sind, zeigt sich z. B. in Israel, wo jüdische Zuwanderer aus dem Kaukasus heute von russischen Juden oft als „Muslime“ abqualifiziert werden.

Die Wurzel für diese Geringschätzung datiert erneut in der Zeit der zaristischen Expansion im 19. Jahrhundert: Selbst von Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber dem Westen und seiner nach Russland drängenden Kultur geplagt, gerieren sich die Russen im Kaukasus als „Westler“, die den „Wilden“ dort die Zivilisation bringen.

Stalin-Terror

Dass sich die Tschetschenen, Inguschen, Balkaren … ebenso vehement gegen die bolschewistische Umerziehung wehren wie zuvor gegen die zaristische Kulturnachhilfe, verzeiht ihnen der gebürtige Georgier Stalin nicht und lässt hundertausende von ihnen zur Strafe nach dem Zweiten Weltkrieg gen Mittelasien deportieren. Zurück dürfen die Überlebenden erst nach dem Ende des Stalin-Kultes 1957. Laut Politkowskaja-Berichten ist das schwere Trauma der Deportation aber noch immer spürbar: „In der panischen Furcht der tschetschenischen Bevölkerung vor einer Wiederholung und ihrer Neigung, hinter allem die Hand des KGB aufspüren und Anzeichen für eine neuerliche Vertreibung erkennen zu wollen.“

Bei allen Ähnlichkeiten und der weithin geteilten Abneigung gegen das Russische und die Russen im Kaukasus, sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Kaukasusvölkern nicht gering. Die innerkaukasische Spaltung zeigte sich besonders deutlich im September 2004, als tschetschenische Terroristen eine Schule im nordossetischen Beslan überfielen, und mehr als 300 Kinder und Erwachsene im tödlichen Gegeneinander von tschetschenischen Geiselnehmern und russischer Armee ihr Leben verloren.

Zu Russland-freundlich?

Dass die Tschetschenen Beslan auswählten, wurde mit der Russland-Freundlichkeit der Osseten erklärt und mit religiösen Unterschieden: Die Osseten sind im Unterschied zu den Tschetschenen und den meisten anderen Ethnien der Region nämlich Christen.

Im aktuellen Konflikt zwischen Georgien und Russland um Ossetien und Abchasien laufen die religiösen Trennlinien kreuz und quer und taugen nicht als Erklärungsmodell: Georgien versteht sich aufgrund seiner frühen Christianisierung und der langen Literaturtradition als Russland ebenbürtige, wenn nicht überlegene Hochkultur. Anfangs freiwillig, suchte Georgien Ende des 18. Jahrhunderts den Schutz des christlichen Russlands, um gegen den Türken-Ansturm gewappnet zu sein. Das russische Protektorat verwandelte sich jedoch schnell in eine ungewünschte Annexion.

Doch der georgische Nationalismus steht dem russischen nicht nach, drängt von Süden her nach Abchasien und Ossetien. Die beiden so von Georgiern überrannten und kolonialisierten Gebiete rächen sich, indem sie im letzten Jahrhundert die Sowjets und bis heute die Russen gegen ihre „georgischen Besatzer“ unterstützen. Und so tragen alle ihren Teil bei, für den gegenseitigen Hass im Kaukasus – bis wieder ein Soldat wie Arkadi Babtschenko im blutgetränkten Schlachtfeld liegt und sagt: „Sei verflucht, Scheißkrieg!“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung