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Am Kaukasus stoßen heute postkommunistisches Nationalkirchentum und ein gewalttätiger Islam heftig und blutig aufeinander.

Die russische Perestrojka hat eine hierzulande kaum bekannte kaukasische Vorgeschichte: 1968 veröffentlichte in Tiflis der kommunistische Ethiker Gela Bandseladse das schmale Bändchen "Über den Begriff der Menschenwürde". Darin wagte er, den einzelnen Menschen über die Partei und ihre Doktrin zu stellen. Das hätte ihn damals zur Breschnjew-Zeit eigentlich den Kopf kosten müssen. Doch fand Bandseladse einen überraschenden Beschützer im damaligen georgischen Innenminister und späteren Ersten KP-Sekretär in Tiflis, Eduard Schewardnadse. Bandseladse entwickelte sich bis zu seinem Tod 1985 zu einer Art von dessen Chefideologen.

Vordenker Schewardnadse

Schewardnadse wurde also nicht "völlig überraschend" von Gorbatschow als wichtigster Mitarbeiter an der Perestrojka nach Moskau geholt, wie das meist dargestellt wird. Er war es, der aus Tiflis die Kernidee dieser Perestrojka mitbrachte: Menschenwürde, Menschlichkeit und Menschenrechte. Der deutsche Diplomat Reinhard Bettzuege sah das völlig richtig, als er 1994 sein Buch über Perestrojka und deutsche Wiedervereinigung unter den Titel stellte "Hans Dietrich Genscher - Eduard Schewardnadse. Das Prinzip Menschlichkeit." Als Präsident des postkommunistischen Georgiens hatte es Schewardnadse dann zwischen 1992 und 2003 immer schwerer, dieses sein Hauptanliegen angesichts des neuen Nationalismus und Konfessionalismus im ganzen Kaukasus durchzusetzen. Sein Auftreten gegen georgische Judenverfolgungen und gegen die Gewaltakte zu Lasten evangelischer Christen sowie sein - vereiteltes - Bemühen um ein Konkordat mit dem Vatikan sind aber Beweise dafür, dass er sich nicht gewandelt hatte.

Bei den heutigen Bemühungen um interreligiöse Verständigung und Religionsfreiheit im Kaukasus werden die Ideen von Bandseladse wiederentdeckt. So hat ein erstes Treffen von Kirchenführern mit islamischen Geistlichen in Tiflis dem Unfehlbarkeitsanspruch von Glaubenslehren und religionsrechtlichen Vorschriften, die zu Fanatismus, Intoleranz und Fanatismus führen, die "Würde und Entscheidungsfreiheit der menschlichen Person" entgegengestellt. Wie das übrigens schon vom II. Vatikanischen Konzil ganz ähnlich formuliert wurde.

Kaukasusschwaben

Diese und andere neue Aspekte der Kaukasusforschung hat das Seminar "Menschen, Mächte, Mythen - Die Genesis ethnischer Konflikte am Beispiel des Kaukasus" vorgestellt. Dazu hatte Mitte März das "Internationalen Institut für Nationalitätenrecht und Regionalismus" (INTEREG) gemeinsam mit dem "Arbeitskreis für Volksgruppen-und Minderheitenfragen" in die "Akademie Mitteleuropa" am Heiligenhof bei Bad Kissingen eingeladen. Namhafte Kaukasuskenner wie der Kirchenhistoriker Rudolf Grulich aus Gießen oder der Berliner Fachmann für kaukasische Filme, Hans Joachim Schlegel, kamen zu Wort. Ortfried Kotzian aus München stellte spannende Bezüge zwischen Donauschwaben und den meist schwäbischen Kaukasusdeutschen her. Hauptthema blieb jedoch die in Georgien und Abchasien, in Bergkarabach und Ossetien, Tschetschenien oder Dagestan unter die Räder gekommene Menschlichkeit.

Humanität ist am Kaukasus das einzige wahre Heilmittel gegen den tief eingewurzelten nationalen und religiösen Hass. Der inzwischen wieder viel gepriesene kommunistische Internationalismus hat gerade in diesem Raum voll daran versagt, die ethnischen und konfessionellen Gegensätze zu überbrücken. Weitgehend wurden diese sogar durch die Nationalitätenpolitik Stalins erst richtig angefacht: Um die Kaukasusvölker zu schwächen und gegeneinander auszuspielen, spaltete er das armenische und das ossetische Siedlungsgebiet auf, zersplitterte Georgien durch künstliche Selbstverwaltungsgebiete oder fasste gegensätzliche Volks-und Religionsgruppen zu einer Verwaltungseinheit zusammen, wie Tschetschenen und Inguschen, Tscherkessen und Karatschai-Türken, Abchasen und Georgier.

Blutrache und Terror

So liegt den meisten Kaukasuskonflikten von heute die böse Saat Stalins zugrunde. Das gilt besonders für die grausame Aussiedlung der Tschetschenen nach Zentralasien 1944, von wo sie bei ihrer Rückkehr in der Perestrojka nur bittere Entschlossenheit zu Rache und Vergeltung heimgebracht haben.

Wurde von Stalin bis Breschnjew die Zuversicht propagiert, dass wenigstens die jungen Generationen von Georgiern, Aserbaidschanern, Tschetschenen oder Tscherkessen in der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol zusammenfänden und ihre Gegensätze vergäßen, so stellte dem 1968 der gleichzeitig mit Bandseladses Buch gedrehte kaukasische Kultfilm "Das Gebet" ein zähes Beharren von archaischen Blutritualen und der Blutrache gegenüber.

Der heutige "islamische Terrorismus", der vor allem durch die Tschetschenen vom Kaukasus bis Moskau getragen wird, geht nach offizieller russischer Sprachregelung auf fundamentalistische Indoktrinierung durch das wahabitische Saudi-Arabien und das Eindringen von El Kaida zurück. Tatsächlich ist aber der kaukasische Islam, was seine religiöse Seite betrifft, ein erfreuliches, von der Sufi-Mystik geprägtes Phänomen. Wie schon unter den Zaren handelt es sich heute gerade bei den Tschetschenen nicht um den "Heiligen Krieg", sondern um einen Überlebens-und Befreiungskampf, in dem natürlich auch der Islam, aber nur als Teil des bodenständigen Erbes eine Rolle spielt, das es gegen die Russen zu verteidigen gilt.

Hingegen tritt die russisch-orthodoxe Kirche im Kaukasus sehr wohl mit regelrechter Kreuzfahrermentalität auf, zum Teil sogar gegen die georgischen Glaubensgeschwister, die auf ihrer eigenen Kirchenkultur bestehen.

"Schwarze Witwen"

Auch die seit den Anschlägen von Moskau und Beslan gefürchteten "Schwarzen Witwen" der Tschetschenen finden die Motivation, den Tod ihrer Männer und Verwandten durch Terror gegen Russen zu rächen, in eigenen alten Traditionen. So im Beispiel der Fürstentochter Eliso, die bei der ersten Vertreibung von 1864 in die Türkei die Zelt-Residenz ihres Vaters in Brand steckte. Dort hatten sich die zaristischen Kosaken schon häuslich niedergelassen und kamen in den Flammen um.

Dem gegenüber mehren sich inzwischen Beispiele gezielter islamistischer "Bearbeitung": Frauen und Mädchen werden entführt, religiös aufgeputscht, sogar mit Drogen gefügig gemacht und als Selbstmord-Attentäterinnen losgeschickt. Sie wissen in den meisten Fällen gar nicht, dass sie selbst als Opfer mitbestimmt sind!

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