"Unschuldig im Mühlrad der Weltgeschichte"

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Im Frühjahr 2002 stand eine besorgte Mutter in der Tür des Bremer Rechtsanwalts bernhard docke und sagte: "Mein Sohn ist Häftling in Guantánamo Bay!" Seit dieser Zeit kämpft Docke für die Freilassung des mittlerweile 25-jährigen Murat Kurnaz, der einen Monat nach dem 11. September 2001 nach Pakistan reiste und als "feindlicher Kämpfer" im karibischen US-Gulag landete.

Die Furche: Herr Docke, es hat schon öfters geheißen Murat Kurnaz werde aus Guantánamo entlassen und dann ist nichts daraus geworden - was macht Sie jetzt zuversichtlich, dass eine Freilassung kurz bevorsteht?

Bernhard Docke: Die Anhaltspunkte verdichten sich, dass die Freilassung nicht mehr lange dauert. Seit Januar verhandelt Deutschland direkt mit den usa; Frau Merkel hat bei ihrem Antrittsbesuch in Washington die Initiative ergriffen und sich damit selbst unter Erfolgszwang gesetzt. Es wäre auch gut, wenn die Freilassung noch vor der Deutschland-Reise von Präsident Bush im Juli stattfindet, ansonsten wird dieses Thema den Besuch schwer belasten. Aber es fehlt ja nur noch eine Unterschrift der Amerikaner, um die letzte Schranke zu heben.

Die Furche: Und warum unterschreibt diesen letzten Wisch keiner?

Docke: Die Amerikaner wollen Sicherheitsgarantien und eine Rundumüberwachung von Herrn Kurnaz - da in Deutschland aber kein Strafverfahren gegen ihn läuft, ist das mit unserem Recht gar nicht vereinbar.

Die Furche: Das schaut eher danach aus, als wollten die Amerikaner gesichtswahrend raus aus der Sache.

Docke: Ja, das ist eine Alibihandlung; die usa möchten aus der Sache rauskommen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass sie jemanden fast fünf Jahre umsonst in einer tropischen Hölle gequält haben. Deshalb muss es nach außen so erscheinen, als ob Murat Kurnaz immer noch ein ganz gefährlicher Bursche sei.

Die Furche: Was er aber nicht ist.

Docke: Und das sage nicht nur ich als sein Anwalt - aus heute offengelegten Dokumenten wissen wir: Die usa und die deutsche Bundesregierung haben sich schon im Jahre 2002 gegenseitig versichert, dass Herr Kurnaz weder gefährlich ist, noch dass ihm irgendwelche Straftaten nachgewiesen werden können.

Die Furche: Als die Furche Sie 2004 in Ihrer Kanzlei in Bremen interviewte und auch in späteren Gesprächen sind Sie davon ausgegangen, dass allein bei den Amerikanern die Schuld an der unrechtmäßigen Gefangenschaft von Murat Kurnaz liegt...

Docke: Diese Bild hat sich erst seit kurzem massiv verändert: Aus einem Bericht an das parlamentarische Kontrollgremium in Deutschland geht hervor, dass die Amerikaner im Oktober, November 2002 der deutschen Seite die Freilassung von Murat Kurnaz angeboten haben - nachdem die us-Vernehmer gesehen hatten, dass er tatsächlich ein kleines Licht ist und keine Straftaten begangen hat. Murat Kurnaz wäre als einer der ersten Gefangenen aus Guantánamo entlassen worden. Und nachdem Deutschland abgelehnt hat, sollen die Amerikaner sehr verärgert reagiert haben.

Die Furche: Warum aber hat Deutschland abgelehnt?

Docke: Auf deutscher Seite soll diese Entscheidung auf der Sicherheitsschiene stattgefunden haben, also zwischen den Geheimdiensten und dem Bundeskanzleramt und hinter dem Rücken des Auswärtigen Amtes. In der Zeit hat sich niemand aktiv auf diplomatischer und politischer Ebene für Murat Kurnaz eingesetzt - weder auf türkischer noch auf deutscher Seite. Und erst Ende letzten Jahres hat das Verwaltungsgericht Bremen auf unsere Klage hin entschieden, dass die Aufenthaltsrechte von Herrn Kurnaz in Deutschland nach wie vor bestehen.

Die Furche: Letztlich ist aber die Freilassung von Murat Kurnaz in deutscher Hand gelegen...

Docke: ...und daraus ergibt sich natürlich eine politische, moralische und juristische Mitverantwortung - durch die deutsche Ablehnung der Freilassung ist Herr Kurnaz schließlich vier Jahre länger dort gesessen.

Die Furche: Stichwort: juristische Mitverantwortung - werden Sie den Fall nach der Freilassung von Herrn Kurnaz nicht zu den Akten legen?

Docke: Es gibt Dinge in diesem Fall, die sind sehr bitter: Es tut mir für diesen Mann wahnsinnig leid, als Unschuldiger in das Mühlrad der Weltgeschichte geraten zu sein. Was für juristische Nachspiele das noch haben kann, werde ich mit Herrn Kurnaz, wenn er endlich einmal frei ist, durchsprechen. Das muss er entscheiden, ob er das will - vielleicht will er auch nur seine Ruhe haben.

Die Furche: Als Deutscher haben Sie Ihren Klienten nie besuchen dürfen - wissen Sie, wie es ihm geht?

Docke: Mein amerikanischer Kollege war Anfang Mai bei ihm und berichtete, dass Herr Kurnaz sehr froh ist, dass Bewegung in seinen Fall gekommen ist und sehr gerne nach Bremen zurückkommt. Herr Kurnaz wird nicht zu den Leuten gehören, die dann als religiöse Eiferer durch das Land ziehen, sondern er will das eher im Stillen aufarbeiten. Er wird sicher psychotherapeutischen Behandlungsbedarf haben und ich gehe davon aus, dass er ein schweres Trauma erlitten hat - ich kann ihm nur wünschen, dass er sich davon einmal wieder befreien kann.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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