Venezuelas letzte Stimme der Moderation

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Ihre Absetzung stand schon im Drehbuch und musste nur noch vollzogen werden. Mehr als zwei Dutzend Sicherheitskräfte hatten den Amtssitz von Luisa Ortega Díaz in der venezolanischen Hauptstadt Caracas umstellt und hinderten die streitbare Generalstaatsanwältin daran, ihr Büro zu betreten. Wenig später beschloss die Verfassunggebende Versammlung einstimmig ihre Amtsenthebung. Die prominente Juristin hat sich in den vergangenen Monaten zur glaubwürdigsten Gegnerin von Präsident Nicolás Maduro gemausert. Glaubwürdig, weil sie noch vor einem halben Jahr zum Lager des polternden Sozialisten gerechnet wurde. Die 59-Jährige hatte einst Hugo Chávez, Begründer des Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Venezuela, als Beraterin gedient. Der war mit ihr so zufrieden, dass er sie vor zehn Jahren zur Generalstaatsanwältin beförderte. Ihre Wiederwahl durch die damals noch von Chavisten dominierte Nationalversammlung nach sieben Jahren Amtszeit war Formsache. Ihr zweites Mandat läuft erst 2021 ab. Luisa Ortega hat sich nicht nur als überzeugte Sozialistin, sondern auch als akribische Juristin gezeigt. Von den Vorwürfen gegen Oppositionelle, deren Festnahme sie anordnete, muss sie überzeugt gewesen sein. Als die Opposition bei den Wahlen 2015 eine breite Mehrheit im Parlament gewann, begann ein Machtkampf, der auf der Straße mit Gewaltbereitschaft geführt wurde. Im März versuchte der Oberste Gerichtshof auf Geheiß Maduros, die Gegenspieler im Parlament kaltzustellen. Angesichts dieses klaren Verfassungsbruchs schlug die Stunde Ortegas. Sie erklärte die Verfügung für ungültig und die Richter knickten ein. Wenig später machte sie sich bei den Sicherheitskräften unbeliebt, als sie bei einer Pressekonferenz die Gebrauchsanweisung auf einer Tränengasgranate verlas: "Nicht auf Menschen schießen." Laut einer Untersuchung war der junge Demonstrant Juan Pernalete von einer solchen getötet worden. Die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung Ende Juli lehnte Ortega ab. Sie sah keine Veranlassung, die geltende Verfassung, die vor 15 Jahren unter Chávez nach breitem Diskussionsprozess mit hoher Zustimmung beschlossen wurde, wieder zu entsorgen. Nur konsequent, dass sie ihre Absetzung durch dieses vorwiegend aus Maduro-Getreuen zusammengesetzte Scheinparlament nicht anerkennt. Maduro wird sich bald fragen müssen, ob er sich nicht ins eigene Knie schießt, wenn er eine der letzten moderaten Stimmen im hochgradig polarisierten Land zum Schweigen bringt.

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