Die Chance der "Verbuntung“

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Auswählen zu können wird im Allgemeinen als angenehm empfunden; Wahlmöglichkeiten zu haben gibt ein Gefühl der Freiheit. Es gibt allerdings auch die Qual der Wahl. Sie macht sich bemerkbar, wenn zu viele Alternativen zur Verfügung stehen oder wenn man glaubt, dass die Wahlentscheidung schwerwiegende Konsequenzen haben kann.

Früher hatte man wenig "Chancen“, seine Religion zu wählen. Man wurde in sie hineingeboren (oder musste sie mit der politischen Herrschaft wechseln). Der moderne Mensch - so der Religionswissenschaftler Peter L. Berger - könne alles wählen, nur nicht, ob er wählen will. Es herrsche ein "Zwang zur Häresie“, der alle wichtigen Fragen des Lebens betreffe - die Religion nicht ausgenommen.

Paul Michael Zulehner, Soziologe und Pastoraltheologe, verfolgt seit Jahrzehnten die Auswirkungen dieser Situation; und er tut dies anhand großangelegter empirischer Studien. In ihnen wurde und wird untersucht, wie sich Biografie, Lebensumfeld, mediale Kommunikation, Milieus etc. auf Religiosität und Kirchlichkeit auswirken. In seinem jüngsten Buch "Verbuntung“ (Schwabenverlag 2011) hat er Befunde aus den letzten 40(!) Jahren zusammengetragen, dokumentiert und interpretiert. Es ist - nicht nur für zahlengewohnte Sozialwissenschaftler - aufregend und anregend.

So manche Diskussion über die christlichen Kirchen oder "das muslimische Feld“ würde anders verlaufen, wenn man seine Ergebnisse mitberücksichtigte: gelassener, mit Blick auf lange Entwicklungswellen - und optimistischer. Anstelle einer automatischen Säkularisierung in der Moderne sieht Zulehner eine zunehmende "Verbuntung“. Zulehner verschweigt nicht die Probleme, die aus dieser Entwicklung kommen können. Er verweist aber auch auf die große Rolle, die religiöse Gemeinschaften in der angeblich so säkularisierten Welt spielen (können). Er hat "die Kunst des Weitblicks“ lang geübt - als Soziologe, Theologe und buchstäblicher Zeitgenosse.

* Der Autor ist Konsulent bei GfK Austria

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