Kirche für bunte Hunde

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Aus "Kamelen" und "Schafen" bestehend definiert sich die Gemeinde in der Wiener Ruprechtskirche, die mitten im "Bermudadreieck" liegt.

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Aus "Kamelen" und "Schafen" bestehend definiert sich die Gemeinde in der Wiener Ruprechtskirche, die mitten im "Bermudadreieck" liegt.

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Wiens Bermudadreieck, das wegen seiner Unberechenbarkeit nach dem Vorbild im Atlantik benannt wurde, ist über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Inmitten der Beislszene befindet sich aber auch die älteste Kirche Wiens, und dieser Umstand verlangt schon aufgrund des Kontrastes einer Erwähnung.

Die Gemeinde der Ruprechtskirche feiert kommenden Samstag die offizielle Wiedereröffnung und Segnung ihrer neurenovierten Kirche, deren Gründung - der Legende nach - auf die Initiative des Salzburger Bischofs Rupert im Jahre 740 zurückgeht. Damit hat nach den Worten von Kirchenrektor Pater Joop Roeland "die jüngste Gemeinde in der ältesten Kirche" ihre einfache, aber gediegene Heimat zurückbekommen.

Den Ursprung hat die Rektoratsgemeinde St. Ruprecht im Jahr 1986. Studenten rund um den damaligen Hochschulseelsorger Roeland bildeten die Basis, zu der sich sehr bald andere, auch aus der älteren Generation, dazugesellten. Aus den ehemaligen Studenten wurden Familien mit Kindern, und so braucht es nicht zu wundern, daß Taufen und Erstkommunionfeiern zum festen Bestandteil der jungen Gemeinde geworden sind. 1996 stand zum erstenmal eine Firmung im liturgischen Kalender. Besonderes Augenmerk wurde von Beginn an auf eine zeitgemäß erneuerte Liturgie gelegt. Jeder Gemeindegottesdienst wird vom Liturgiekreis vorbereitet: eine anspruchsvolle und aus dem Leben der Gemeinde schöpfende Messe wird so gestaltet. Die Gottesdienstfeier am Samstagabend um 17.00 Uhr ist dann nicht nur krönender Abschluß intensiver Vorbereitungsarbeit, sondern auch die wichtigste Säule im Glaubensleben der St. Ruprechter. Erwähnenswert ist noch die Kreativität bei der Auswahl des Liedguts. Mit der Zeit entwickelte sich ein eigener Musikstil, wobei ein von Gemeindemitgliedern komponiertes und getextetes "Weihnachtsoratorium", den vorläufigen Höhepunkt darstellt.

Kunst und Gedenken Einen zweiten Schwerpunkt bildet in St. Ruprecht die Auseinandersetzung mit moderner Kunst. Künstlerische Objekte im Kirchenraum, Literaten und Musiker, die aktiv die Gottesdienste mitgestalten, sollen Anknüpfungspunkte zwischen Glauben und Kunst ermöglichen und zur gegenseitigen Befruchtung beitragen.

Im hinteren Teil des Kirchenschiffs sticht dem Besucher ein Reliquienschrein mit den leiblichen Überresten des heiligen Vitalis, eines Märtyrers aus Salzburger Landen, ins Auge. Nicht ohne guten Grund wurde die Reliquie an dieser Stelle aufgestellt. Der Blick geht in Richtung Morzinplatz, zum ehemaligen Standort des Gestapo-Hauptquartiers in Wien. Der Märtyrer Vitalis soll an die Menschen erinnern, die aufgrund ihres Religionsbekenntnisses zum Tod verurteilt wurden. Den Geschehnissen rund um die Judenverfolgung gedenkt die Gemeinde jährlich am Jahrestag der Novemberpogrome 1938. Mit einem ökumenischen Gottesdienst, zu dem auch eine Prozession an der in nächster Nähe der Ruprechtskirche gelegenen jüdischen Synagoge vorbei zum Mahmal auf dem Morzinplatz gehört, versuchen die Gemeindemitglieder dem Auftrag, der ihnen aus der besonderen geographischen Lage ihrer Kirche erwächst, gerecht zu werden. Die Glasfenster der Ruprechtskirche, 1994 von der Künstlerin Lydia Roppolt gestaltet, betonen mit ihrer thematischen Ausrichtung ebenfalls die jüdischen Wurzeln des Christentums.

Selbst definiert sich die Ruprechtsgemeinde als offen, demokratisch und urban. Hierarchie, die Geltung beansprucht, ist allein die Einteilung der Gemeindemitglieder in "Kamele" und "Schmetterlinge". Für Walburga Linnau, selbst eine "Kameldame", tragen die "Kamele" die Gemeindearbeit und sind erste Ansprechpartner, bei allem was an Organisation zu leisten ist. Die "Schmetterlinge" stehen in loserem Kontakt zur Gemeinde und sorgen dafür, daß in St. Ruprecht immer wieder neue Gesichter zu sehen sind. Beide Gruppen sind "bunte Hunde" in der Kirche Wiens. Der heilige Rupert dürfte seine Freude an diesem Zoo haben!

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