Vorrang für den Brutalsten

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Mit "We Feed The World" landete er einen Überraschungserfolg. Dass die Finanzkrise seinen Film "Let's Make Money" brandaktuell macht, überrascht Regisseur Erwin Wagenhofer nicht.

Drei Jahre wendete Erwin Wagenhofer für seinen Film "Let's Make Money" über den Wahnsinn der Weltfinanz auf. Die aktuelle Finanzkrise macht sein jüngstes Opus brisanter denn je.

Die Furche: Sind Sie mit Ihrem Film zu spät dran - die Realität hat "Let's Make Money" ja längst eingeholt?

Erwin Wagenhofer: Nein, die Frage ist nur, wie wir jetzt darauf reagieren. Wenn es nur so ist, wie das angekündigt wurde, dann hat die Krise offensichtlich überhaupt keinen Sinn gehabt - außer, dass sie viel Geld vernichtet hat. Es hat nur einen Sinn, wenn wir merken, dass das System falsch ist. Der materielle Wachstumswahn ist falsch. Wenn wir da keinen dritten Weg finden, kann und wird es immer eine nächste Krise geben. Es wird in die falsche Richtung umverteilt.

Die Furche: Ihr Film ist ein Plädoyer für diese Sicht der Dinge. Sie präsentieren das auf einer stark emotionalen Ebene. Auf der anderen Seite ist viel Wissen und Darstellung von Zusammenhängen notwendig.

Wagenhofer: Der Film ist das Schwierigste, das ich je gemacht habe. Film ist ein emotionales Medium. Er wird mit den Sinnen aufgenommen und ist daher sehr brachial. In einem Buch oder in einer Zeitschrift kann man Inhalte viel besser vermitteln. Ich wollte aber Inhalte transportieren und sagen: "Freunde, das ist keine Naturkatastrophe, die über uns hereingebrochen ist, auch keine Strafe des lieben Gottes. Das ist alles selbstgemacht." Daher versuche ich ansatzweise wirtschaftspolitische Strategien wie etwa den Washington Consensus zu erklären. Diese Mindestanforderung an Vorwissen versuche ich zu liefern, damit man das nächste Kapitel im Film versteht. Da die Balance zu finden, war unfassbar schwer.

Die Furche: Wie sind Sie da vorgegangen?

Wagenhofer: Ich möchte so "filmisch" wie irgendwie möglich arbeiten: keinen Off-Text, wie es das Fernsehen macht. Ich habe genau nach den Leuten gesucht, die glaubwürdig reden können, Experten oder Leute, die dabei sind. Zum Beispiel jemanden vom Think Tank "Mont Pelerin Society". Dann gehen wir zu diesem Ort und haben somit gleich das Motiv. Das ist viel besser, als wenn ich selber diese Erklärungen gebe. Außerdem ist das filmischer.

Die Furche: Aber versteht man die Sprache dieser Leute?

Wagenhofer: Da ist es von Vorteil, dass ich kein Wirtschaftsfachmann bin. Wenn ich es nicht verstehe, dann verstehen es die anderen auch nicht. Wir leben da alle mit Scheuklappen - in einem eigenen sozialen Bereich. Die Banker reden ihre Bankersprache und denken, dass das gut ist. Die glauben ja a priori nicht, dass das schlecht ist: Gewinn kann nicht schlecht sein. Wachstum kann nicht schlecht sein. Was soll an Liberalität schlecht sein? "Liberal" - da denkt man an Freiheit. Aber die meinen Befreiung von allen Regeln. Stellen Sie sich vor, der Autoverkehr wird von allen Regeln befreit. Was hätten wir da für ein Chaos! Dann würden sich anarchische Regeln bilden - der Brutalste hat Vorrang. Genau das erleben wir jetzt auf den Finanzmärkten. Mit dem Ergebnis, dass die, die umgefahren worden sind, das Ganze zahlen müssen.

Die Furche: Auch das Thema Cross Border Leasing zeigen Sie über Bilder: Sie haben ein Schild in einer Wiener Straßenbahn gefilmt, wo steht, das diese Straßenbahn einer Bank in Connecticut gehört. Wie findet man solche Bilder?

Wagenhofer: Das ist der Job des Filmemachens. Filmemachen ist die ewige Suche nach der Perspektive und nach der Einstellung.

Die Furche: Sie erklären komplexe Sachverhalte mit einfachen Bildern.

Wagenhofer: Wenn das nicht gelingt, habe ich versagt. Viele Filmemacher sagen dann, das Publikum ist zu blöd. Ich sage, dann habe ich einen Fehler gemacht. Das wichtigste im Kino sind nicht die Filme, sondern die Leute, die sie anschauen.

Die Furche: Sie haben auch Protagonisten gewonnen, die nicht als die Guten wegkommen, etwa Mirko Kovats. War dem seine Rolle bewusst?

Wagenhofer: In diesem Film ist alles legal, da gibt es keine Wirtschaftskriminalität. Auch was der Kovats macht, ist legal, hin und wieder hat er halt einen Prozess oder einen Konkurs, den dann letztendlich wir bezahlen - aber das kommt im Film nicht vor. Er muss ja auch einen Vertrag unterschrieben, dass er für den Film zur Verfügung steht. Außerdem sind Leute wie er gewohnt, mit Medien zu sprechen. Das einzige, was Kovats nicht weiß, ist, wie das Ganze montiert ist. In der Montage kommt er dann nicht so gut weg. Natürlich schauen wir uns dann auch an, wie die anderen Leute in Indien leben - und zynischer wie er redet keiner im Film. Er sagt ja etwa, die werden ewig arm bleiben …

Die Furche: Die Protagonisten treten aus der Tagesaktualität heraus. Die Konkurse des Mirko Kovats werden eben nicht thematisiert. Ist das ein Strukturprinzip Ihres Filmes?

Wagenhofer: Ja, teilweise aus einer Not heraus. Bei Kovats war eigentlich etwas ganz anderes ausgemacht. Daher mussten wir ihm eher lästig sein. Wir haben dann überlegt, was machen wir mit dem Burschen? Da haben wir ein Auto mit einem Fahrer gemietet, so ist er zumindest da gewesen, solange die Fahrt gedauert hat: Das ist die Stärke des Dokumentarfilms, wenn ich da bin mit der Kamera. Dann geht er durch seine Firma in Chennai (dem früheren Madras) in Südindien. Da ergeben sich Dinge, die man nicht inszenieren kann: Wenn er dann durchgeht und seine Firma fotografiert - warum fotografiert er seine Fabrik? Weil er zum ersten Mal dort ist. Er weiß nicht einmal, was die Firma herstellt …

Die Furche: Womit wird sich Ihre nächste Arbeit beschäftigen?

Wagenhofer: Das wird ein Film über die Liebe. Das habe ich schon lang vor. Die letzten Themen waren so schwer, die saugen einen aus.

Das Gespräch führte Otto Friedrich

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