Versklavte Wegwerfkörper

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Heute muss man Menschen nicht mehr mit Gewalt verschleppen; mit wenigen Versprechungen lassen sie sich massenhaft aus ihrer Armut in die Sklaverei locken.

Heute gibt es mehr Sklaven, als seinerzeit von Afrika nach Amerika verschifft wurden. In Schätzungen geht man von weltweit 27 Millionen aus. In den Jahrhunderten nach Columbus' folgenschwerer Entdeckung Amerikas blühte der Sklavenhandel, weil es nicht genügend Arbeitskräfte in der neuen Welt gab. Der Durchschnittspreis für einen Sklaven im Jahr 1850 betrug nach heutigem Geld knapp 40.000 Euro. Heute boomt die Sklaverei aus dem umgekehrten Grund: Weil es zuviele Menschen gibt, die Arbeit und ein besseres Leben suchen. Und der Preis für moderne Sklaven schwankt zwischen 1.500 und 2.000 Euro, die Zuhälter und Bordellbesitzer in Bosnien für Osteuropäerinnen bezahlen, und zwei Euro Stundenlohn für einen marokkanischen Landarbeiter in einer spanischen Gemüseplantage.

Sklavenkauf ohne Quittung

Heute muss man Menschen nicht mehr mit Gewalt verschleppen, mit wenigen Versprechungen lassen sie sich massenhaft aus ihrer Armut in die Sklaverei locken. Heute müssen sich die Sklavenhalter keiner rassistischen Ideologie mehr bedienen. Oft gelten sie als Vertreter eines nüchternen Kapitalismus': Milorad Milakovic´, der berüchtigte, mittlerweile festgenommene bosnische Frauenhändler, fragte einen Reporter vom National Geographic Magazine, warum sich dieser bloß so aufrege: "Auch Fußballer werden verkauft und gekauft, wo liegt da der Unterschied zum Frauenhandel?" Und wenn die Sklaven verbraucht sind, die Produktivität nachlässt, sie nicht genügend Rendite abwerfen - dann werden sie entsorgt, liegen gelassen oder gar umgebracht.

"Wegwerfkörper", nennt das der Sklavereiexperte Kevin Bales. "Die neuen Formen der Sklaverei sind optimal auf die Erfordernisse der globalisierten Ökonomie zugeschnitten", schreibt der Soziologe und Anti-Slavery-International-Aktivist auf der Homepage der ältesten Menschenrechtsorganisation der Welt, gegründet 1839 (www.antislavery.org). "Die neue Sklaverei eifert der Weltwirtschaft nach", fügt Bales hinzu, "löst sich von Besitzständen und Vermögensverwaltung, konzentriert sich auf die Nutzung und Kontrolle von Ressourcen und Prozessen."

Wer sich heutzutage Sklaven kauft, verlangt keine Quittung oder Eigentumsurkunde, sondern erwirbt Verfügungsgewalt über einen anderen. Für die Sklavenhalter ist es sogar von Vorteil, nicht die rechtmäßigen Besitzer zu sein, da sie so die Sklaven völlig ihrer Kontrolle unterwerfen können, ohne irgendwelche Verantwortung übernehmen zu müssen.

Beispiel Gemüseanbau an der spanischen Mittelmeerküste: Unter einem Meer von Plastikplanen vegetieren nicht nur Tomaten, Pfefferoni, Gurken, Melonen und Orangen, sondern auch Tausende Erntearbeiter aus Marokko, Senegal und Osteuropa. Je nach Auftragslage braucht der Plantagenbesitzer einmal viel, einmal wenig Arbeitskräfte. Der Bauer wird von den großen Handelsketten unter Druck gesetzt, muss "just in time" liefern, braucht daher eine Reservearmee von Landarbeitern, gestellt von illegal eingewanderten Arbeitsmigranten.

Diese Missstände sind nicht auf Andalusien beschränkt: Ganz Europa schafft derzeit eine Unterschicht von Zeitarbeitern, die ständig ausgewechselt wird. In den Niederlanden ist ein Drittel der schätzungsweise 100.000 illegal Beschäftigten in der Blumen- und Gemüseerzeugung tätig, geht aus einer Auflistung von Le monde diplomatique hervor. In Österreich wurde 2002 das Beschäftigungsmodell des "Erntehelfers" auf alle Wirtschaftsbereiche, für die es Kontingente gibt, ausgedehnt. Jetzt ist das Modell der Saisonarbeit nicht zwangsläufig schlecht und eine Form von Ausbeutung und Sklaverei. Aber auch hier gilt das Paradoxon der Globalisierung: Manchen Menschen wie Ländern kann sie zu Wohlstand verhelfen, anderswo aber zum Rückfall in die Barbarei führen.

UN-Sklaven-Inspektoren?

In praktisch jedem Supermarkt sind Waren zu finden, von Menschen hergestellt, die selber zu Waren gemacht wurden. Das Wissen um den Skandal der Sklaverei genügt aber nicht, es müssen auch die Konsequenzen daraus gezogen werden: im privaten Bereich und im öffentlichen: Wo sind die UN-Inspektoren, die Sklaverei aufspüren? Warum verhängt die WTO keine Strafen, wenn von Sklaven hergestellte Güter exportiert werden? Warum sorgt man sich mehr um Softwarepiraterie und gefälschte Designeruhren, als um Sklaverei? Das fragt Aktivist Kevin Bales; er rechnet sich trotzdem Chancen aus, dem Sklavenhandel beizukommen. Bales meint, dass die Sklavenhalter heute angreifbarer sind als je zuvor. Warum? Sie haben die öffentliche Meinung gegen sich, sagt Bales, und "die öffentliche Meinung kann jede Kette sprengen".

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