Khaled Hakami zu Meike Stoverocks "Female Choice"

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„Female Choice“: Die Krise der Männlichkeit ergibt sich aus dem uralten Prinzip der weiblichen Partnerwahl, so Meike Stoverock in ihrem umstrittenen Buch. Was sagt ein Anthropologe dazu?

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„Female Choice“: Die Krise der Männlichkeit ergibt sich aus dem uralten Prinzip der weiblichen Partnerwahl, so Meike Stoverock in ihrem umstrittenen Buch. Was sagt ein Anthropologe dazu?

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DIE FURCHE: Welche Rolle spielt das Prinzip der „Female Choice“ bzw. die männliche Konkurrenz um die Frauen bei den Jägerund Sammlerinnengesellschaften?
Khaled Hakami:
Bei den Maniq in Thailand, wo ich geforscht habe, gibt es keine „Female Choice“, und in der Jäger- und Sammlerforschung habe ich noch nie davon gehört. Im Buch „Female Choice“ bringt Meike Stoverock Beispiele aus dem Tierreich, berücksichtigt aber kaum Evidenzen von tribalen Gesellschaften. Schon da fehlt der Beweis, und die Beweislast liegt bei der Autorin. Offensichtlich macht sie dieselben Fehler wie die Verhaltensforscher Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt, die ebenso von menschlichen Universalien mit kultureller Relevanz ausgegangen sind. Doch diese Universalien gibt es gar nicht, wie der ethnographische Befund belegt.

Khaled Hakami

Khaled Hakami lebte viele Monate bei den Maniq, einer der weltweit letzten Jäger- und Sammlerinnengesellschaften, im Dschungel von Thailand. Seither vermittelt der Anthropologe an der Uni Wien Einblicke in eine fremde Welt, die viele Grundannahmen der Humanwissenschaften ins Wanken bringt.

Khaled Hakami lebte viele Monate bei den Maniq, einer der weltweit letzten Jäger- und Sammlerinnengesellschaften, im Dschungel von Thailand. Seither vermittelt der Anthropologe an der Uni Wien Einblicke in eine fremde Welt, die viele Grundannahmen der Humanwissenschaften ins Wanken bringt.

DIE FURCHE: Aber die biologische Forschung zeigt doch, dass die evolutionäre Vergangenheit auch heute noch in unserem Körper wirksam ist ...
Hakami:
Natürlich sind wir biologische Wesen, aber unser Verhalten ist kulturell determiniert. Zwischen Mensch und Tier gibt es da nicht nur einen quantitativen, sondern einen qualitativen Unterschied. Das heißt als soziales Wesen funktioniert der Mensch ganz anders. Schimpansen oder andere Primaten etwa verhalten sich bei der Partnerwahl weitgehend ähnlich, bei Menschen ist die Variation des Verhaltens unendlich größer. Das hebelt sämtliche Triebargumente aus. Biologische Prinzipien zu Verhaltensmustern sind beim Menschen nicht gültig. Auch das Verhältnis der Geschlechter hat beim Menschen nichts mit Biologie zu tun. Es ist sogar eher umgekehrt: Unsere Biologie wird maßgeblich von Kultur bestimmt.

Unser Verhalten ist kulturell determiniert. Das Verhältnis der Geschlechter hat beim Menschen nichts mit Biologie zu tun.

DIE FURCHE: Seit Sigmund Freud wird darüber debattiert, wie mächtig die menschliche Sexualität auch im Hinblick auf kulturelle Entwicklungen ist. Was sagen Sie als Feldforscher dazu?
Hakami:
Freuds Theorien sind schon lange widerlegt, und selbst wenn ein Phänomen universal ist, bedeutet dies nicht, dass es biologisch determiniert ist: Alle menschlichen Gesellschaften verwenden das Feuer, aber gibt es deswegen schon einen universalen Feuertrieb? Menschen streben nach sexuellem Kontakt, aber gibt es deshalb schon einen universal ausgeprägten Sexualtrieb? Manche leben ja auch freiwillig im Zölibat oder asexuell. Im Gegensatz zu Tieren begehen Menschen auch Suizid, und in vielen Kulturen gibt es sogar Infantizid, also bewusste und selektive Kindstötung. Gerade wenn es um Geburt, Sex oder Sterben geht, kann man Menschen nicht mit Tieren vergleichen.

HINWEIS: Die FURCHE-Ausgabe, in der dieser Beitrag erschienen ist, war dem Thema „Frau sein“ gewidmet. Als Einladung zum Perspektivenwechsel wurde bei im Text erwähnten Personengruppen grundsätzlich die weibliche Form verwendet.

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