Immervoll Fassade - © Foto: Axel Simon

Hermann Czech: Der Architektur-Denker

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Hermann Czech hat sich und uns zu seinem 85. Geburtstag mit einer Sammlung von Schriften und Gesprächen zur Architektur beschenkt.

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Hermann Czech hat sich und uns zu seinem 85. Geburtstag mit einer Sammlung von Schriften und Gesprächen zur Architektur beschenkt.

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Architekten und Architektinnen, die schreiben, sind eine rare Spezies. Hermann Czech zählt eindeutig dazu. Seine Texte sind pointiert formuliert, zeugen von umfassender Bildung und dem dringenden Bedürfnis, klar Stellung zu beziehen. Oft referenzieren sie auf Otto Wagner, Adolf Loos und Josef Frank, die sich mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigten. Die Beziehung zwischen ihren Schriften und ihrer Architektur ist eng, beide sind bis heute relevant. Auch bei Czech stehen Erfahrenes, Gedachtes, Geschriebenes und Gebautes in einem unmittelbaren Zusammenhang. „Das eigentliche künstlerische Material der Architektur ist nicht der Baustoff, die Konstruktion, die skulpturale Form, nicht einmal der Raum oder das Licht – es ist das Verhalten von Menschen“, schreibt Czech wiederholt.

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„Ungefähre Hauptrichtung“ heißt ein Band ausgewählter Schriften und Gespräche zur Architektur von Hermann Czech, der am 10. November bei Löcker erschienen ist. Punktgenau am 85. Geburtstag des Autors, der sich und uns damit ein großes Geschenk macht. Denn diese Lektüre ist ebenso gehaltvoll wie vergnüglich. Ihr ist die jahrzehntelange Lebenserfahrung einer spezifischen Architekturpraxis eingeschrieben, die auf einem fast schon exzessiven Hinterfragen der eigenen Entscheidungen beruht. Czech ist ein aufmerksamer Beobachter von Zeitphänomenen, seit 1963 schrieb er regelmäßig in der FURCHE, vieles, was er vor Jahrzehnten feststellte, scheint heute wieder erstaunlich aktuell. „Ich habe einen direkten Zusammenhang zwischen Sprache und Architektur angestrebt“, sagt er im FURCHE-Interview mit Erich Klein (2018). „Mein kritisches Vorbild war Karl Kraus, auch wenn man in diese Schuhe nicht hineinsteigen kann.“

Vielschichtig und originär

Das gebaute Werk von Hermann Czech ist quantitativ überschaubar, qualitativ aber kaum hoch genug einzuschätzen. Es ist auf eigenwillige Art aus der Zeit gefallen, unmodisch, mitunter manieristisch, vielschichtig, reich an Zitaten, aber stets originär. Seine Architektur hat viele inspiriert, in ihr verdichtet sich eine Vielzahl an Beobachtungen, Überlegungen, Querverweisen mit dem Gestaltungswillen und Perfektionsstreben ihres Schöpfers zu Materie. Czech beherrscht besonders die „kleine Form“ – und steht damit in bester Wiener Tradition. Man denke an Hans Holleins Kerzengeschäft Retti (1966) am Kohlmarkt, die Juweliergeschäfte Schullin (1974, 1982), den Knize am Graben von Adolf Loos (1912), die Loos-Bar (1908). Einige Lokale von Hermann Czech gehören längst zur Wiener Innenstadt: das Kleine Café (1970 und 1974), die Wunder-Bar (1976), das Salzamt (1983).

Das gebaute Werk von Hermann Czech ist quantitativ überschaubar, qualitativ aber kaum hoch genug einzuschätzen.

Auch die Winterverglasung der Loggia der Wiener Staatsoper (1994) ist von ihm. Die netzartig-kristalline, raumbildende Struktur, die um die Statuen einen rücksichtsvollen Bogen macht, sorgte in der Kronenzeitung anno dazumal für Aufregung, gehört aber längst zum urbanen Inventar. Im Jahr 2020 gestaltete Czech das Sigmund Freud Museum neu. Man könnte also sagen, Czech hat in der ihm eigenen Unaufgeregtheit ganz beiläufig den Wesenskern des bürgerlichen Wien gestalterisch bearbeitet: das Kaffeehaus, die Wiener Staatsoper und das Sigmund Freud Museum. Dessen Gestaltung vermeidet jede Form der physischen Repräsentation und Rekonstruktion von Vergangenheit – sie zieht sich auf die Essenz zurück: die Erfahrung der authentischen Räume, in denen die Familie Freud bis zum Juni 1938 lebte. „Der Weg durch das Museum bietet also einerseits eine Erfahrung der Räume und ihrer Anordnung, ihrer ehemaligen Geschichte, sowie einzelne Hinweise zu ihrem ehemaligen Aussehen. Andererseits liefert er – davon unterschieden – eine abgestufte „Information durch Exponate, Texte und Bilder“, schreibt Czech über das architektonische Konzept und die Ausstellungsgestaltung dieses „Museums mit zwei Inhalten“.

Flexible Wohnbaukonzepte

Zu Wien gehört auch der soziale Wohnbau. Hermann Czech teilte sich gemeinsam mit Adolf Krischanitz und Werner Neuwirth einen Bauplatz in der Anlage „Generationen Wohnen“ am Mühlgrund (2011). Es ging darum, Wohnbauten zu entwickeln, die in unterschiedlichen Lebensabschnitten gut nutzbar sind. Czech plante einen Typ, in dem sich Wohnungen sehr leicht verbinden lassen. Außerdem gibt es Räume mit 4,05 Metern Höhe, die nicht nur eine in diesem Kontext absolut außergewöhnliche Großzügigkeit erzeugen, sondern ihren Bewohner(inne)n viel Gestaltungsspielraum geben. Sie können sich durch den Einbau von Podesten, Emporen oder Galerien zusätzliche Räume schaffen und damit die Qualität ihrer Wohnung verändern. Auch an der Mustersiedlung Mauerbach, die nach einem Masterplan von Adolf Krischanitz entstand, war Czech mit einem Haus beteiligt. Ein sehr besonderer Bau ist auch die Rosa-Jochmann-Schule, die er gemeinsam mit Wolfgang Reder 1994 in Wien Simmering realisierte.

Czech - Architekt Hermann Czech, geboren am 10. November 1936 in Wien. - © Foto: picturedesk.com / KURIER / Gilbert Novy
© Foto: picturedesk.com / KURIER / Gilbert Novy

Architekt Hermann Czech, geboren am 10. November 1936 in Wien.

Czechs Vater war gelernter Kellner, seine Mutter Kassiererin. Nach dem Krieg machten sich die beiden selbstständig, aus ihrer Kantine in der Hofburg wurde bald das Restaurant „Ballhaus“. Es war das erste Lokal, das Hermann Czech 1962 mit seinen Kollegen Wolfgang Mistelbauer und Reinald Nohàl gestaltete. „Da haben wir Elemente von Josef Hoffmann kombiniert. An und für sich war ich im Verständnis der Auseinandersetzung Loos gegen Hoffmann auf der Seite von Loos. Aber wir haben ganz bewusst auf Dekoration gesetzt, mit Hoffmann-Tapeten, einem Hoffmann-Stoff und Hoffmann-Sesseln, und zwar aus verschiedenen Zeitepochen“, erzählt Czech in einem Gespräch mit Wolfgang Kos. „Friedrich Achleitner hat später geschrieben, beim ,Ballhaus‘ seien sogar Methoden der Collage aus der Literatur in die Architektur übersetzt worden.“

Die Lokale, die Czech gestaltete, sind längst Institutionen in der Stadt, alle sind sehr gekonnt in sehr alte historische Bestände gesetzt: das Kleine Café, die Wunder-Bar, das Salzamt, das Immervoll in der Weihburggasse, das inzwischen Gasthaus Pöschl heißt, aber immer noch immer so voll ist, wie es der alte Name versprach. Das liegt ganz sicher auch an seiner Architektur. Denn Hermann Czech versteht es in einzigartiger Weise, Räume in unaufgeregter Selbstverständlichkeit so zu gestalten, dass sie wirken, als ob sie gar nicht anders sein könnten. Seine Architektur drängt sich nicht auf, sie ist einfach da – und fühlt sich so stimmig an, dass man ihr gar keine weitere Aufmerksamkeit schenkt. „Ein Lokal schafft Bedingungen für das Verhalten von Gästen; es ist das Ausdrucksmittel dessen, der dem Gast entgegentritt, nämlich des Wirts. „Über das Essen und den Raum hat der Wirt den Gast im Griff“, schreibt Czech im Text „Das Lokal“ (2001). „Es gibt kaum eine andere Aufgabe, bei der man so direkt am Mann (und an der Frau) arbeitet wie bei einem Lokal. Man kann unmittelbar ablesen, was angenommen wird und was nicht. Trotzdem ist es immer eine Gratwanderung.“ Czech hat sie immer wieder gewagt und bravourös gemeistert. Ein guter Grund, in einem seiner Kaffee- und Gasthäuser auf seinen 85. Geburtstag anzustoßen.

Ungefähre Hauptrichtung Cover - © Löcker 2021
© Löcker 2021
Buch

Ungefähre Hauptrichtung

Schriften und Gespräche zur Architektur.
Von Hermann Czech
Hg. von Claudia Mazanek
Löcker 2021
168 S., geb., € 29,80

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