Sehen und gesehen werden

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Ein Kaffeehaus so zu gestalten, daß es ein Kaffeehaus bleibt, macht einen guten Architekten aus.

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Ein Kaffeehaus so zu gestalten, daß es ein Kaffeehaus bleibt, macht einen guten Architekten aus.

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Das "Kleine Cafe" am Franziskanerplatz verdient seinen Namen. Bei so viel Enge wird die Gestaltung des Innenraums zur Überlebensfrage. In den 80ern hat Herrmann Czech die sorgfältige Planung eines Cafes salonfähig gemacht. Der verschlissene Charme abgesessener Garnituren war plötzlich nicht mehr das einzig mögliche Kaffeehausoutfit.

Doch Hermann Czech ist mindestens genauso Kaffeehauspuritaner wie Architekt mit Stil. Er hat so feinfühlig geplant, daß das "Kleine Cafe" trotz Styling geschmackvolle Gemütlichkeit verbreitet: Spiegel an der Wand, steinerne Kaffeehaustische, der Länge nach im schmalen Raum aufgereiht, Lederbänke und eine Toilette, in der kein Zentimeter verschenkt ist, machen gemeinsam mit den wundervollen Riesenbroten auf stilechten Holzbrettern das "Kleine Cafe" zu einem Pretiosum der Kaffeekultur. Die Melange ist herrlich, die Speisekarte so klein wie das Lokal. Nichts hier ist überflüssig. Selbst Zeitungen im klassisch schwarzen Halter sind auf engem Raum noch konsumierbar.

Mit diesem erfolgreichen Pionier brach der Boom des Stylings los. Kann man im "Kleinen Cafe" ungestört sitzen, so wird das Konsumieren von Kaffee in anderen gestylten Lokalitäten für sensitive Gemüter zum Spießrutenlauf. Jedes Gramm Fett zu viel, eine schlecht fallende Strähne im hoffentlich wenigstens modischen Haarschnitt und ähnliche Äußerlichkeiten werden von den prüfenden Blicken der dauernd zur Eingangstür lugenden Kundschaft registriert.

Auch die Lautstärke der Unterhaltung hat mit einem unauffälligen Geräuschpegel nichts mehr gemein. Daß man erfolgreich ist, sollen alle wissen. Wer kein Handy besitzt, zählt hier schon zu den Außenseitern: Das "Blaustern", stilecht in WU-Nähe am Nußdorfer Gürtel ist eine der mondänsten Locations der Stadt. Statt eines graumelierten Ober servieren die hübschesten Mädchen mit dem freundlichsten Lächeln und dem charmantesten Augenaufschlag. Die meisten sind Studentinnen, und nicht die ganze Zeit da. "Immer könnte ich nicht so nett sein," gibt eine Kellnerin zu, die noch liebevoll lächelt, wenn eine Bestellung aus Kaloriengründen rückgängig gemacht und sie zum Retournieren in die Küche geschickt wird. Dünn, blond, oft bauchfrei mit enganliegendem Oberteil schweben die modelhaften Mädchen mit den einheitlichen langen, weißen Schürzen zwischen Küche, Bar, Terrasse und Tischen hin und her.

Doch selbst hier hat sich ein Stammgast eingeschlichen, der nicht vollkommen ins restliche, jugendliche Ambiente paßt: an manchen Nachmittagen lehnt ein gepflegter, älterer Herr mit viel Allür und einem Casablanca-Hut an der Theke. Wie alle anderen auch, liebt er es, sich zu inszenieren. Manchmal ist er ganz in grau, dann wieder ganz in schwarz gekleidet, immer sehr geheimnisvoll. Sonst ist hier alles transparent: die offene Glasfront zum Gürtel, und die schönen, ausdruckslosen Gesichter der jungen Studentenschaft, die hier verkehrt.

Die Musik paßt zum Publikum: modern, jung und erwählt zwischen Punk und Elektronik. Im Sommer läßt sich draußen sitzen, die Nachbarschaft der beautiful people macht den Verkehr am Gürtel spielend wett. Selbst Kaffee ist hier nicht Kaffee. Man kann zwischen der italienischen Marke "Illy" und der Hausröstung "Blaustern" wählen. Die wird aus ausschließlich feinsten Arabicasorten in der Rösterei Lechnitz in St. Pölten gebrannt. Seit 1888, sagt die Speisekarte. Schmeckt jedenfalls mild und wunderbar.

Der Kaffee stammt aus Papua Neuguinea, Guatemala oder Bolivien, den Zwischenhandel schaltet man weitgehend aus. Vielleicht ist das der Grund für die eher moderaten Preise. 19 Schilling kostet der kleine Espresso, der große 38 und die Melange kommt auf 28. Man kann sie auch klein portioniert bestellen. Das wird um sieben Schilling billiger und tut der Linie nicht so weh.

Abgesehen vom Kaffee gibt es hier zu essen und zu trinken, was das Herz begehrt. Bier vom Faß und zehn Sorten aus der Flasche. Ein halber Liter "Budweiser" um 42 Schilling, ein kleines Seidelflascherl "Foster's" um dasselbe. Das Essen ist exklusiv und vitaminreich, Salate finden sich mit kalten und warm gerösteten Zutaten, außerdem Gemüsestrudel, Tagliatelle, diverse Weckerl, gleichfalls warm oder kalt, alles zwischen 62 und 72 Schilling.

Die "echten" Speisen wie zum Beispiel Schollenfilet in Erdäpfelkruste mit Limetten-Weinsauce gibt es dann auch wieder wahlweise als kleine um 64 oder um 94 Schilling als große Portion. Auch zweitere ist nicht überproportioniert. Das Linienbewußtsein der Klientel schlägt sich auf die Karte nieder. Sehen und gesehen werden ist hier wichtiger als lesen und unerkannt bleiben.

Das Zeitungsangebot ist dementsprechend dürftig. Standard, Kurier und anderes liegen lieblos im Eck versteckt unter Jutesäcken mit "Blaustern" Kaffee, den man sich als halbes Kilo oder Kilo mit nach Hause nehmen kann. Wer gerne gut ißt, einen Spaß daran hat, sich mondän herzurichten und aller Blicke auf sich gerichtet zu wissen, ist im "Blaustern" gut aufgehoben. Die Architekten Hanno Ganahl, Walter Ifsits und Werner Larch haben jedenfalls mit ihrem durchsichtigen Glaskonzept die Idee des Kaffeehauses mit viel Bar- und Szenelokalatmosphäre erweitert.

Ähnlich mondän präsentiert sich das Cafe Stein. Auch hier ist das gute Aussehen der Kellner imagebildend. Außerdem gibt es Fotoausstellungen und einen Internet-Anschluß, der zum e-Mailen und chatten für alle bereitsteht, die nicht nur in der Kolingasse, sondern auch im Netz präsent sein wollen. "Stein's Diner", eine Erweiterung des mehrgeschossigen Lokals in den Keller hinunter, bietet die Möglichkeit, bis nach zwei Uhr früh den Nachmittagskaffee in ein Barerlebnis auszudehnen. Vom speziellen Frühstück übers Mittags- zum Mitternachtsmenü bietet das "Stein" alles, was Studenten der nahegelegenen Uni brauchen könnte. Daß das Lokal mit seiner Treppe ins Obergeschoß und einer Galerie der attraktiven Klientel wunderbare Auf und Abtrittsmöglichkeiten bietet, erhöht den Reiz. Außerdem sitzt man auch hier hinter Glas oder bei schönem Wetter gleich auf dem Gehsteig.

Etwas kostengünstiger und weniger elitär geben sich die "Segafredo"- Filialen am Graben, in der Mariahilferstraße oder in Döbling. Sie punkten allerdings durch ihre Lagen. Man setzt auf die italienische Kaffeemarke, die momentan sehr im Trend liegt, und südlich unbeschwertes Flair. Eros Ramazzotti und Nek, der neue Italo-Star mit der Schmeichelstimme bilden die akustische Hintergrundkulisse. Alle Lokale sind einheitlich schwarz rot gehalten, das Personal passend eingekleidet. Die Öffnungszeiten bis 24 Uhr und das Angebot von Campari, Grappa und ähnlichem machen das "Segafredo" auch zu späterer Stunde interessant. Wird es sehr spät, kann man immer noch in "Stein's Dinner" wechseln.

Der Trend zum Restaurantstyling ist so stark, daß das Loos Haus am Michaelerplatz dieser Thematik eine eigene Ausstellung gewidmet hat. Das "Blaustern" war dort zu finden, auch das Cafe Restaurant Dennstedt in der Laudongasse. Neben unzähligen Einsendern hat aber nur ein Kaffeehaus den Schritt in die Endrunde geschafft: das MAK-Cafe von Herrmann Czech. Style allein war den Juroren nicht genug, vor allem Idee und Konzept dahinter zählten. "Veränderung muß Verbesserung sein," hat Adolf Loos einmal gesagt, und Herrmann Czech hat sich daran gehalten. "Beim Lokal sieht man direkt am Mann, ob das Konzept funktioniert," kann der Architekt das Gelungene seiner Planung bei jedem MAK-Besuch überprüfen. Was schick wirkt, hat bei Czech einen tieferen Sinn. So folgen die gekreuzten Holzstützen im Barbereich nicht einer Laune des Architekten, sondern den Gesetzen der Statik. Czech wollte sowohl die Menschen in diesem Cafe als auch den wundervollen Raum von der Größe eines Tanzsaales voll zur Entfaltung bringen. Immerhin hat er durchgesetzt, daß die Umgebung der Bar freibleibt und nicht mit Tischen und Stühlen verstellt wird.

Die Ökonomie ist weniger wichtig als das Wohlbefinden, das viel Platz auslöst. Die Großzügigkeit lohnt sich: das MAK ist immer voll, besonders die Kunst und Kulturszene läßt sich gern dort blicken. Das MAK hat den Stil, den Kaffeehausmenschen schätzen.

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