Cafe - © Foto: Pixabay

Kaffee und Kultur

19451960198020002020

Kaffee und Zeitung: Nüchternheit und Freiheit, Intellektualität und Unterhaltung.

19451960198020002020

Kaffee und Zeitung: Nüchternheit und Freiheit, Intellektualität und Unterhaltung.

Werbung
Werbung
Werbung

Kaffee, das war eine Revolution. Das Lob des Kaffees in der Kulturgeschichte fällt zu Recht überschwänglich aus: Kaffee, das demokratische, das radikale, das intellektuelle, das bürgerliche, das anregende, das ernüchternde Getränk, das Getränk der Moderne, der Industrie, des klaren Kopfs... Und erst das Kaffeehaus - sein Mythos ist nahezu grenzenlos: die Literaten und Künstler, die Börsen- und Wirtschaftsleute, die Flaneure und Bohémiens, die Heimatlosen und Vertriebenen, sie alle fanden nicht nur Anregung, sondern auch Heimat im Kaffeehaus.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

1574 konnte man in Europa in einem Botanikbuch erstmals eine Notiz über den Kaffee lesen. Aber fast 100 Jahre lang interessierten sich nur Naturwissenschaftler und Orientreisende dafür. Bevor das Kaffeetrinken im 17. Jahrhundert üblich zu werden begann, ziemlich zeitgleich mit den beiden anderen Warmgetränken Tee und Schokolade, gab es neben Wasser nur Alkoholisches zu trinken: Wein, Bier, Most und gebrannte "Wässer". Das höchste Lob für dieses neue Getränks namens Kaffee galt daher dem Umstand, statt berauschend ernüchternd zu wirken und damit beigetragen zu haben, den Alkohol, für dessen unmäßigen Konsum gerade die Ober- und Mittelschichten Das Lob des Bildungsbürgertums konzentrierte sich auf die ernüchternde und geistig anregende Wirkung des neuen Getränks. Die Ökonomen träumten von der körperlichen Belebung: Wie die Arbeitszeit durch neue Beleuchtungstechniken länger werden konnte, so schien sich der Kaffee zur künstlichen Verlängerung der Wachzeit anzubieten. Für die Aufklärer wurde der Kaffee zum Symbol der geistigen Erneuerung, etwa in der Mailänder "Società del Caffè", deren Mitgliederkreis bedeutende Staatsrechtler und Ökonomen umfasste, wie Pietro Verri und Cesare Beccaria. Zusammen gründeten sie eine Zeitung namens "Il Caffè", die alle zehn Tage erschien. Der Themenradius reichte von Ökonomie, Naturwissenschaft und Recht bis zu Politik und Literatur.

Kaffeehäuser wurden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in allen wichtigeren westeuropäischen Städten eröffnet und eingerichtet. Sie wurden zum wichtigsten Ort der neuen bürgerlichen Öffentlichkeit, wo sich literarische, philosophische und politische Diskussionen zusammen mit kommerzieller Kommunikation zuerst und vor allem relativ frei entfalten und artikulieren konnten und wo im Unterschied zu den Wein- und Bierlokalen der klare Kopf den Vorrang hatte. Vom Zutritt her, der jedem Zahlungsfähigen - wenn auch vorerst nicht den Frauen - offenstand, weitaus weniger elitär als der Salon, bot sich im Kaffeehaus über das Großbürgertum hinaus für breitere Schichten des Mittelstandes eine neue Institution der Kontaktnahme und Nachrichtenvermittlung, wo - und das machte wiederum den Unterschied zu den Wein- und Bierlokalen - der klare Kopf den Vorrang hatte.

Die ersten Kaffeehäuser Europas wurden um die Mitte des 17. Jahrhunderts gegründet, zuerst in Venedig, dann in Oxford, Marseille, London, Paris, Amsterdam, Antwerpen und Hamburg. Wien lag, ganz im Gegensatz zur herrschenden Meinung, nicht unbeträchtlich im Hintertreffen. Es heißt, dass aus der Beute der zweiten Türkenbelagerung den Wienern bedeutende Kaffeevorräte in die Hände gefallen seien und ein Kundschafter armenischer Abstammung namens Kolschitzky (oder richtiger Koltschitzky), der sich durch besondere Tapferkeit bei der Verteidigung ausgezeichnet hätte, als Belohnung die Bewilligung zur Errichtung eines Kaffeehauses erhalten habe.

Solche armenische Kaufleute und Abenteurer scheinen in ganz Europa bei der Einführung des Kaffees eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Und dies ist auch der wahre Kern der an Verwechslungen so reichen Kolschitzky-Legende: Am 17. Jänner 1685 war einem armenischen Kaufmann namens Johannes Diodato ein ausschließliches Hofprivileg zur Ausschank von Kaffee auf 20 Jahre verliehen worden. Wenn es schon nicht Kolschitzky war, der das erste Wiener Kaffeehaus eröffnet hatte, so waren es doch auch in Wien Mitglieder seiner Volksgruppe, denen für geleistete Kundschafter- und Kurierdienste erstmalig das Recht zur Führung von Kaffeehäusern erteilt wurde. Auch der als erster Kaffeesieder von Graz bezeichnete Zacharias Casanova ("Zaarias" Cahsa noua) war einer der vielen Armenier, die in der Geschichte des Kaffeesiedergewerbes eine so große Rolle spielen.

Bildung und Vergnügen

Vom Kaffee hatten die Wiener zweifellos schon vor 1683 gehört - anlässlich der mehrmonatigen Anwesenheit einer osmanischen Gesandtschaft in Wien im Jahre 1665: die Kaffeeköche des Großbotschafters hießen Mehmed und Ibrahim, und der Wiener Spesierungskommissar fand nicht wenig Klageworte über den unnatürlich hohen Holzverbrauch der Türken, die den ganzen Tag über Feuer unterhielten, um Kaffee zu kochen. Ab 1665 gibt es in den Wiener Archiven immer wieder Hinweise, dass in Privatkreisen Kaffee getrunken wurde.

In Wien zählte man zu Beginn des 18. Jahrhunderts vier Kaffeehäuser, die alle von Armeniern geführt wurden, während es in London oder Paris jeweils schon mehr als 300 gegeben haben soll. Ende des 18. Jahrhunderts aber hatte auch Wien eine zur Kaiserstadt passende Kaffeehauskultur. Bald boten die Kaffeehäuser all das, was im 18. und frühen 19. Jahrhundert Luxus symbolisierte: Kaffee, Tee, Schokolade, Zucker und Süßigkeiten, Pfeifen und Zigarren, Spiegel und Kristallluster, Billard und Kartenspiel, Porzellangeschirr - lauter Dinge, die man vor ein paar Jahrhunderten noch nicht einmal dem Namen nach kannte. Eine Novität der Kaffeesieder war auch die Herstellung von Speiseeis, das im Lokal und über die Gasse verkauft wurde.

In der Ringstraßenzeit machte das Wiener Kaffeehaus einen bedeutsamen Wandel durch. Es war nicht mehr wie im Vormärz in erster Linie Spiel- und Rauchsalon und Treffpunkt von Herrenrunden. Ab der Mitte der siebziger Jahre begann sich der Typus der "Familienkaffees" zu etablieren. Man versuchte, auch die Frauen mit speziellen Damensalons oder Wintergärten als neue Kundinnen zu gewinnen. Die Lokale erhielten eine besonders prächtige Ausstattung mit modernsten Möbeln, Spiegelscheiben, exquisiten Tapeten, Gaslicht und später elektrischer Beleuchtung.

Mit dem Kaffeehaus verknüpften sich von Anfang an Bildung und Vergnügen. Zeitungen dienten ersterem, diverse Spiele - vor allem das Billard, das Modespiel des 18. Jahrhunderts - letzterem. Noch vor dem Spiel rangierte zweifellos des Wieners liebste Kaffeehaustätigkeit: der Tratsch.

Das Café begann seine große Rolle im gesellschaftlichen Leben der Ringstraßengesellschaft einzunehmen. Die Kultur des Fin de Siècle entfaltete sich in den Künstler-, Literaten- und Intellektuellencafés. In den 1890er Jahren versammelte sich das literarische Wien im Café Griensteidl. Hernach fanden die Literaten im Café Central ein neues Refugium. Die nächste Generation gab dem Herrenhof den Vorzug. Karl Kraus, der Einzelgänger, residierte im Imperial. Obwohl Sigmund Freud die Kaffeehausatmosphäre nicht mochte, soll er doch in einem Kaffeehaus, und zwar dem Bellevue, 1895 zum erste Mal einen seiner Träume analysiert haben.

Freies Wort und freie Zeit

Das Kaffeehaus bot eine Art von demokratischem, allgemein zugänglichen Klub, wo jeder Gast stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen konsumieren konnte. In einem besseren Wiener Kaffeehaus lagen nicht nur alle Wiener Zeitungen auf, sondern die des ganzen deutschen Sprachraumes und die französischen, englischen, italienischen und amerikanischen, dazu sämtliche wichtigen literarischen und künstlerischen Revuen der Welt.

Die Feuilletonisten schrieben das Hohelied des Kaffeehauses: nicht zuhaus und doch nicht an der frischen Luft, in nomadenhafter Häuslichkeit, für Leute, die allein sein wollten, dazu aber Gesellschaft brauchten. Die Geschichte der Kaffeehäuser ist auch eine Geschichte der Heimatlosigkeit, eine Geschichte jener, die kein Zuhause hatten, oder zumindest keines, wo sich repräsentativ Hof halten ließ.

In den dreißiger Jahren erlebte das Wiener Café seine letzte Blüte. In der hektischen Zeit der Inflation nach 1918 waren viele Kaffeehäuser in Bankfilialen verwandelt worden. Aber in der Wirtschaftskrise nach 1929 machte das Bankensterben aus vielen Bankhäusern wieder Kaffeehäuser. In der Zeit des Nationalsozialismus hörte man auf, ins Café zu gehen. Es gab keinen Kaffee mehr. Das Wesentlichste aber war: die Freiheit des Wortes und der Presse war unterdrückt. Das vorwiegend jüdische Stammpublikum war vertrieben und vernichtet. Friedrich Torberg hat nicht so unrecht, dass Österreich-Ungarn erst wirklich untergegangen war, als 1938 das "Prager Tagblatt", der "Pester Lloyd" und die "Czernowitzer Morgenzeitung" nicht mehr in den Wiener Cafés auflagen.

Zeithaben ist eine wichtige Voraussetzung des Kaffeehausbesuchs. Die Bars und Cafeterias der Nachkriegszeit sind den Cafés diametral entgegengesetzt: Espressos sind Stätten des raschen Konsums. Kaffee wird zwar in Österreich mehr getrunken als je zuvor, und die Österreicher liegen diesbezüglich ziemlich nahe der Weltspitze: Pro Kopf werden fast 10 kg Kaffeebohnen im Jahr verbraucht, d.h. mehr als 200 Liter Kaffee getrunken. Doch die große Zeit der Kaffeehäuser ist vorüber. Im Starbucks werden keine Zeitungen gelesen. Und wie lang wird es im Zeitalter von Internet und digitaler Vernetzung überhaupt noch Zeitungen geben?

Roman Sandgruber ist ein österreichischer Historiker.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung