Cafe - © Foto: Pixabay

Moderne Kaffeehauskultur: Happening rund um die Uhr

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Alles fließt: moderne "Cafes" locken mit Service, Styling und Barbetrieb bis in die Morgenstunden. Das klassische Kaffeehaus ist trotzdem kein Auslaufmodell für Nostalgiker.

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Alles fließt: moderne "Cafes" locken mit Service, Styling und Barbetrieb bis in die Morgenstunden. Das klassische Kaffeehaus ist trotzdem kein Auslaufmodell für Nostalgiker.

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Wenn ich erfolgreich sein will, muß ich rund um die Uhr dasein, am besten von sieben Uhr bis vier Uhr früh," setzt Andrea Lechnitz, Mitbesitzerin des "Cafe Blaustern" auf gastronomischen Totaleinsatz. Das Cafe am Nußdorfer Gürtel feierte kürzlich mit eisblauen Gratisdrinks vor dem Eingang, Fackeln und einer Menge blauer Sternchen am Gehsteig und im Lokal unübersehbar seinen dreijährigen Geburtstag.

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Es gilt als Vorbild für ein Kaffeehauskonzept der Zukunft. "Wenn jemand um acht Uhr abends frühstücken will, dann kriegt er sein Frühstück, und wenn einer in der Früh mittagessen will, kann er das," setzt Lechnitz auf Service. "Ein skurriler Ober, Würstel und Apfelstrudel sind zu wenig. Und daß einer für einen kleinen Kaffee 35 Schilling zahlen muß, seh' ich auch nicht ein." Der Preis muß stimmen, die Bedienung auch. Das neue Publikum ist jung, es liest keine zehn Zeitungen mehr und bleibt auch nicht drei Stunden. Die Verweildauer ist kürzer geworden, deswegen kann Lechnitz bei den Kaffeepreisen hinuntergehen.

Die Qualität des Kaffees ist unbestritten, und die junge Riege dienstbarer Geister läßt im "Blaustern" an Tempo und Freundlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die moderne, junge Klientel eines Kaffeehauskonzeptes mit Zukunft ist gesellig, extrovertiert, und modebewußt. Die umworbenen Kinder der Konsumgesellschaft möchten in sauberem, gestyltem Ambiente sitzen, Kontakt schließen, etwas Gutes, Leichtes essen und mit der richtigen Hintergrundmusik beschallt werden.

Internetsurfen im Cafe Im Cafe "Stein" in der Kolingasse können sie noch dazu Internetsurfen bis 23 Uhr. Das kostet allerdings fast hundert Schilling pro Stunde und den Einsatz eines Lichtbildausweises. Außerdem gibt es Vernissagen und eine Bar im Keller. Samtbezogene Sitznischen zum ungestörten Rückzug hinter einem aufgeschlagenen Hochformat entsprechen nicht dem Zeitgeist. Das Kaffeehaus der Zukunft ist offen, gesellig und kulinarisch. Eine Bühne, auf der man sich präsentieren kann. Eines der neuesten und modernsten Gastronomiekonzepte ist der "Guess Club" in der Kaunitzgasse. Umgeben von tonnenweise Rohbeton, Stahl und Glas lehnen moderne Stadtnomaden an einer schönen, raumbestimmenden Theke, surfen im Internet oder ziehen sich zum Essen ins Kellergeschoß zurück. Kaffeehaus ist das aber sicher keines mehr. "Natürlich kann man hier an der Bar am Nachmittag Kaffee trinken und Internetsurfen," stellt Roswitha Haderer vom "Guess Club" klar. Die "Multimedia-Location" ist eine Restaurant-Bar, mit klarer Trennung von Liquidem und Kulinarischem: getrunken wird ab 16 Uhr brösellos im offenen Obergeschoß, gespeist ab 18 Uhr im dunkler gehaltenen Untergeschoß.

Vom Kaffeetrinken bis hin zum Raven in den Nachtstunden ist hier auf zwei Geschossen alles möglich, kostenloses Internetsurfen von der lokaleigenen homepage inklusive. Sogar eine Videokamera kann der Gast steuern und beliebige Bilder des Interieurs inklusive Publikum in alle Welt verschicken.

Der "Guess Club" ist kein Kaffeehaus mehr, auch wenn man dort "profil, Format, Spiegel, Presse und Kurier" lesen kann, es im Sommer einen Schanigarten und einen zweiten "Club" in der Kärntnerstraße geben wird. Es ist ein vielfach nutzbarer Ort, der dem Bedürfnis nach nachtschwärmen, tafeln und tanzen gleichermaßen entgegenkommt.

Die Zukunft des Kaffeehauses weist in eine klare Richtung: deutlich Position beziehen und Farbe bekennen. Das Cafe muß mehr können, als ein zweites Zuhause zu bieten. "Ab 19 Uhr bitten wir um angemessene Kleidung", steht am gläsernen Lift des Warenhauses "Steffl", der in die begehrte "Sky-Lobby" führt. Hier wird die Symbiose zwischen Einkauf und Kaffeekonsum besonders deutlich. Über dem "Mediencafe" im fünften Stock gibt es das "Amadeus" Literaturcafe. Im Anschluß an eine gutsortierte Buchhandlung lassen sich hier bis 19 Uhr offene Exemplare lesen, begutachten und natürlich auch kaufen. In der halbrunden Geschütztheit einer vom Foto mehrerer Buchseiten überspannten Wand kommt dennoch so etwas wie Kaffeehausatmosphäre auf. Anstelle eines internationalen Zeitungssortiments gibt es hier zwischen Belletristik, Poesie oder Bildbänden zu wählen. Trotzdem ist das Zielpublikum nach wie vor der Leser, der bei Espresso, Macchiato, Cappuccino und Tramezzini, Brioche oder Torte dem blätternden Vergnügen frönen kann.

Begehrter als diese Oase der Stille im Einkaufsgetümmel ist allerdings die "Skylobby" neben einem Restaurant im siebten Stock. Die oberste Etage steht im Zeichen exklusiven Genusses. Wer zwischen 11 Uhr 30 und vier Uhr früh hoch über den Dächern Wiens thronen will, muß abends ins exklusive Ambiente passen und seinen Mantel ordnungsgemäß an der Garderobe abgeben. Auch im "Guess Club" ist man untertags noch tolerant, setzt aber nächtens auf Portier und Gesichtskontrolle. Der moderne Herr muß wieder Krawatte tragen und dress-codes befolgen.

Qualität muß stimmen Menschen, die nicht so sehr auf Styling setzen, sterben aber nicht aus. Die leicht verschmuddelte Atmosphäre, die "einfach zum echten Kaffeehaus dazugehört," wie "Bräunerhof" Besitzer Sigfrid Hostnik glaubwürdig versichert, erfüllt ein Bedürfnis nach heimeliger Gemütlichkeit, das nie aussterben wird. "Ich kann mir nicht vorstellen, daß man in 20 Jahren nicht mehr ins "Diglas" oder ins "Dommayer" geht", kann sich Norbert Lux, Geschäftsführer der Fachgruppe Kaffeehaus in der Bundeswirtschaftskammer bei aller Konkurrenz modernerer Erscheinungsformen kein Verschwinden der traditionellen Betriebe vorstellen.

Das "Stadelmann", ein Traditionskaffeehaus auf der Währingerstraße ist immer voll, vor allem mit jungem Publikum. Das klassische Cafe mit Sitznischen, kleinen Speisen und dem unfreundlichen Ober gibt es schon lang, ob das "Blaustern" und das "Stein" so bleiben und sich durchsetzen werden, hängt stark vom Publikum ab." Die Qualität des Gebotenen muß stimmen. Auch alteingesessene Betriebe werden ihr Speisenangebot vergrößern müssen, um weiterhin beim Konsumenten anzukommen. Doch auch den Trend zur Musik greifen die Traditionshäuser auf, allerdings auf ihre Weise: nicht Techno, Punk oder House gibt es hier aus wattstarken Musikboxen, sondern Life-Musik vom echten Konzertflügel.

Mit Unterstützung von Kulturstadtrat Marboe setzte die Gemeinde Wien einen hilfreichen Impuls und bestückte 30 Wiener Kaffeehäuser mit Klavieren. Eine Liste der Konzertkaffees wird demnächst erscheinen. "Wir müssen ganz deutlich Position beziehen. Die klassischen Kaffeehäuser wollen eben etwas tun, um das Niveau des Publikums zu heben," setzt Hans Diglas, Vorstand der Wiener Kaffeesieder und Inhaber des "Diglas" auf Tradition. Er hat nichts gegen Konkurrenten wie dem "Blaustern", die um Qualität und ein jüngeres Publikum kämpfen. Was ihm wirklich Sorgen macht, sind Schnellanbieter und Selbstbedienungsketten. Doch die gehören einer Kategorie an, wo man weder mit klassischer Musik noch mit DJ-Lines Kunden gewinnt. Billiger wollen Kaffeehäuser nicht werden, und das können sie auch nicht. Preis und Leistung stimmen hier überein wie kaum sonstwo.

Touristennostalgie Das beginnen auch die Wiener zu begreifen: die Aktion "Frühstück im Kaffeehaus" schlägt voll ein. Denn eine wirkliche Melange trinkt sich immer noch in Kaffeehausambiente am besten. "Jedes Kaffeehaus muß sich an seine Kunden anpassen und Produktpflege betreiben.

Mit Kaffee läßt sich aber einiges anfangen. Für das traditionelle Erscheinungsbild eines Kaffeehauses ist genug Markt da. Es muß nicht zur Touristennostalgie verkommen," ist Norbert Lux zuversichtlich. Das "Cafe Dommayer" hat beispielsweise sein Sortiment um kalten Kaffee bereichert, der sich unter der Jugend zu einem echten Renner gemausert hat. Solange kaffeespezifische Ideen noch solch einschlagende Wirkung haben, braucht man um die Wiener Kaffeehäuser alter Schule nicht zu fürchten.

Isabella Marboe ist eine österreichische Architekturjournalistin.

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