Musik erobert das Kaffeehaus

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Musik soll im Straußjahr wieder ins Kaffeehaus einziehen. Der "Bräunerhof" ist eines der ersten "Konzertcafés" in Wien.

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Musik soll im Straußjahr wieder ins Kaffeehaus einziehen. Der "Bräunerhof" ist eines der ersten "Konzertcafés" in Wien.

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Wenn sie nur zwei Glas Milch nehmen, kann ich auch nichts machen," beschreibt der Chef des "Cafe Restaurant Bräunerhof", Sigfried Hostnik, die Ohnmacht des Cafetiers. Das macht gerade einmal 38 Schilling für Musikgenuß in einer "Loge" zu zweit. Ganz so schlimm sind die meisten Gäste der Kaffeehauskonzerte am Wochenende aber nicht. Sie konsumieren meist doch zwei kleine Braune, um drei Stunden Lifemusik zu genießen.

Ein sorgfältig besetztes Trio aus Cello, Klavier und Violine füllt das verrauchte Cafe mit Klang und Atmosphäre. "Von November bis April ist es angenehm, da sind wir nicht so gut besucht. Von Mai bis September gefällt es mir weniger, da hat man das Gefühl, man spielt gegen die Wand." Immerhin war die erste und einzige Geige des Trios jahrelang im Orchester der Wiener Volksoper tätig. Man bietet Qualität und die Liebe, die das Ambiente erfordert. "Wir spielen überall. Wir machen das gerne. Wo sonst kann man sich seine Stücke frei aussuchen?" Das Spielen im Kaffeehaus ist für die Musiker, die nicht genannt sein wollen, eine Wochenendbeschäftigung.

Besonders die leichte Muse kommt mit der Plauderkulisse gut aus: Strauß, Lehar, Kreisler oder Korenys Eigenkompositionen mit Wienbezug bilden den Kern der musikalischen Potpourris. Der renommierte Pianist aus der Bristol-Bar greift oft selbst in die Tasten. Er hat eigens für den "Bräunerhof" passende Melodien erfunden.

Das Spiel am Wochenende ist so sicher wie das Amen im Gebet. Fällt einer der drei Musiker aus, kümmert man sich um Ersatz. Meist Freunde oder begabte Studenten. So hält das Kaffeehaus musikalisch sein Niveau. Selbst wenn sich im Sommer die Anzahl der Musiker nicht wesentlich von der der Zuhörer unterscheidet. Gerade sechs japanische Gäste zählte Hostnik einmal. "Aber die sind nur wegen der Musik gekommen!"

Eine besondere Tradition hat die Trioformation nicht. "Das habe ich erfunden," erzählt der Kommerzialrat stolz. 1970, als er den "Bräunerhof" übernahm, grassierte das Kaffeehaussterben in Wien wie eine Seuche.

Damals war der "Bräunerhof" ein typisches Tageskaffee, in dem die Antiquitätenhändler rund um das Dorotheum verkehrten. Am Wochenende war geschlossen, die Tagesfrequenz bei hundert bis hundertzwanzig Menschen. Mitte der siebziger Jahre wollte der damalige Kulturstadtrat Helmut Zilk die Spritzigkeit des eigenen Temperaments in Wien spüren. In einem Wirtshausgespräch konnte Hostnik den mächtigen Mann für Kultur im Kaffeehaus erwärmen. Ein Budget wurde geschaffen, der "Bräunerhof" war auch am Wochenende plötzlich offen.

H.C. Artmann las, und Leben zog langsam wieder ins Cafe. Andere kulturbegeisterte Kaffeehausbetreiber schlossen sich der Idee an. Ernst Weidinger vom Cafe Weidinger widmete sich der bildenden Kunst und hängte Bilder in sein Galeriekaffee. Auch das "Cafe Museum" nutzte seine geografische Nähe zur Akademie der bildenden Künste, um jungen und werdenden Malern seine Wände als Ausstellungsflächen zur Verfügung zu stellen. Außerdem gab es Dichterlesungen. Literatur verträgt sich gut mit dem Kaffeehaus, auch Bilder findet man öfters.

Das Publikum, das Musikveranstaltungen besucht und dem Walzer lauscht, ist anders, als die Wochenkundschaft, die sich hinter internationalen Zeitungen verkriecht. "Der Thomas Bernhard wäre nie zu einem Konzert gekommen," beschreibt Hostnik die zwei Zielgruppen. "Für mich ist es trotzdem kein Verlust, weil die Leute, die sonst kommen, sind am Wochenende unterwegs." Zehn Jahre brauchte das "Bräunerhof", um seine Atmosphäre zu entwickeln. Nach und nach blieben die Geschäftsleute fern. Literaten, Intellektuelle oder Politiker kamen. Thomas Bernhard saß gerne im "Bräunerhof", obwohl es ihn quälte. Ein bißchen Qual gehört zu einem Kaffeehaus dazu.

Große Küche gibt es nur Mittags, wer um 15 Uhr ein Beuschel will, bekommt aus Prinzip keines. "Auch wenn es fix und fertig in der Kühllade liegt." Reserviert wir nicht, obwohl der "Bräunerhof" immer voll wäre. "Wir sind ja keine Ausspeisung." Ein echtes Kaffeehaus verschont den Nachmittagsleser vor Küchengeruch. Dafür versorgt es ihn mit Zeitungen. Die kosten Hostnik an die 19.000 Schilling im Monat. "Ich weiß, wie man ein Geschäft führt," erklärt er, und weiß genau, daß ein traditionelles Kaffeehaus kein gutes Geschäft sein kann. Bier und Cola in der Flasche sind eben teurer als im Glas. Dafür hat das Stil, wie der Kellner Charakter. "Bei mir heißt der Manfred Hans, weil das ein Name ist, den sich der Kunde leicht merkt." Hostnik ist so ein Puritaner in Sachen Kaffeehaus, daß er eine hohe Fluktuation seiner Ober befürchtete. Manfreds Nachfolger hätte für den Gast weiterhin "Hans" geheißen. Doch die Kellner machten ihrem Chef einen Strich durch die Rechnung. Sie sind so hart wie er. "3.000 Schilling kostet der Frack, mit dem soll ich zwei Jahre auskommen," kämpft Ferry bei seinem "an die zehntausend Schilling" Gehalt um stilvolle Erscheinung. Trotzdem verrichten die Ober des "Bräunerhof" seit vielen Jahren ihren Dienst - mit einem Schuß Arroganz. Die schmilzt durch häufigen Besuch, um echter Wärme zu weichen. Stammgäste können alles haben. "Wenn die Senta Berger mit ihrem Mann kommt und mit ihren Erinnerungen an die Jugend, dann kann sie uns natürlich mit ihren Glaseiern quälen!", erzählt Hostnik. Bei zwei deutschen Mädchen zeigt sich, was ein Ober ist. Es geht um Quark, Topfen und Pflaumenkuchen.

Intellektuelle am Vormittag, Politiker zu Mittag und die schönen Tanzschüler vom Elmayer am Nachmittag sitzen wochentags im "Bräunerhof" und machen dort die Atmosphäre. Von der Musik wissen sie nichts. Die gehört den Feiertagsgästen. Hostnik hat sogar um ein paar hunderttausend Schilling eine Langspielplatte produziert. "Damit verdient er nichts, der macht das nur aus Liebe," schätzt Norbert Lux vom Fachverband Kaffeehaus die Lage ein. Daß ausgerechnet ein ORF-Film über das Cafe Hawelka Korenys Melodie "Im Bräunerhof zu Wien" verwendet, ist eine Macht des Schicksals. Die des Geldes entscheidet, ob die dort geplante Bernhard-Aufführung noch stattfinden wird. Eine Antiquitätenfirma aus England hat dem Cafetier ein lukratives Angebot gemacht. Vielleicht sollte man sich doch die Platte kaufen.

Musikalisch wird es zumindest im Strauß Jahr Alternativen geben. Im Cafe Schwarzenberg am Ring, dem "Sperl" in Gumpendorf, dem "Prückel" und dem "Servus" spielt schon jetzt ein Pianisten. Im Cafefoyer des Hotel "Bristol" läßt sich bei Klavieruntermalung Tee oder Kaffee schlürfen. Musikerduos oder Trios gibt es neben dem "Bräunerhof" nur im Dommayer in Hietzing. "Die Idee hatten wir vor etwa vierzehn Jahre," bestätigt Wolfgang Thallmaier, Geschäftsführer des "Dommayer" die Pionierschaft der innovativen Kaffeesieder.

Am 15. Oktober 1844 hat Johann Strauß Sohn im "Dommayer" debüttiert. Damals war das Kaffeehaus in der Nähe des Parkhotel Schönbrunn noch ein "Casino". Beim fünf Uhr Tee im Freien hörte man Musik und frönte dem Tanzvergnügen. Vor allem im Sommer ging es hoch her. Noch heute schätzt die Hietzinger Kundschaft das Konzertvergnügen mehr in der warmen Jahreszeit. Die "Walzermädchen Gerardis" sind bei einer kleinen Brise im Garten am besten.

Jeden dritten Samstag im Monat, wenn zwischen 14 und 16 Uhr aufgespielt wird, ist das "Dommayer" übervoll. Thallmaier ist sicher, daß Musik sich rechnet. "Ich muß sogar zusätzlich Personal einstellen", denn bei mehr als zweihundert Gäste kommt er mit der üblichen Kellnerbesetzung nicht aus. Abgesehen von mehr Besuchern bringt die Musik "sehr, sehr viel Werbung."

Im Strauß Jahr 1999 wird man sich auch im Dommayer an das Debüt erinnern: das "Walzerduo" gibt dann wöchentlich den Kaiserwalzer. "Das ist auch für Reisebüros gut, die in Gruppen kommen wollen," denkt Thallmaier ökonomisch. Den Fremdenverkehrsaspekt sehen alle. "Früher, als es kein Radio gab, da mußte man eben Klavierspielen. Da stand in Wien in jedem Cafe ein Klavier," erklärt Maximilian Platzer vom Cafe Weimar. In einer Aktion mit der Stadt Wien werden nun Klaviere verliehen. Zwanzig Kaffeehäuser können dann, durch eine Dauerleihgabe bestückt, im Straußjahr so richtig aufspielen.

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