Wo die Zeit stehenbleibt

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Erster Teil der neuen FURCHE-Kaffeehaus-Serie: "Die Tradition" - am Beispiel des gerade 125jährigen Cafe Landtmann.

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Erster Teil der neuen FURCHE-Kaffeehaus-Serie: "Die Tradition" - am Beispiel des gerade 125jährigen Cafe Landtmann.

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Das Wiener "Cafe Landtmann" liegt zweifellos strategisch günstig. Zwischen Rathaus, Burgtheater, Universität und nicht allzuweit vom Parlament, bietet es sich als erweitertes Wohnzimmer diverser Politiker oder Burgschauspieler geradezu an. Das garantiert immer die Anwesenheit einer prominenten Person. Doch die Lage allein macht noch kein erfolgreiches Kaffeehaus. Die Geschichte des Landtmann ist auch die Geschichte eines Berufsstandes: Eine Reihe ehrgeiziger Cafetiers mit Stolz und Berufsethos haben das Landtmann zum Flaggschiff der Wiener Kaffeehauskultur machen wollen und dabei auch Geld verdient. Das ist heute nicht einfach, und war es früher auch nicht. Ohne Innovation und behutsame Pflege des Publikums läßt sich aus einem Kaffeehaus keine Goldgrube machen.

Als "das größte Kaffeehaus der Residenz" am 1. Oktober 1873 eröffnet wurde, waren die Universität und das Rathaus Großbaustellen, vom Burgtheater gab es noch nicht einmal den ersten Spatenstich. Doch Gründer Franz Landtmann investierte in Werbung. Die Weltausstellung und die Eröffnung der Hochquellwasserleitung vom Semmering brachten genug Publikum und das richtige Wasser zum Kaffeesieden. "Wiens eleganteste und größte Cafe-Localitäten" locken durch "vorzügliche, luxuriöse Billards, bequeme Spielzimmer, wie auch durch Verabreichung von nur ausgezeichneten Getränken bei promptester Bedienung" und bitten "um zahlreichen Besuch".

"Schon damals brauchte das Landtmann viele Menschen, und noch immer ist es "die Masse, mit der wir verdienen", sagt der jetzige Besitzer Berndt Querfeld, der der alten Tradition des Kaffeehausführens folgt. "Wir haben zwischen 1.500 und 3.000 Gäste pro Tag."

Vorbesitzerfamilie Zauner legte einige Grundsteine der Landtmann-Kultur, die heute noch gelten. Man renovierte die Räume und wußte innovativ die Eitelkeit prominenter Burgmimen und anderer Persönlichkeiten zu nutzen. Seit dem Jahr 1927 gibt es ein "Goldenes Buch", in dem sich Zelebritäten verewigen können. Die Wiener Bürgermeister von Seitz über Gratz bis Zilk frequentierten das Landtmann, bis heute ist das Gästebuch in Betrieb. Ganz unbemerkt ist auch Hillary Clinton während ihres Staatsbesuchs im Jahr 1997 inklusive Bodyguards unangemeldet im Landtmann aufgetaucht. Ihre Unterschrift beweist es.

Als die schillernde Person des Erwin Zauner - er hatte sich allen Angeboten in den sechziger Jahren, sein Cafe zu einer Bankfiliale umbauen zu lassen, heldenhaft widersetzt - bei einem Autounfall starb, übernahm 1976 Herbert Querfeld das Kaffeehaus. Anfangs sah es nicht nach Erfolg aus. "Damals ist eine Studentin als einziger Gast einen Tag lang mit einigen Zeitungen bei einem kleinen Braunen gesessen, und der Oberkellner Herr Robert hat nicht gewußt, wie er sich verhalten soll. Da hat mein Vater gesagt, besser eine Statistin im Fenster als sonstwas."

Berndt Querfeld kennt diese leere Zeit nur aus Erzählungen, seit 1976 hat sich die Gästefrequenz mehr als verzehnfacht. Der große Durchbruch kam per Zufall: Ein Fernsehteam des ORF suchte eine Kaffeehauskulisse, um ein Interview zu drehen. Die nötige Steckdose war da, und Herbert Querfeld hatte nichts zu verlieren, Damit begann der neue Aufschwung des Landtmann, das noch heute gegenüber den Medien sehr unbürokratisch agiert. Außerdem investierte die Familie wie zur Gründerzeit in die Räumlichkeiten, die 1982 um neun Millionen Schilling renoviert wurden.

Doch trotz der beachtlichen Größe herrscht noch immer Kaffeehausatmosphäre. Allein sein ist im Landtmann möglich, auch wenn man unter zweitausend Gästen sitzt. Doch selbst diese Frequenz macht nicht unbedingt einen gewinnbringenden Tag aus. Rechnet der Besitzer mit Sonnenschein inklusive Betrieb im Schanigarten, braucht er einen oder zwei Kellner mehr. Die kosten natürlich. Fällt das schöne Wetter unvermutet aus, ist das Lokal für Regenbetrieb überbesetzt und bringt selbst bei hoher Frequenz keinen Gewinn.

Ein klassisches Cafe gewinnbringend zu führen, ist ein ökonomisches Meisterstück. Seit 1988 navigiert Berndt Querfeld sein Kaffeehausschiff durch alle Stürme des freien Marktes. 55 Mitarbeiter gibt es im Landtmann, die sich um das Wohl der Gäste kümmern, 13 davon werken nur in der Küche. Kaffee allein ist nicht alles, was der Gast sich wünscht. Zwar gibt es den typischen Zeitungsleser mit seinem kleinen Schwarzen, der sich stundenlang hinter bedrucktem Papier verbirgt und nach den Wassergläsern lechzt, immer noch. Doch der Trend zum Essen ist unübersehbar. Das kann für Kaffeehäuser gut sein, sie aber auch überfordern.

Was der Gast will, klingt beim ersten Hören einfach: "Es ist immer eine Kleinigkeit," bestätigt Berndt Querfeld, "aber für den einen ist das ein Schnittlauchbrot und für den anderen ein Schnitzel." Ob dieses Brot vom Kellner liebevoll gestrichen und angerichtet oder als trockene Scheibe mit einer Portionspackung Teebutter auf den Tisch kommt, macht den feinen Unterschied zwischen einem richtigen Kaffeehaus und dem Rest der Welt aus. Eines ist jedenfalls sicher: Konsumiert der Wiener nur einen Gang von beliebiger Dimension, so fällt das unter "Kleinigkeit."

Was den Kaffeehäusern das Überleben so schwer macht, sind nicht die Zeitungen, die in gediegenen Kaffeehäusern aufliegen. Es sind die hygienischen Auflagen für die Küche, die Zu-und Ablüftung und das Personal. Ganz abgesehen von den Mieten, die weniger frequentierte Häuser schon den Bestand kosten können, wenn sie sich vom Friedenszins in angemessene Höhen aufmachen, braucht ein Cafe laufende Sanierung.

Der Trend des Publikums zum Essen stellt für die Kaffeehausbetreiber eine Herausforderung mit vielen Konsequenzen dar. "Es ist nicht mehr so wie früher, wo der Kaffeesieder als einziger die Konzession zur Kaffeeausschank hatte," erklärt Norbert Lux, Geschäftsführer der Fachgruppe Kaffeehäuser und Reisebüros. "Vor dreißig, vierzig Jahren gab es in einem Kaffeerestaurant wie dem Landtmann ein Menü und kleine Speisen. Jetzt geht die Tendenz dahin, daß die Leute mehr essen." Vor 1972 gab es strenge Abgrenzungen zwischen den einzelnen Betriebsarten. Man prüfte genau, in welchem Umkreis Bedarf für einen Gastbetrieb bestand. "Noch in den fünfziger Jahren durften Wirte keinen Kaffee ausschenken, heute dürfen alle alles," stellt Lux lakonisch fest. Ein volles Haus garantiert noch lange keinen Erfolg. Vom Typ des klassischen Kaffeehausgehers, der für seinen kleinen Braunen drei Stunden braucht und fünf Zeitungen liest, kann man nicht überleben.

Der Konkurs lauert immer und überall. "Bei uns sind die Leute verwöhnt, die Preise sind viel zu nieder, und trotzdem meckern alle," vergleicht Querfeld Wien mit Paris oder Madrid, wo vergleichbar traditionelle Lokalitäten ungefähr das Doppelte für ihre Dienstleistungen verlangen.

Die Türken sollen den Kaffee vor 315 Jahren in Wien gelassen haben. Glaubt man der Legende, hat der Wiener Georg Franz Kolschitzky in muslimischer Verkleidung rettende Kurierdienste geleistet. Als Gegenleistung erbat er das Recht, Kaffeesieden zu dürfen. Eine Idee, die das Kulturleben Wiens bis heute bereichert. Damals aber war alles noch anders. Man hatte Zeit, oft keine Heizung, und lebte im Kaffeehaus.

Doch die Gastronomie wird immer schneller, fast food und Mac Donald's haben auch in Wien die Welt verändert. Eine Institution, die davon lebt, daß man sich Zeit lassen darf, und der Kellner eine Persönlichkeit ist, hat es schwer. Die Cafetiers müssen auf einmal kochen, rechnen und mit Tiefkühlmenüs konkurrieren. Doch es gibt einen Silberstreifen am Horizont: In Zusammenarbeit mit dem Kulturamt überlegt man, die alte Tradition des Tanzcafes oder des Kaffeehauses, in dem Musik gespielt wird, wieder aufleben zu lassen. Eine Institution, die so alt wie die Türkenbelagerung her ist, darf nicht sterben. Die globale Welt wird immer schneller, nur in Wien gehen die Uhren anders. Immer noch bleibt im Kaffeehaus die Zeit stehen, und das ist gut so.

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