Im Cafe der Spielleidenschaft frönen

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Neunter Teil der Furche-Serie über Kaffeehäuser: "Die Riskanten" oder "Die Gefährlichen". Billard, Schach und Karten sind klassische Kaffeehausspiele, Pferdewetten und Automaten die cash-cow der Zukunft. Wettpunktcafes sprießen aus dem Boden. Kaffeekultur ist hier nicht zu finden, dafür blanke Spielsucht.

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Neunter Teil der Furche-Serie über Kaffeehäuser: "Die Riskanten" oder "Die Gefährlichen". Billard, Schach und Karten sind klassische Kaffeehausspiele, Pferdewetten und Automaten die cash-cow der Zukunft. Wettpunktcafes sprießen aus dem Boden. Kaffeekultur ist hier nicht zu finden, dafür blanke Spielsucht.

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Der Wiener Wurschtelprater hat schon längst kein Monopol auf einarmige Banditen mehr. Immer öfter stürmen Automaten das Kaffeehaus.

Auch im "Spielzimmer" des Cafe Museum fristet neben Altherrenrunden, Tarotkarten, Schach- und Backgammonbrettern ein Spielautomat sein Dasein. Dezent vor dem Zugang zu den Toiletten aufgestellt, außerdem öfters außer Betrieb findet er jedoch nie die Beachtung, die seine Kollegen in den Wettpunktcafes genießen. Bedient wird er kaum. Dafür kann man schon vier bis fünf Schachpartien gleichzeitig beim regen Verlauf beobachten. Das Spiel hat hier noch einen Platz jenseits der Elektronik von Bits, Bites und übertragenen Pferderennen am Großbildschirm.

Die Lust am Spiel hat Kaffeehaustradition. Billardtische kannte man schon am Beginn des 18. Jahrhunderts. Damals verkehrte der legendäre Baron Nartop im "Silbernen" in der Plankengasse. Er war ein so genialer Spieler, daß er in Ermangelung verlierfreudiger Partner gegen sich selbst antreten mußte.

Das "Landtmann" trumpfte bei seiner Eröffnung mit Billardtischen auf, auch heute gibt es im Cafe Weidinger oder im "Sperl" noch die Möglichkeit, in gepflegtem Ambiente der Billardleidenschaft zu frönen. Das Kartenspiel, vor allem das Tarock, das von den Kaffeehausfreaks Leo Perutz und Alfred Polgar gepflegt wurde, setzte sich bei aller Beliebtheit erst später durch, weil hohe Strafen verlustträchtige Kartenspielformen oder Würfeln als Glücksspiele verboten. Um 1800 zog das Schach ins Kaffeehaus ein. Es ist die wohl kultivierteste, einsamste und unaufdringlichste Form aller Spiele.

Glücksspiel und Kaffeehauskultur müssen sich nicht zwangsläufig widersprechen. Im "Schopenhauer" im achtzehnten Bezirk geht die Spielleidenschaft mit der Atmosphäre eines Kaffeehauses eine gelungene Symbiose ein.

Wettbüro mit "Flair" Betritt man jedoch eine der Lokalitäten, auf deren Fensterscheiben einladend neongrün oder blau "Wettpunkt" oder "Admiral" prangt, spielt der Kaffee schon nur mehr eine untergeordnete Rolle. Er soll vor allem zum Spielen animieren. Das schlägt sich auch im Preis nieder: verglichen zum gehobenen Kaffeehausniveau, herrschen hier beinahe Zustände wie in Las Vegas. Wettpunktcafes sind die kleine, österreichische Variante des amerikanischen Bruders, und sie sprießen überall aus dem Boden.

Etwas unangenehm mutet der schwarze Verschlag hinter manchen Fensterscheiben an, doch auch das tut dem regen Zustrom keinen Abbruch. 40 Filialen gibt es österreichweit, allein in Wien sind es momentan 34. Im amtlichen Telefonbuch stehen erst 25, das Unternehmen expandiert.

Marketing Direktor Norman Rodger stammt aus Großbritannien, und dort hat das Wetten ganz große Tradition. "Pferde- und Hundewetten kommen aus England, ich weiß das, weil ich komme auch von dort," erklärt er mit sonorer Stimme und sympathischem Akzent. "Hier ist man mehr sportorientiert. Fußball und Tennis gehen am besten, und diese saisonalen Sachen wie Formel I, Schifahren oder Eishockey." Zum Kaffeehausbetrieb kann er nicht viel sagen. "Ich bin nur fürs Wettbüro zuständig."

Immerhin setzt er auf eine Trennung zwischen beiden Bereichen. "In einem Land mit Kaffeehaustradition ist die Placierung besser als im Casino. Wir haben Stammkunden, die gehen nur ins Wettbüro, und andere, die sind nur im Kaffeehaus, manche benutzen beides," hofft Rodger, daß sich Kaffee und Spielbetrieb gegenseitig befruchten. Für die Zukunft ist er zuversichtlich. "Wir sind einfach die größten und die Besten," hat er vor Konkurrenz in der Branche keine Angst. Immerhin hat die Firma schon jetzt 400 Mitarbeiter und macht einen Umsatz von über einer Milliarde Schilling.

Willkommen ist jeder Konkurrent Admiral kommt auf 700 Millionen. Insgesamt setzen Österreichs 300 Wettbüros 2,5 Milliarden Schilling um. Lokalverbote, Kontrollen oder Sperren wie im klassischen Casino gibt es keine. Elitär ist hier nichts. Willkommen ist jeder.

"Jetzt werden unsere Produkte immer besser, und nach meiner Erfahrung in England haben die Leute durch den Computer und das homeworking immer mehr Zeit für Unterhaltung. Der Gastro Bereich, Sauna und Fitneß, das ist die Zukunft," ist Rodgers sicher, noch weiter expandieren zu können.

In der Operngasse gibt es zwischen Naschmarkt und Technischer Universität ein schönes Gebäude mit einer runden, vollverglasten Ecke. Früher ließ sich dort gediegen Zeitung lesen, eine "Janele" Bäckerei sorgte für gute Mehlspeisen, auch etliche Professoren ließen die gediegene Atmosphäre in der Mittagspause gerne auf sich wirken.

Inzwischen ist alles anders. Die "Janele" ist einem "Admiral" Lokal gewichen. Große Fernsehschirme lassen das ausschließlich männliche Publikum Fußballspielen und Pferderennen folgen, die nette Dame an der Kassa informiert genau über die Spielmodalitäten. Einarmige Banditen zieren die Wand, doch das Hauptinteresse gilt dem Wetten. Wer hier nicht spielt, und nur Zeitung liest oder einen Kaffee trinkt, fällt als Außenseiter auf.

Der Einstieg ins Spiel ist leicht: an jedem Tisch gibt es kleine Kugelschreiber, die richtigen Zettel zum Ausfüllen liegen daneben. "Admiral Sportwetten - täglich live - täglich gewinnen" steht am Schein, zwischen einfachem und zehnfachem Einsatz läßt sich wählen, die Höhe des Einsatzes bestimmt der Spieler. De facto sind nur Nummern einzusetzen: das Rennen, der Ort und der Starter. "Sieg, Platz, Ita, Trita, Zweier, Zwilling, Platzzwilling, Drilling und Drw/Tierce" stehen zur Auswahl. In England kann man mit diesen Begriffen etwas anfangen, der Österreicher muß erst lernen.

"Die Pferdewetten sind anders als der Rest. Die Kunden wollen das Rennen mitverfolgen, sehen, in welchem Zustand das Pferd ist, wie es vorbereitet wird," erklärt Oliver Heinzel, Geschäftsführer von "Admiral" Kundenwünsche. "Zum Wetten gibt es da eine Vielzahl von Varianten, wir wollen jetzt prominente Plätze wie Ascot nach Österreich bringen." Das könnte gelingen, die Bildschirme im Cafe sind jedenfalls groß genug.

Sportwetten boomen Seit 1982 gibt es "Admiral Sportwetten", und das Geschäft boomt. "Am meisten werden 100 Schilling gesetzt," weiß Oliver Heinzel, der Chef von "Admiral". Für ihn ist die Kombination Wetten und Kaffee optimal. "Wir müssen dem Gast ein Erlebnis bieten," meint er. "Wir sind nicht nur ein Wettanahmeschalter."

Fußball, gefolgt vom Volkssport Schifahren, kommt am besten an. Der Maximalgewinn pro Wette ist eine Viertelmillion Schilling, das tausendfache eines 250 Schilling Einsatzes. Wie viel Quote ausgeschüttet wird, kann man so genau nicht sagen. Information, Erfahrung und ein guter Computer steuern den Gewinn. "Wir können das Risiko nicht tragen, wenn auf einmal alle hunderttausende Schillinge auf Mannschaft A setzen, und die gewinnt." Heinzel ist ja immerhin für das Wohlergehen von 250 Mitarbeitern zuständig.

Kennt man sich nicht aus, berät die Dame am Schalter den Newcomer gerne. Der echte Sportwetter braucht das nicht. "Der Kunde weiß genau, wann prominente Spiele sind und seine Lieblingsmannschaft auftritt," weiß Heinzel um den Wert der Kommunikation unter Fans.

Wesentliche Informationen, die unter echten Männern unter Umständen nicht mündlich weitergegeben werden, stehen am Schein, damit der Spieler auf Nummer Sicher gehen kann: "Nehmen Sie grundsätzlich einen dunklen Kugelschreiber. Machen Sie kein Kreuz, streichen Sie kräftig von oben nach unten, so, daß das Feld möglichst ganz ausgefüllt ist." Damit auch nichts schiefgehen kann, zeigt ein Piktogramm, wie ein ordentlich ausgefülltes Feld auszusehen hat.

Die Männer, die in der Operngasse gebannt ein Drittligaspiel aus England verfolgen, tragen beinahe alle Goldketterln ums Handgelenk und Lederjacken, sie kennen einander und trinken Bier. Der Ausländeranteil unter ihnen ist hoch. Für jedes Spiel gibt es eine bestimmte Uhrzeit, zu jeder Uhrzeit eine andere Klientel. Nur der einarmige Bandit ist zeitlos. Er läßt sich immer bedienen. Vor allem in den Spielpausen. Dann ist der Andrang besonders groß.

Täglich gewinnen ...

"Täglich gewinnen", dieser Slogan prägt sich ein und weckt Hoffnung. Wo sie einzulösen sind, findet sich gleich darunter: 13 "Admiral" Cafes in Wien, sieben in Graz und fünf andere in ganz Österreich zieren das Papier.

Im Gegensatz zum elitären Casino ist jeder krawattenzwanglos willkommen, und niemand allein. Der wahre Spieler weiß, wo er wieder gambeln kann. Die Hoffnung auf einen Gewinn lebt immer, das Mitleid bei einem Verlust ist auch im "Admiral" daheim. Seine Enttäuschung in Alkohol zu ertränken, ist im Cafe nicht schwer, zum Mittrinken sind genug andere Verlierer da. Um 14 Schilling gibt es zwei Zentiliter Rum, für einen Schilling mehr ein Achterl Rot, der Remy Martin Cognac kommt auf 38 Schilling. Ein halber Liter Ottakringer überschreitet knapp die 30 Schilling Marke. Aber einer, der alles verloren hat, rechnet wohl nicht mehr so genau.

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