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Fressen? Essen?

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Man weiß wenig darüber, wie vor Jahrhunderten gegessen wurde. Ein britischer Soziologe beschrieb nun fundiert die Geschichte des Essens als die einer Kultivierung.

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Man weiß wenig darüber, wie vor Jahrhunderten gegessen wurde. Ein britischer Soziologe beschrieb nun fundiert die Geschichte des Essens als die einer Kultivierung.

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Die Entstehungsgeschichte der großen Restaurants von Paris in der Zeit nach der Revolution ist etwas komplizierter, als man sie oft erzählt. Es war nicht einfach so, daß die Köche, die früher bei den Aristokraten im Dienst gestanden hatten und deren Arbeitgeber nun außer Landes geflohen oder in den Wirren der Revolution ums Leben gekommen waren. sich nun gezwungen sahen, diese ersten Restaurants zu eröffnen. Die Emigration und die Guillotine haben sicher dazu beigetragen, das Angebot an geschulten Arbeitskräften steigen zu lassen. Aber die erste neue Form eines öffentlichen Speisehauses — das dann als „Restaurant“ bekannt wurde — entstand in Paris in den zwei Jahrzehnten vor der Revolution.

Mitgebrachter Braten

In London, Paris und jeder anderen Stadt Europas war es immer möglich gewesen, zubereitetes Essen zu kaufen. Das Restaurant blickt auf verschiedene Institutionen zurück, aber keine davon entsprach ganz der für das Restaurant typischen Kombination von Stil und Art der Kost, sozialern Milieu und gesellschaftlicher Funktion. Die ersten Vorläufer waren vielleicht die Garküchen, die aus den Beschreibungen mittelalterlicher Städte bekannt sind (wie etwa William Fitz-Stephens Bild Londons um 1183), und in die der Städter eigenes Fleisch zum Kochen mitbringen oder wo er auch ein warmes Gericht erwerben und dabei unter zahlreichen Pasteten, Puddings und Fleisch-stücken wählen konnte.

Die Garküchen waren vor allem für die unteren Schichten wichtig, weil nur die größeren Häuser über angemessene Einrichtungen verfügten, und in ihrer ursprünglichen Form waren sie sicher kein exklusiver Treffpunkt der Reichen in der Stadt. Die Garküche gab es jahrhundertelang, wobei sie sich in England allmählich zum geselligen Kaffeehaus entwickelte. Als Monsieur Misson seine bekannte Beschreibung einer Londoner Garküche im späten 17. Jahrhundert verfaßte, handelte es sich dabei offenbar um einen Ort, an dem Personen aller Stände, von den Peers und der Gentry bis zu Kaufleuten und Handwerkern, einen Imbiß einnehmen konnten.

Vom Essen zur Politik

Gewöhnlich befinden sich auf vier übereinander angeordneten Spießen jeweils fünf oder sechs Stücke Schlachtfleisch, Rind, Schaf, Kalb, Schwein oder Lamm. Man läßt sich davon nach eigenem Wunsch herunterschneiden; fett, mager, mehr oder weniger durphgehraten: iazu gibt es etwas Salz und Senf auf dem Tellerrand; eine Flasche Bier und ein Brötchen — und das Festmahl ist angerichtet.

Beliebte Treffpunkte waren in London wie in Paris vom späten 17. Jahrhundert an die Kaffeehäuser. Das coffee-house in London zur Zeit der Restauration ist berühmt als Zentrum politischer Intrige und als Nachrichtenbörse des Handels, während in Paris zur gleichen Zeit so bekannte Institutionen ins Leben gerufen wurden wie das Cafe Procope, wo dann vom 18. Jahrhundert an die Literaten zusammentrafen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Londoner Kaffeehäuser zu Speisehäusern entwickelt, die nur noch „Tagesgerichte“, aber nun kaum mehr Kaffee servierten.

Gekürzt aus: „Die Kultivierung des Appetits — Geschichte des Essens vom Mittelalter bis heute“. Von Stephen Mennell. Athenäum Verlag, Frankfurt/M. 1988.498 Seiten, Bilder, Ln., öS 452,-.

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