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Puccinis Oper, konsequent von heute aus gedeutet, an der Wiener Staatsoper.

Geld macht nicht glücklich. Hätte Manon Lescaut nur den aktuellen Bestseller "Die Kunst des stilvollen Verarmens" gelesen und verinnerlicht! Denn die Erkenntnisse, die Alexander von Schönburg im leichten Ton ausplaudert, gewinnt sie erst im Sterben. Bei der jüngsten Produktion der Staatsoper, Giacomo Puccinis "Manon Lescaut", ist das unglückliche Mädchen nämlich kein Geschöpf des frühen 18. Jahrhunderts, sondern eine jener Frauen, die heute die Klatschspalten, die bunten Illustrierten und die drittklassigen tv-Shows beherrschen; ein blondiertes Partyluder, das sich den Reichen und Berühmten in die Arme und in die Betten wirft, um ein Stück des Reichtums und einen Abglanz des Ruhmes zu ergattern. Eine stimmige Interpretation des klassischen Stoffes, die mit einem ebensolchen musikalischen Gesamteindruck einhergeht, wenngleich auch das Orchester in punkto Lautstärke einem Rat Schönburgs hätte folgen sollen: Weniger ist mehr.

In Robert Carsens Inszenierung beginnt Puccinis erster großer Erfolg in einer schicken Einkaufspassage: Hie die von Sicherheitsleuten bewachten Boutiquen und die in Versace oder Armani gekleideten Luxusgeschöpfe, dort eine obdachlose Bettlerin und die jungen, feixenden Touristen mit ihren Energydrink-Dosen in der Hand. Einer der anfänglichen Zaungäste ist Manon (Barbara Haveman), die sich aber bald ein Ticket in die High Society sichert, bevor sie noch einmal mit ihrem mittellosen Geliebten Des Grieux (Neil Shicoff) durchbrennt. Doch Luft und Liebe sind ihr zu wenig und so landet sie schließlich doch im Appartement des schwerreichen Businessman Geronte (Wolfgang Bankl), der stets von finsteren Bodyguards umgeben ist. Ein guter Handel: Er hat Frischfleisch, sie tolle Kleider, Juwelen und Fotoshootings. Dass Manon am Ende diese Art von Tauschgeschäft als Irrtum erkennt, dass sie die Shoppingmeile am Ende als Einöde empfindet und im Sterben dem Konsumwahn und der Quasi-Prostitution entsagt, ist das konsequente Ende der sehr heutigen Deutung, die über das Werk gelegt wurde.

Mit Neil Shicoff gibt ein Publikumsliebling den Chevalier Des Grieux, der hier mitunter mit heldischem Timbre aufwartet. Gleichwohl er ja nicht mehr der jüngste ist, bringt er den jugendlichen Studenten darstellerisch glaubhaft hinüber. Seine Partnerin Barbara Haveman, sofern ihr samtiger Sopran vom Orchester nicht übertönt wird, ist makellos, hat aber keine Divaqualitäten - was vielleicht der Partie, aber nicht der Rolle abträglich ist. Ausgezeichnet Wolfgang Bankl als Geronte, tadellos Boaz Daniel (Lescaut) und Saimir Pirgu (Edmondo).

Seiji Ozawa, wie es seine Art ist, trägt dick auf. Herrlich die geballte Farbenpracht, die das Staatsopernorchester, vulgo Wiener Philharmoniker, im berühmten Intermezzo sinfonico zwischen dem zweiten und dem dritten Akt entfaltet. Schillernd und mit der Wucht des Pathos ertönt hier das Liebesglück, das auf der Bühne nicht zu sehen ist. Ozawas Stil bewährt sich dort am besten, wo keine Sänger seine Kreise stören. Denn diese kommen gegen den lautstark entfesselten Klangrausch oft nicht an. Der Vorwurf, seine Sänger gnadenlos zuzudecken, kann dem Dirigenten nicht erspart bleiben. Sogar Shicoffs strahlendem Tenor wurde dieses Schicksal zuteil.

Das Publikum, das dem Musikdirektor der Staatsoper ja nicht immer gewogen ist, goutierte Ozawas Dirigat. Der obligate Sturm von Buhrufen wider die Regie wurde diesmal beinahe durch begeisterten Jubel aufgewogen.

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