Die Grenzen der Toleranz

Werbung
Werbung
Werbung

Die islamische Gemeinde der Schweiz wuchs rasch und stößt jetzt auf eine totale Ablehnung. Das Minarett-Verbot per Volksinitiative hat einen europaweiten Flurschaden verursacht.

Noch nie hat eine Volksabstimmung so viel an Überraschung und Ratlosigkeit ausgelöst: 53 Prozent der 4,9 Millionen wahlberechtigten Schweizer eilten am Sonntag zu den Urnen, stimmten mit 57,5 Prozent für die Volksinitiative, den Bau von Minaretten zu verbieten. Prognostiziert worden war das Gegenteil: Die Initiative werde von 53 Prozent der Abstimmenden abgelehnt werden, ließen Meinungsforscher erwarten. Nichts da: Seit Sonntag ist die Schweiz mit ihrem künftigen Bauverbot für Minarette in der Verfassung international blamiert und isoliert. Das Establishment ringt um Begrenzung des Flurschadens, aber der ist angerichtet, mehrfach und derzeit noch unübersehbar.

Die als Folge von Migration notwendige Integration auch islamischer Zuwanderer in europäischen Ländern hat einen herben Rückschlag erlitten. Nationalistische Kräfte erhalten Rückenwind: In Frankreich (Front National), in Italien (Lega Nord), in den Niederlanden (Geert Wilders) und in Dänemark (Pia Kjaersgaard) forderten Spreche ein Bauverbot für Minarette in ihren Ländern. In der Schweiz forderte die SVP nach Minarett- ein Verschleierungsverbot.

Der Premier der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, war am Dienstag in Ankara um eine Antwort nicht verlegen: In Europa gebe es eine „zunehmend rassistische und faschistische Haltung“. Islamophobie sei wie Antisemitismus „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Womit ErdoØgan den Holocaust relativiert, den Islam vereinheitlicht, die Debatte in die Tradition der antisemitischen stellt und die Verständigung der Religionen erschwert. Die Schweiz, verlangt ErdoØgan, solle die Entscheidung zurücknehmen. Das wird schwierig.

Verunsicherte Öffentlichkeit

Das „Egerkinger Komitee“, welches in der Schweiz die „Initiative gegen den Bau von Minaretten“ betrieb, hatte ganze Arbeit geleistet. Binnen weniger Monate sammelten die aus der siegreichen national-konservativen SVP kommenden Nationalräte ab 2007 über 114.000 Unterschriften, um im Juli 2008 eine Volksinitiative einzuleiten. Sie nutzten die von der Politik nicht ausreichend wahrgenommene Irritation der Bürger über die extrem schnell wachsende islamische Gemeinde in der Schweiz als Schwungrad ihrer Bewegung.

Noch 1980 lebten in der Schweiz rund 60.000 Muslime, 1990 waren es bereits 150.000 und 2010 werden es gut 400.00 sein. Bei einem Anteil von 20 Prozent Ausländer an einer Sieben-Millionen-Einwohnerschaft ein bemerkenswertes Wachstum. Begleitet von baulichen Begehrlichkeiten.

In Wangen bei Olten, einem Örtchen im Kanton Solothurn, nahm alles seinen Anfang. Der örtliche türkische Kulturverein erkämpfte ab 2005 über zwei Jahre lang und durch vier Verwaltungs- sowie Gerichtsverfahren eine Baugenehmigung für ein Minarett. Ähnliche Verfahren in Langenthal und in Wil SG sorgten für Aufsehen. In Bern-Wankdorf wollten ansässige Muslime um 80 Millionen Franken auf 8.500 Quadratmetern ein Islamzentrum mit Geschäften, Hotel und – als Bedingung – eine Moschee mit Minarett errichten. Die Öffentlichkeit geriet in Aufruhr.

Die eidgenössische Gesellschaft, von Swissair-Absturz und Bankenaffären in ihrer Identität schon irritiert, hatte in den islamischen Gebetshäusern mitsamt Minarett einen neuen Feind ausgemacht.

Der politisch-religiöse Gegner stand für alles, wogegen in der Reformation gekämpft und wofür die Eidgenossenschaft gegründet worden war: Der Islam stelle die Religion, anders als die Schweiz, über den Staat; religiöse Anweisungen gälten mehr als die im Rechtsstaat demokratisch geschaffenen, heißt es im Schrifttum des Egerkinger Komitees. Wer sich so verhalte, gerate in Widerspruch zur Verfassung. Das Symbol dieses religiös-politischen Machtanspruches sei das Minarett. Dieses gehöre verboten. Soweit die Egerkinger.

Genau dafür stimmten die Schweizer am Sonntag mit ausreichender Mehrheit. Und jetzt ist zwar gesetzlich-administrativ, aber keineswegs politisch klar, wie es weitergehen soll, nachdem die Grenzen der Toleranz deutlich und gegen internationales Recht gezogen wurden.

Basisdemokratie desavouiert Staat

Es sei „unglaublich“, wie in der Schweiz der Staat durch sein Volk in einer basisdemokratischen Abstimmung „desavouiert“ worden sei, meint der dreifach promovierte Europa- und Völkerrechtsexperte Waldemar Hummer. Die Schweiz sei, so der Innsbrucker Rechtswissenschafter, völkerrechtliche Verpflichtungen eingegangen. Etwa die Menschenrechtskonvention anzuerkennen, deren Artikel 9 die Religionsfreiheit schütze. Die Schweiz sei Mitglied des Europarates, dessen Artikel 3 den Schutz der Grund- und Menschenrechte verlange. Ein Verfassungsartikel, wie ihn die Volksinitiative mit einem Bauverbot für Minarette vorsehe, sei da wohl rechtswidrig, meint Hummer. Allerdings stünden in der Schweiz, anders als etwa in Österreich, diese völkerrechtlichen Verträge nicht auf der gleichen Stufe, sondern unter jener der staatlichen Verfassung.

Einfallstor für Verbote

Die Verfassung habe, wie Hummer seinen Schweizer Kollegen Daniel Thürer zitiert, höchste Geltung. Ein Bauverbot für Minarette in deren Artikel 72 sei allerdings unsystematisch. Denn dieser Teil der Verfassung regle die Zuständigkeit für Religionsangelegenheiten zwischen Bund und Kantonen, erlaube Maßnahmen „zur Wahrung des öffentlichen Friedens“. Sollte das Bauverbot Verfassungsrecht werden, sei dies „das Einfallstor für eine meritorische Verbotsnorm“, so Hummer, und wäre menschenrechtswidrig. Zu bedenken sei, dass die Minarett-Projekte privat betrieben worden seien, nicht von gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften, die es für den Islam bei den Eidgenossen nicht gebe. Wäre dies der Fall, könnte die Art der Religionsausübung nicht vorgeschrieben werden. Die Minarette wären zu erlauben, sofern sie fester Bestandteil der Gottes- und Gebetshäuser seien, wovon jedoch auszugehen sei.

Geistliche für Integration

Die Bestürzung über das Votum ist ungeteilt. Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, bezeichnet es „klar diskriminierend“. Für den Europarat stellte dessen Generalsekretär Jagland die Frage, ob Referenden die Grundrechte ausheben könnten. Der Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari betonte das Recht der Religionen auf öffentliche Präsenz. Und der an der Universität Wien tätige Professor für Islamische Religionspädagogik, Ednan Aslan, drängt auf eine sachliche Debatte über den Islam, denn: „Wie sonst kann Integration gelingen?“ Manche Ängste seien ernst zu nehmen, doch die Minarett-Gegner wollten in Wahrheit mehr und anderes. Der Islam müsse sich hier selbst äußern, dürfe nicht von den Rechten definiert werden. So gesehen sei die Debatte auch eine Chance, meint Aslan: „Es wäre gefährlich für Muslime, sich als Opfer zu sehen und mit Abwehr ihre Religion zu schützen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung