Die Leiden der alten Wörter

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Einer von uns dreien muss hinweg, und das will ich sein!" Werther erschießt sich mit einer von Albert geliehenen Pistole. In den Kammerspielen des Salzburger Landestheaters gibt es einen Knall, und Werther verlässt mit blutverschmiertem Gesicht die Szene. Eine Ménage à trois ist zu Ende.

Man behauptet, dass Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werther", der 1774 auf der Leipziger Buchmesse Furore machte, auch Selbstmorde provoziert habe. Goethe hatte den "Werther", den er in vier Wochen geschrieben hatte, jüngeren Freunden zu lesen gegeben und er setzt -da er in dem Roman sich Einiges von der Seele geschrieben hatte -in seinen Notizen fort: "Ich fühlte mich, wie nach einer Generalbeichte, wieder froh und frei, und zu einem neuen Leben berechtigt." Doch die Erleichterung darüber, Wirklichkeit in Poesie verwandelt zu haben, erzeugte Verwirrung, weil man glaubte, man müsse die Poesie in Wirklichkeit verwandeln, "einen solchen Roman nachspielen und sich allenfalls selbst erschießen; und was hier im Anfang unter wenigen vorging, ereignete sich nachher im großen Publikum, und dieses Büchlein, was mir so viel genützt hatte, ward als höchst verrufen", schrieb der damals 25-jährige Dichterfürst deshalb zu Beginn seiner literarischen Laufbahn.

Auf junges Publikum zugschnitten

"Die Leiden des jungen Werther" hat Johannes Ender für die Bühne bearbeitet und am Salzburger Landestheater selbst inszeniert. Manchesmal kommt einem der Gedanke, dass diese Collage eher die Leiden der alten Wörter des Geheimen Rates G. vorführe. Doch man verwirft diesen Gedanken dann schließlich wieder als ungerecht. Denn man muss eigentlich dankbar sein, dass Goethes Opus in dieser Inszenierung, die zwar nichts an Klamauk auslässt, auf junges Publikum zugeschnitten wurde, das den Werther womöglich nicht mehr im Kanon der von ihm wahrzunehmenden deutschsprachigen Literatur vorfindet.

Um den Werther bemüht sich Hanno Waldner mit allem Stürmen und Drängen in seiner Liebe und Leidenschaft, die von Lotte (Janina Raspe) stürmisch erwidert wird und die ihn ebenso wieder zurückstößt. Albert, ihr Verlobter (Tim Oberließen) ist zunächst der Tor und erwächst dann zum Souverän in diesem tragischen Dreiecksverhältnis.

Ein anderes Dreieck, eines unter Männern, bietet das Schauspielhaus Salzburg: "Das Bildnis des Dorian Gray" von Oscar Wilde, einen der meist gelesenen Romane der englischen Literatur, hat Charlotte Koppenhöfer für die Bühne gefasst und hier ebenfalls selbst Regie geführt.

Der Titelheld, der sich ewige Jugend und Schönheit schwor, während ein Porträt sein Altern und seinen Verfall übernimmt, scheitert mit seiner Existenz in Luxus und Glamour - eine "glanzvolle Dekadenz im Fin de siècle".

Auch hier folgte der Erstveröffentlichung des Romans eine heftige bis gehässige Kampagne wegen der vorgetragenen Moral des Hedonismus. Und auch hier wieder: Die Leiden der alten Wörter. Denn der damalige Zeitgeist und das Streben von heute, für immer fit, vital und fesch zu sein, ähneln sich nur allzu sehr. Solch solipsistisches Gehabe ist in jeder größeren Firma geläufig. Dass dies alles auch für gut gehalten werde, glaubt die Attraktivitätsforschung zumindest in Ansätzen nachweisen zu können. Die Wirkung von Schönheit erstreckt sich eben auch auf mitmenschliche Beziehungen, schlicht und einfach auf das "Dorian-Gray-Syndrom". Könnte es sein, dass sich in der Germanistik die Auffassung ein wenig breit macht, dass solche Komparatistik in der Pädagogik junger Menschen Platz finden sollte?

Jan Walter als Dorian Gray, Simon Jaritz als Lord Henry Wotton (beide neu im Ensemble) sowie Magnus Pflüger als Maler Basil Hallward spannten die Seiten des Dreiecks auch fesselnd ein interessanter, gut gespielter Abend, wobei die Musik von Christian Meschtscherjakov zu erwähnen ist.

Noch vor dem "Dorian Gray" sah man in der Kammer des Schauspielhauses "Illusionen einer Ehe", eine Komödie von dem Tunesier Eric Assous, zweimal ausgezeichnet mit dem Prix Molière und für das Lebenswerk mit dem Grand prix du théâtre der Académie francaise.

Jan Walter in der Hauptrolle mit Simon Jaritz sowie Magnus Pflüger spannten in 'Dorian Gray' die Seiten des Dreiecks fesselnd -ein gut gespielter Abend.

Ein paar Seitensprünge

Seitensprünge und ihre Folgen sind das Thema der "Illusionen einer Ehe"."Alles, was ich will, ist eine Zahl", fordert zur Eröffnung des Dreikampfs Jeanne, und Maxime gibt "ein paar" Seitensprünge zu. Als der zunächst unscheinbare Claude auftritt, weiß man schließlich, dass er ein neun Monate währendes Verhältnis mit Jeanne hatte. Nur: Bei Feydeau zum Beispiel wäre es um einige Nuancen amüsanter geworden. Das heißt: Antony Connor hält man nicht für den Schwerenöter, der er als Maxime ist, sondern für einen biederen Mitbürger. Aber vielleicht sollte das der Gag sein? Der kam aber so nicht über die Rampe. Bülent Özdil gibt den zunächst unbeteiligt wirkenden Claude, der sich dann aber steigerte. Susanne Wende hat als Jeanne allerdings souverän das Heft der Seitensprünge in der Hand.

Vielleicht pflegte man falsche Vorstellungen, aber insgesamt hingen an der Aufführung einige Gewichte, die sich Regisseur Christoph Batscheider vielleicht nicht so gewünscht hat, immerhin handelt es sich um eine österreichische Erstaufführung. Dazu hat der Paartherapeut Klaus Heer die Sentenz parat: "Liebe ist monogam, nur der Mensch ist es nicht." Es bleibt eine Ménage à trois.

Die Leiden des jungen Werther

Landestheater Salzburg 20., 27., Okt., 6., 15., 29. Nov.

Das Bildnis des Dorian Gray

Schauspielhaus Salzburg, 13., 15. Okt.

Illusionen einer Ehe

Schauspielhaus Salzburg, 14., 17. Okt.

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