Ein Komöderl der Eitelkeiterln

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Im Wiener Volkstheater stockt bei Canettis "Komödie der Eitelkeit" dem Zuschauer keine Sekunde lang der Atem.

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Im Wiener Volkstheater stockt bei Canettis "Komödie der Eitelkeit" dem Zuschauer keine Sekunde lang der Atem.

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Ich muß einst im Burgtheater ein anderes Stück als Elias Canettis "Komödie der Eitelkeit" gesehen haben. Sonst hätte sich mir nicht die Erinnerung an die Unausweichlichkeit eines Geschehens, die Betonung dieser Unausweichlicheit durch eine sich zu rhythmischen Tönen vorwärtsschiebende Maschine, die Intensität einiger Bilder, so tief eingeprägt. Rudolf Jusits muß nun, fast auf den Tag 20 Jahre später, im Wiener Volkstheater einen anderen Text inszeniert haben. Ein spannungsloses, beiläufiges, trotz starker Kürzungen geschwätziges Stück, das wie ein zweiter Aufguß eines schwächeren Horvath wirkt. Ein Canetti-Diminutiv.

Wäre nicht die Erinnerung an jene Inszenierung von Hans Hollmann, dann wäre ich vielleicht geneigt, Rudolf Jusits zuzustimmen, der sich in einem am Tag vor der Premiere erschienenen Interview äußerst, nun ja, sagen wir zurückhaltend über die Qualitäten der "Komödie der Eitelkeit" geäußert hat. Mußte also wieder einmal ein Regisseur ein Stück inszenieren, das er besser nicht inszeniert hätte, weil er sich nicht wirklich dafür erwärmen konnte? Oder, wahrscheinlicher: Wußte er bereits, daß seine Arbeit danebengegangen war, und suchte in bewährter Weise den Grund beim Autor?

Eine Diktatur verbietet den Besitz und die Herstellung von Spiegeln, und zwar bei Todesstrafe, verbietet Gemälde, Fotografien und jede sonstige Abbildung nicht nur von Menschen, sondern auch von menschenähnlichen Wesen. Hellsichtig, könnte man sagen. Man denkt nicht nur an das historische Beispiel, nicht nur an Calvin. Derartiges haben wir ja auch heute, etwa in Afghanistan. Andererseits schrieb Canetti das Stück 1933, nachdem Hitler in Deutschland an die Macht gekommen war, unter dem Eindruck dieses Ereignisses, und es ist auch voll von Anspielungen auf die Massenpsychologie des Nationalsozialismus, wie Canetti sie sah.

Hollmann inszenierte die "Komödie der Eitelkeit" einst denn auch als Paraphrase auf den Nationalsozialismus. Jusits hingegen hat nicht nur einschneidend gekürzt. Er inszenierte auch eine weitgehend entpolitisierte "Komödie der Eitelkeit". Er konzentrierte sich weitgehend auf das Individuelle, was auf eine vordergründige Weise vom Text gedeckt ist, aber an seinen immanenten Möglichkeiten vorbeigeht. Der Druck von oben, die Angst, egal, ob in einer Diktatur vom NS- oder vom Stalinistischen Zuschnitt oder in einer lebensfeindlichen Theokratie der islamischen Spielart, wird nicht spürbar. Es gibt in dieser Aufführung keinen Augenblick, wo einem wirklich der Atem stockt. Dies sagen zu müssen, ist traurig, wenn von einem Stück von Canetti die Rede ist. Bei aller Kritik, die man an seinen Stücken üben kann.

Es gibt in der Aufführung des Volkstheaters ein paar schöne Stellen. Brigitte Swoboda ist zum Beispiel eine köstliche komische Alte, Heinz Petters ein Alptraum von einem Schwadroneur, noch ein paar andere Details sind hübsch, sind gelungen. Insgesamt aber wird ein ungenaues Mittelding von Horvath- und Nestroy-Tönen geboten. Von den Sprachmasken, auf die Canetti solchen Wert legte, sind nur Ansätze zu merken. Daran freilich ist nicht nur die Regie schuld. Das liegt auch an den Unzulänglichkeiten des Ensembles.

Nun hat Jusits vielleicht sogar recht, wenn er meint, die "Komödie der Eitelkeit" werde überschätzt. Doch Hollmann hat bewiesen, welche Möglichkeiten sie trotzdem bietet. Wer sie nicht nutzen kann, mit diesem Material nichts anzufangen weiß, läßt besser die Finger davon.

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