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In den Bestsellern von heute erblüht eine neue Form der alten Erbauungsliteratur. Sie treibt sonderbare Blüten. Eric-Emmanuel Schmitts frohe und zum Jubiläumsjahr passende Botschaft lautet: Kehrt um und glaubt an Mozart!

Der französische Dramatiker Eric-Emmanuel Schmitt schreibt ein erfolgreiches Buch nach dem anderen. Über "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" und "Oskar und die Dame in Rosa" (beide Romane stehen unter Plagiatsverdacht) meinte Iris Radisch in der Zeit: "Sie sind beide innerhalb einer Stunde zu lesen, sie sind im selben kulleräugigen Kinderton gehalten, sie stehen beide auf den Bestsellerlisten, und daran sind nicht nur Elke Heidenreich und ihr großes Herz für schlechte Bücher schuld."

Was ist noch daran "schuld", dass Schmitts Bücher die Bestsellerlisten stürmen und in Massen gekauft werden? Es sind wohl die Themen: Sinnsuche, Religion, Lebenshilfe. In Schmitts Prosa nimmt die alte Erbauungsliteratur eine zeitgeistige und verkaufsfähige Form an. Ein Beispiel dafür, das diese These bestens illustriert: Schmitts rechtzeitig zum Mozartjahr erschienenes Buch "Mein Leben mit Mozart".

Geheilt durch Mozart

Der Autor schreibt darin Liebesbriefe an Mozart - in diese webt er Betrachtungen zu Mozarts Musik, aber auch Belehrungen an das Publikum. Die Anrede an das berühmte und tote Gegenüber wirkt in ihrer Intimität aufgesetzt und überzogen. Schmitt ist auf Du und Du mit dem Genie Mozart. Ungenierte Selbstinszenierung und betuliche Vertraulichkeit gipfeln zu Ende des Buches, als Schmitt auf seine Frage "Eines Tages werde auch ich gehen. Was für eine Musik empfiehlst Du mir für diesen Augenblick?" Mozart selbst mit Musikvorschlägen antworten und dann schließen lässt: "Ganz der Deine, Mozart."

Schmitt stellt Mozart als Lebenshelfer dar. "Geheilt durch Mozart" wäre als Titel für dieses Büchlein ebenso passend gewesen wie: "Merckwürdige Nachricht von der Begnadigung eines der grösten Sünder, Namens Eric-Emmanuel Schmitt, von ihm selbst entworfen und an Mozart gerichtet". Denn Schmitts Prosa scheint der Erbauungsliteratur entsprossen, die einst im pietistischen Umfeld des Protestantismus erblühte. In Biografien wurde die Umkehr erzählt: der Glauben macht den Betroffenen zu einem neuen Menschen, dem die Aufgabe bleibt, immer wieder seinen Glauben zu erneuern. Die stark schematisierten Lebensgeschichten zeigten beispielhaft, wie Gott im Menschen handelt.

Schmitts "Mein Leben mit Mozart" erzählt als eine Art ganz seichte Confessiones, wie Mozart durch seine Musik am Menschen handelt. Es findet sich alles, was zu einer Bekehrungsgeschichte dazugehört: Zustand der Sünde; Augenblick der Begegnung und Bekehrung; reuige Umkehr und das Bleiben in Liebe; Wissen um das Auserwähltsein.

Da ist die erste Abkehr: als Jugendlicher selbstmordgefährdet, trifft Schmitt gerade noch rechtzeitig auf Mozarts Musik und entdeckt seine Liebe zum Leben. Die zweite Abkehr: Schmitts Ausflug in die experimentelle avantgardistische Musik. Dann kommt es - vor Weihnachten! - zum Bekehrungserlebnis. Schmitt hört Mozarts Musik und begreift plötzlich Weihnachten als "Eine heilige Zeit". Mozarts Musik redet ihm ins Gewissen: "Du hast mich eindringlich, melodisch, unerbittlich und zugleich sanft gezwungen, Dir Rede und Antwort zu stehen. Warum feierst Du Weihnachten? wolltest Du wissen. Warum gibst Du soviel Geld aus an diesem Tag?" Ein Gewissensspiegel wird entfaltet, ein Bußbekenntnis formuliert. "Ich hatte mir tatsächlich die ganze Zeit eingebildet, Gutes zu tun, und merkte nun, daß ich eigentlich nur selbstzufrieden war." Es ist soweit: "Ich hatte verstanden. Als die letzten Worte verklungen waren, wogen die Tüten und Pakete in meinen Händen nicht weniger als zuvor, aber nun waren sie mit etwas anderem beladen: mit Liebe."

"Ich wandte mich um", die Formulierung für Umkehr schlechthin, unterstreicht die gewollt religiöse Bedeutung. "Entzweiung" nennt Schmitt seine Entfernung von Mozart und streut sich "Asche auf mein Haupt". Ganz reuiger, nun aber erleuchteter Sünder kehrt er zurück: "Auch wenn ich versucht habe, Dich zu meiden - vielleicht, weil ich versucht habe, Dich zu meiden -, heute Mozart, kehre ich zu Dir zurück. Diesmal für immer."

Schmitts Briefe an Mozart sind eigentlich Gebete. Da finden sich sowohl Bitt-als auch Dankgebete und Anklänge an Schuld-und Glaubensbekenntnis. Mehr noch: Statt Mozart kann man durchgehend Gott setzen. Mozart ist Gott.

Mozarts Kunst

Schmitt beschreibt, wie Mozarts Musik auf ihn wirkt, wie Musik ihm hilft. Das Kunstverständnis Schmitts unterscheidet sich von dem der Avantgardisten, die von Mozart "abgefallen" sind: "Wir müssen ... aufbauen und nicht herunterziehen." Schmitt staunt über Mozarts Können: "Wie kann man so schnell ein Klima erzeugen, Emotion? Wie kann man in wenigen Sekunden so viel sagen?" Bedeutsam scheint ihm dabei vor allem die Einfachheit. "Zweifellos bedarf es einiges an Meisterschaft und Fülle, um den Mut zur Einfachheit aufzubringen. [...] Es bedarf einiger Anstrengung und Bescheidenheit, um zu einer klaren, schnörkellosen Kunst zu gelangen." Schmitt schätzt an Mozart "Bescheidenheit" und "die Sparsamkeit der Mittel": "Keine Stimme muß in Tränen ausbrechen, um Kummer zu bekunden, im Gegenteil, Gefühl entsteht durch die trägen Dehnungen der stimmlichen Bögen. Keine Emphase, nur Zurückhaltung."

Schmitts Kitsch

Doch die an Mozart bewunderte Ästhetik ist das pure Gegenteil von dem, wie Schmitt schreibt. Denn klar, schnörkellos und ohne Emphase, das sind gerade nicht Charakteristika von Schmitts Sprache. Die Häufung der klischeehaften Adjektive macht das deutlich, die Sängerin auf der Bühne wird etwa folgendermaßen beschrieben: "Was ihrem Timbre diese Fülle, diesen Schmelz verlieh, waren die wogende Brust, die sanften Schultern, die weichen Wangen, der prachtvolle Leib, der ebenso wie Töne herrliche Kinder hätte hervorbringen können." Und während sich die Leserin noch schüttelt, ist Schmitt schon "fasziniert angesichts dieser fraulichsten aller Frauen", was ihn zur Fantasie verführt: "Wir liebten uns in der Musik."

Doch im Folgenden gibt sich Schmitt sehr erd-und körperentrückt und bestätigt damit auch die Vermutung, sein Text sei Erbauungsliteratur. Denn Schmitt übt den Seelenaufschwung und hebt ab: "Wie eine Lerche, die zum Himmel auffliegt, löste ich mich aus dem Dunkel und stieg auf ins Blau." Derartige Bilder liebt der Autor, Musik steigt immer wieder auf und er mit ihr und die Lerche hat er besonders gerne. Kunst soll vor allem ergreifen, berühren, so Schmitts Forderung, die er in Mozarts Musik meisterhaft erfüllt sieht. Schmitt bringt seine Ergriffenheit aber gerade nicht in "Zurückhaltung", "in trägen Dehnungen der stimmlichen Bögen" in Sprache. Statt ein Meister des Vielschichtigen zu werden und sich so seinem Meister anzunähern, wird Schmitt zum Meister des Eindeutigen: des Kitsches.

Religionsersatz

Warum erfreuen sich derart kitschbeladene und betuliche Texte so großer Beliebtheit? Es scheint, als ginge es um eine Art Religionsersatz. Literarische Texte haben die Prediger abgelöst: heute predigt man in Romanen, in Lebenshilfeprosa à la Coelho oder Schmitt. Der Leser, der Predigten von den Kanzeln der Kirchen nicht mehr hören will, nimmt sie begeistert von der Literatur entgegen: die Antworten, wie das Leben zu leben ist. Wie Glaube gelernt werden kann. Worauf es ankommt im Leben. Wer wir sind und wohin wir gehen sollen.

Sehr interessant, dieser Trend, und umso interessanter, als oft in einer Sprache gepredigt wird, die zu verwenden intellektuelle Theologinnen ihre in Kirchen predigenden Kollegen zu Recht rügen würden. Sie würden ihnen dringend die Teilnahme an Homiletikseminaren empfehlen. Aber es ist salonfähig geworden sich zur Einfachheit (und zwar nicht im vielschichtigen Sinn à la Mozart sondern im eindeutigen Sinn à la Schmitt) zu bekennen. Kunstwerke dienen dann nicht dazu zu beunruhigen, sondern zu beruhigen, sie stoßen nicht vor Abgründe, sondern bieten Halt, werfen nicht unlösbare Fragen auf, sondern geben Antwort. Schmitt verdammt die Kunst, die "zerstört", und setzt ihr die Kunst entgegen, die aufbauen soll, die Glück schenken darf.

Das Phänomen Lebenshilfeprosa fordert wohl die Wahrnehmung dessen ein, was die Moderne nicht so recht hören, nicht so recht sehen wollte: das immerwährende Bedürfnis von Lesern nach Halt, Antwort, Sicherheit. Nach Einfachheit, die zum Herzen gehen soll. Literatur wird fast zum Religionsersatz - und in diesem Umfeld erlebt Mozart dank Schmitt seine Apotheose.

Der Beitrag ist die Kurzfassung eines Vortrages, der 2007 im Sammelband "Mozart und die Religion" (Hg. Peter Tschuggnall) im Verlag Mueller-Speiser erscheinen wird. Nachzulesen auch unter: www.literatur-religion.net

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