Es gilt das geschriebene Wort

Werbung
Werbung
Werbung

Nach der Verkündigung des Nobelpreises für Literatur begann die fieberhafte Suche nach dem Preisgekrönten J. M. Coetzee und ein (erneutes) Rätselraten um seine Initialen. Heißt M nun Marie oder Michael - oder stehen die Buchstaben doch für Jonathan bzw. John Maxwell, dem die Schwedische Akademie den Nobelpreis zuerkannte. Und wo hält er sich zur Zeit auf? In Australien, seiner neuen Wahlheimat, oder in Chicago, wo er zeitweise lehrt?

Inzwischen hat sich zumindest, dank eines kurzen Statements Coetzees auf der Universität von Chicago, klären lassen, dass Coetzee zur Zeit dort einem Lehrauftrag nachgeht. Über seine Initialen wird man wohl weiterhin rätseln.

Kein Seitenblicke-Mensch

Die geheimnisvolle Sphäre, die den Schriftsteller umgibt, kommt nicht von ungefähr. Denn er stellt sich nicht ins Rampenlicht, klopft keine markanten Sprüche über die Zustände diverser Nationen und wie sie zu verbessern wären (dabei gäbe es Themen über seine Heimat Südafrika ja wahrlich genug) und ersetzt nicht durch Interviews und Selbstinszenierungen die schriftstellerische Leistung. Ganz Schriftsteller, drückt er, was es zu sagen gibt, zu sagen geben kann, literarisch aus. David Usborne, der Coetzee im Jahr 1999, nachdem dieser zum zweiten Mal den renommierten Booker Preis zugesprochen bekam, interviewen wollte und nur eine E-Mail-Korrespondenz bewilligt bekam, erhielt auf seine Frage, warum er ihn denn nicht sehen könne, die Antwort: "Responding to you via the written word allows me to think." Ein Mann des geschriebenen Wortes also und des zuvor nachgedachten. Wie angenehm er sich damit doch von zeitgeistigeren Kollegen unterscheidet!

Selten so, wie es scheint

Sein geschriebenes Wort ist nicht nur poetisch und literarisch versiert, sondern auch differenziert. Denn: "Die Dinge sind selten so, wie sie scheinen." Und daher wird man in seinen Büchern umsonst nach Schwarz-Weiß-Malereien suchen. Im Urteil der Schwedischen Akademie heißt es dementsprechend auch: "Coetzee ist vor allem an Situationen interessiert, wo die Unterscheidung von richtig und falsch sich als unbrauchbar erweist, obwohl sie kritallklar ist." Unpolitisch ist der Autor dabei ganz und gar nicht, kreist er doch beständig um die Krisenherde in seiner Heimat Südafrika, um Apartheid, Rassismus, um Schuld und Sühne - und das meist in Verbindung mit Konflikten zwischen den Generationen. Einfache Lösungen gibt's nicht, wie im wirklichen Leben.

Dass er damit nicht allen gefallen kann, versteht sich von selbst. Anlässlich der Zuerkennung des Nobelpreises erinnert man sich in Südafrika daran, dass der ANC bei einer Anhörung der Menschenrechts-Kommission zum Thema Rassismus in den Medien beklagt hatte, Coetzees Roman "Schande" fordere weiße Südafrikaner zur Emigration auf. "Wir stehen weiter zu dem, was wir gesagt haben, schätzen aber zugleich seine Verdienste sehr", sagte ANC-Sprecher Smuts Ngonyama nun.

Lieben, was am nächsten ist, sich gewöhnen an das, was man nicht ausstehen kann - Versuche wie diese können nicht einfach sein. Vor allem wenn sie in der Heimat Südafrika angesiedelt sind, die eine wahre Geschichtslast zu tragen hat, deren sich auch ein junger Mensch nicht entziehen kann. Der 1940 in Kapstadt geborene Burensohn verlässt als junger Mann die Heimat. Statt von den Weißen als Soldat missbraucht oder von den Schwarzen weggewünscht zu werden, bricht er nach London auf. In seiner jede Schönfärberei unterlassenden Autobiografie "Die jungen Jahre", über die die Furche Nr. 5/2003 berichtete, gibt Coetzee kühl und distanziert den Blick frei in die eigenen Abgründe, einen Blick, den er meisterhaft auch auf die gesellschaftlichen Abgründe wirft. In London arbeitet er zunächst als Programmierer für IBM, in den USA studiert er später Literaturgeschichte, 1972 kehrt er nach Südafrika zurück und ist ab 1984 Professor für englische Literatur in Kapstadt, bis er vor knapp zwei Jahren nach Australien an die Universität von Adelaide übersiedelt. Privat gibt es von ihm sonst nichts zu berichten. Es gilt das geschriebene Wort.

Den Booker Preis, den er immerhin weltweit bisher als einziger Autor zweimal erhielt, nahm Coetzee nie persönlich entgegen, spannend bleibt daher abzuwarten, ob er am 10. Dezember in Stockholm erscheinen wird oder ob er es vorzieht, statt dessen an seinem nächsten Werk zu schreiben. Brigitte Schwens-Harrant

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung