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Medienexperte zu Gewalt im TV:

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Peter Vitouch, Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für empirische Medienforschung in Wien, warnt vor einseitigen Schuldzuweisungen.

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Peter Vitouch, Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für empirische Medienforschung in Wien, warnt vor einseitigen Schuldzuweisungen.

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DIEFURCHE: Macken Gewaltßme unsere Kinder gewalttätig? Peter Vitouch: Untersuchungen haben ergeben, daß es zwar kurz nach einem TV-Selbstmord zu einem Ansteigen der Selbstmordfälle kommt, über das Jahr hinweg gesehen bleibt die Zahl der Selbstmorde dann aber etwa gleich. Da gibt es offensichtlich eine entsprechende Medienwirkung. Diese Menschen haben sich natürlich nicht aus heiterem Himmel umgebracht. Es müssen wohl vorher schon entsprechende Probleme vorhanden gewesen sein. Daher muß man sehr vorsichtig sein, die Ursache dafür alleine den Massenmedien zuzuschieben.

Man kann folgendes sagen: kein Kind, wenn es einmal zufällig mit Gewalt im Fernsehen konfrontiert wird, aber sonst psychisch ausgeglichen ist, trägt einen dauerhaften Schaden davon. Auch da muß man ein bißchen relativieren und ein bißchen entspannter an diese Sache herangehen. Es wird nicht sofort eine Katastrophe passieren.

Das heißt natürlich nicht, daß Gewalt im TV vollkommen wirkungslos ist, und daß man sich daher überhaupt nicht darum kümmern muß. Es ist sehr vernünftig, daß in der Gesellschaft jetzt eine Diskussion darüber stattfindet, welchen Stellenwert Gewalt in den Medien hat und wie gefährlich sie werden kann.

DIEFURCHE: Was halten Sie von einem V-Chip? vitouch: Diese Idee kommt aus Amerika, also aus einem Land, das immer schon in gewisser Weise einfache und mechanistische Lösungen bevorzugt hat.

Der V-Chip ist ein elektronischer Bauteil, der produziert und verkauft wird. Das heißt, dahinter steckt letztlich auch ein Geschäft. Das spricht zwar noch nicht gegen den V-Chip, aber es ist schon einmal ein wesentlicher Punkt.

Außerdem erkennt der V-Chip ja nicht von selbst, ob etwas gewalttätig ist oder nicht. Irgendjemand muß das Programm bewerten und eine Kennung mitschicken. Wer bestimmt, was Gewalt ist und was jetzt zu zensurieren ist? Fällt da auch psychische Gewalt hinein, ist das nur körperliche Gewalt, wie gehen wir mit diesem Gewaltbegriff um? Und die TV-Produzenten werden sagen: Warum werden wir kritisiert, wenn wir Gewaltdarstellungen produzieren? Wer nicht hinschauen will, kann sie wegprogrammieren.

Die Schlußfolgerung: Es kann jede Mange Gewalt produziert werden und niemand findet mehr etwas dabei. Die Produzenten werden dann mit gewisser Berechtigung die Gewaltschraube anziehen und immer schlimmere Sachen produzieren.

Eltern brauchen sich um Medienkonsum und Medienerziehung nicht mehr zu kümmern, weil sie ohnehin den Fernseher programmieren können.

Ahnlich wird man in den Schulen denken.

Ich befürchte, durch die Einführung eines V-Chips wird die öffentliche Auseinahdersetzung mit dem Problem Gewalt in den Medien unter den Teppich gekehrt.

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