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Die Fantasy-Erfolgswelle dauert an. Fantasy-Literatur erfreut sich größter Beliebtheit, sorgt bei ihren Lesern, gleich ob jung oder alt, für schlaflose durchlesene Nächte und verbindet Fans aus aller Welt. Warum übt Literatur, die in fantastische Gegenwelten entführt, eine derartige Faszination aus? Ist sie, wie der Vorwurf oft lautet, eine Flucht aus der Wirklichkeit? Oder ist sie im Gegenteil eine Hilfe, die komplexe Wirklichkeit zu lesen? Welches Weltbild vermittelt sie? Wie werden Gut und Böse dargestellt? Redaktion: Brigitte Schwens-Harrant

Immer wieder feierte fantastische Literatur im Lauf des vergangenen Jahrhunderts Hochkonjunktur, was sich jedoch - von herausragenden Werken wie J. R. R. Tolkiens "Der Herr der Ringe" oder Michael Endes "Die Unendliche Geschichte" einmal abgesehen - in erster Linie in den Verkaufszahlen der Fantasy-Taschenbücher niederschlug, während der Erfolg im Feuilleton nur begrenzt, im literaturwissenschaftlichen Betrieb überhaupt nicht wahrgenommen wurde. Als Mitte der neunziger Jahre mit dem Durchbruch eines englischen Kinderbuchs das Augenmerk wieder einmal verstärkt auf Fantastik und Fantasy gerichtet wurde, konnte niemand vorhersehen, wie nachhaltig sich diese Genres dieses Mal durchsetzen sollten. Trotz kritischer Stimmen beherrschen die fantastischen Romane seit nunmehr zehn Jahren den Buchmarkt, die Fantasy boomt. Gerade im Kinder- und Jugendbuchbereich setzen viele Verlage auf fantastische Bücher und Fantasy-Reihen, die sie als Schwerpunkttitel in Startauflagen von bis zu 50.000 Exemplaren auf den Markt bringen.

Auch im literaturwissenschaftlichen Betrieb kann man sich der Macht der Magie nicht länger verschließen. Und so werden Seminare über Fantasy längst nicht mehr nur von Fans organisiert und besucht, sondern auch an Universitäten oder im Rahmen von literaturwissenschaftlichen Symposien angeboten. Die Fragestellungen beschränken sich nicht mehr auf den literarischen Rahmen, sondern beschäftigen auch Sozialwissenschaftler und Theologen. Die Fantasy bietet sich geradezu zum interdisziplinären Diskurs an: Rollenspieler, Professoren, Fans aller Altersstufen, Psychologen und Studierende diskutieren gemeinsam über die mythologischen Weltentwürfe J. R. R. Tolkiens, versuchen dem Erfolgsgeheimnis von Harry Potter auf die Spur zu kommen und ergründen die religiösen und philosophischen Einflüsse in William Nicholsons "Windsänger"-Trilogie oder Philip Pullmans "His Dark Materials".

Kreative Lösungen

Was ist dran an der Fantasy, dass sie sich für den Leser offenbar so unentbehrlich macht? Wie kommt es, dass etwa auch erwachsene Leser so bereitwillig auf die Bücher ihrer Kinder zurückgreifen und sich in deren fantastische Welten vertiefen? Thomas Le Blanc, Initiator und Berater der Phantastischen Bibliothek Wetzlar sieht die Attraktivität dieser Literatur in dem unbegrenzten Spiel mit Ideen. Außerdem biete die Fantasy-Literatur die Möglichkeit, Problemen der hiesigen, realen Welt in anderer, kreativer Weise zu begegnen. Dem Vorwurf des Eskapismus, den Kritiker an dieser Stelle oft vorbringen, wiederspricht er: Auch in den Fantasy-Welten müssen Konflikte wirklich gelöst werden - Magie und Zauberei sind schmückendes Beiwerk, räumen jedoch grundlegende Schwierigkeiten nicht mit einer Handbewegung und klangvollen Formeln aus dem Weg.

Harry Potter, seit Band fünf heftig mit Pubertätsproblemen und der Sprachlosigkeit einer ersten Liebe kämpfend, ist das beste Beispiel dafür: Seine Zauberkräfte helfen ihm zwar, gegen fantastische Bedrohungen wie die düsteren Dementoren vorzugehen - in alltäglichen Fragen jedoch kann er genauso wenig darauf zurückgreifen, wie die vielen mit ihm leidenden und bangenden Leser. Das macht ihn zur Identifikationsfigur und für viele zum Vorbild.

Auch Jonathan Strouds neuer Romanheld Nathanael ist bei aller ihn umgebenden Magie eigentlich ein ganz normaler Junge mit Ängsten und Problemen. Der ihn begleitende, titelgebende (und wunderbar sarkastische) Dämon Bartimäus verhilft ihm zwar zu magischen Artefakten - die zermürbenden Schuldgefühle nach dem Tod seiner Ziehmutter kann er ihm mit seinen Zauberkräften jedoch nicht nehmen.

Trotz einiger sich wiederholender Muster, wie etwa dem ewigen Kampf des Guten gegen das Böse, wird literarisch anspruchsvolle Fantasy nicht langweilig. Unter den schon lange etablierten Werken sind T. H. Whites "Der König auf Camelot", William Goldmans postmodern anmutende "Brautprinzessin" und Joy Chants psychologisch beeindruckenden Roman "Roter Mond und Schwarzer Berg" hervorzuheben. Unter den neueren Romanen verdienen u.a. Nina Blazons erzählerisch kraftvolles Erstlingswerk "Im Bann des Fluchträgers", Garth Nix' in das Totenreich entführende "Sabriel" und Cornelia Funkes "Tintenherz" besondere Beachtung.

Für "Tintenherz" erhielt Funke jüngst in Wien den Kinder- und Jugendbuchpreis 2004 der "Jury der Jungen Leser" (Altersgruppe der Elf- bis Zwölfjährigen). Das Buch wurde für seine "einzigartige und mitreißende Stimmung" gelobt, die das Publikum "von der ersten Seite an {...} in den Bann zieht."

Auffällig ist im Fantasy-Bereich die im Text selbst oft thematisierte, zunehmend deutliche Berücksichtigung der Märchen, die für ein doppeltes Lesevergnügen sorgt - so steht nicht nur das fantastische Abenteuer selbst im Mittelpunkt, sondern gleichzeitig die Parodie oder auch düstere Verfremdung bekannter Märchenmotive. Ein besonderes Highlight erwartet diesbezüglich Fans ab August: E. D. Bakers "Esmeralda, Froschprinzessin" verdreht das bekannte Grimm'sche Märchen vom Froschkönig und lässt die aus einem missglückten Kuss resultierenden Abenteuer gleichsam aus der Froschperspektive miterleben.

Ein Blick in die neuen Kataloge zeigt, dass im Herbst die Fantastik- und Fantasy-Welle fortgesetzt wird. Nach Drachen, Zauberern, Engeln und Elfen kommen jetzt die Dschinn in Mode - der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Die Autorin beschäftigt sich als Literaturwissenschaftlerin vor allem mit fantastischer Literatur für Kinder und Jugendliche.

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