Gottesäcker über Massengräbern

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Die Donauschwaben: Die Geschichte einer nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend ausgemerzten Bevölkerungsgruppe wird aufgearbeitet (siehe auch Seite 5).

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Die Donauschwaben: Die Geschichte einer nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend ausgemerzten Bevölkerungsgruppe wird aufgearbeitet (siehe auch Seite 5).

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dieFurche: Sie treten seit Jahren für eine Aussöhnung zwischen Serben und Donauschwaben ein. Was war der Anstoß dafür?

Zoran Ziletic': Im Februar 1991 wurde die Gesellschaft für serbisch-deutsche Zusammenarbeit in Belgrad gegründet. Unsere Gastarbeiter in Deutschland besaßen schon eine ähnliche Gesellschaft, die auch Deutsche gewinnen wollte. Wir sollten in Belgrad eine "Filiale" aufbauen, um unseren Gastarbeitern - von denen nur wenige über historische Bildung verfügen - und ihren deutschen Gästen das Wissen über die historischen Hintergründe der bestehenden Spannungen, der politischen Situation, des Verhältnisses zu Kroaten und Albanern zu vermitteln. Dann erkannten wir, daß wir auch unsere serbischen Mitbürger über Deutschland und die Deutschen aufklären müßten; daß wir untersuchen sollten, wie unsere Medien über die Deutschen berichten, und daß wir auch unsere (volks-)deutschen Mitbürger mitberücksichtigen müßten, auch wenn es sie nur mehr in Resten gab. So kamen wir auf die Problematik der Donauschwaben.

dieFurche: Wie weit hat Ihre Tätigkeit als Germanist da Einfluß gehabt?

Ziletic': Wir befassen uns als Forscher mit Goten und Gepiden im Mittelalter, mit den Franken an der Donau im 9. Jahrhundert, mit den Sachsen als Bergleuten im 13. Jahrhundert, lassen aber die Donauschwaben unerwähnt, weil sie in der allgemeinen Vorstellung als "fünfte Kolonne", als SS-Leute gelten. Das war mitentscheidend, daß ich mich mit dem Problem befaßt habe.

dieFurche: Wo sehen Sie die praktischen Verwirklichungsmöglichkeiten?

Ziletic': Es ist nach wie vor ein Tabuthema, aber die Menschen werden neugierig, weil sich viele an die einstigen Mitbewohner erinnern, vor allem in der Vojvodina. Die Neugier war da, man wußte vieles nicht und glaubte das nicht, was man in der Grundschule gelernt hatte. Damit war die Tür für die Aufklärung geöffnet.

dieFurche: Diese Aufklärung erfolgt in Ihrer Gesellschaft durch Vorträge?

Ziletic': Wir sind kein Verein, der sich speziell mit den Donauschwaben befaßt. Aber weil wir für die serbisch-deutsche Zusammenarbeit eintreten, befassen wir uns auch mit den Donauschwaben. Wir beklagen die Opfer des Zweiten Weltkriegs auf unserer Seite - aber noch viel mehr unschuldige Opfer waren die Kinder und Greise der Donauschwaben.

dieFurche: Eine Ihrer Aktivitäten, die bekannt wurden, bestand in der Aufstellung von Gedenktafeln auf den Massengräbern von Rudolfsgnad/Knjicanin.

Ziletic': Die Tafel in Rudolfsgnad bedeutete den ersten Schritt, weitere sollen folgen.

dieFurche: Das war Ihre Idee?

Ziletic': Das ergab sich von allein. Der Gedanke war: Es dürfen diese Äcker - unter denen noch Tausende Tote liegen - nicht weiter Äcker bleiben, sie müssen irgendwie zu Gottesäckern werden. Am 7. November 1997 hielten wir die erste Gedenkfeier in Rudolfsgnad und hofften, im nächsten Jahr schon vor der Gedenktafel zusammenkommen zu können. Das haben wir auch geschafft.

dieFurche: Wo liegen die Schwierigkeiten Ihrer Arbeit? Bei der Feststellung von Massengräbern, bei der Aufstellung von Gedenktafeln?

Ziletic': Das größte Problem ist die Ahnungslosigkeit der Menschen. Man hat sich bisher ausgeschwiegen. In Rudolfsgnad hatte sich herumgesprochen, was geschehen war. Anderswo hatten die Menschen keine Ahnung.

dieFurche: Wie gingen Sie vor?

Ziletic': Wir von der Gesellschaft für serbisch-deutsche Zusammenarbeit taten uns zusammen mit ähnlichen Vereinen in Novi Sad, Subotica und Pancevo, bildeten eine Arbeitsgruppe und planen nun nach Rudolfsgnad auch in Jarek und Gakovo ähnliche Tafeln aufzustellen, weitere sollen folgen. Das Buch von Nenad Stefanovic', "Jedan svet na Dunavu" (Ein Volk an der Donau), Interviews mit zwölf in Deutschland und Österreich lebenden Donauschwaben, haben wir in verschiedenen Orten präsentiert. Das hat mit dazu beigetragen, daß das Problem überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Die deutsche Übersetzung soll demnächst herauskommen.

dieFurche: Wie war das Echo?

Ziletic': Da waren Zuhörer, die selbst noch als Kinder im Lager waren, andere, die von ihren Eltern davon gehört hatten - und dann die Ahnungslosen, die Menschen aus der dritten Kolonisation nach dem Zweiten Weltkrieg, die gar nichts darüber wußten.

dieFurche: Sie sagen: dritte Kolonisation - das ist die nach dem Zweiten Weltkrieg, die Ansiedlung der Titopartisanen ...

Ziletic': Ich möchte es anders formulieren: Es waren zwar viele Partisanen darunter, aber es waren im allgemeinen Menschen aus dem ehemaligen "Großkroatien", wie es nach der Zerschlagung des Königreichs 1941 entstanden war. Die Ansiedler kamen aus Gebieten, in denen es ethnische Säuberungen gegeben hatte, nicht aus dem ethnisch einheitlichen Serbien.

dieFurche: Die zweite Kolonisation war die nach 1919?

Ziletic': Das waren die verdienten Krieger des Ersten Weltkriegs, es gab aber keine Vertreibung, keine Enteignungen. Im Zug der Agrarreform, die alle Großgrundbesitzer traf, deutsche wie serbische und ungarische, konnten die Zuwanderer angesiedelt werden.

dieFurche: Wie weit finden Sie Zustimmung bei den Serben?

Ziletic': Es gibt natürlich Leute, die meinen, alle Donauschwaben hätten sich schuldig gemacht. Da braucht es viel Aufklärung, etwa darüber, daß nur ein kleiner Teil der 27.000 donauschwäbischen Angehörigen der Waffen-SS sich freiwillig gemeldet hatten.

dieFurche: Ihre These lautet, daß die Auseinandersetzungen zwischen Serben und Donauschwaben auf Rechnung der Kommunisten gehen. Sehen Sie nicht auch nationalistische Elemente?

Ziletic': Unsere Menschen haben die Sorge, daß diese Tragödie uns Serben angehängt wird. Wir müssen ihnen klarmachen, daß alles von oben angeordnet war. Die Führung unter Tito wollte an das große Vermögen der Donauschwaben herankommen. Man wollte zwar Deutsche, Italiener, anfangs auch Ungarn, aus dem Land treiben, aber weniger aus serbischem Nationalismus als im Sinn einer panslawischen Idee. Im Vordergrund aber stand das Vermögen. Die Deutschen konnte Tito schon 1944 enteignen, sie waren vogelfrei. Die ihm feindlichen Kroaten, die königstreuen Serben erst nach Kriegsende.

dieFurche: Die jugoslawischen Lager galten als besonders grausam. Wo sehen Sie die Ursachen dafür?

Ziletic': Die Donauschwaben wurden nicht offiziell vertrieben wie Sudetendeutsche und Schlesier, sondern in Lagern zusammengepfercht. Man hat sie nicht vergast; erschossen wurden vor allem die rückkehrenden Soldaten. Die Lager für die Zivilbevölkerung waren bewußt so grausam, damit sie fliehen mußten, sofern sie nicht verhungert sind.

dieFurche: Jedes geschichtliche Ereignis hat seine Wurzeln in der Vergangenheit. Wie weit sehen Sie die Wurzeln des serbisch-deutschen Antagonismus zurückreichen?

Ziletic': Georg Wildmann - einer der donauschwäbischen Historiker der Gegenwart - führt aus, daß man den österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 als Verrat empfunden hat, bei Donauschwaben wie Serben, gegenüber dem Versprechen Maria Theresias, der Bevölkerung des Banat die direkte Unterstellung unter das Kaiserhaus zu garantieren. Mit der Unterstellung unter Ungarn, mit dem Madjarisierungsdruck, begannen die Serben nach Rußland, die Donauschwaben nach Deutschland zu schauen. Aus lokalen Reibereien entstand dann der Zündstoff für die Demagogen.

Das Gespräch führte Felix Gamillscheg.

Zur Person Von der Sprache zum Verständnis Zoran Ziletic', Jahrgang 1933, war Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Belgrad und Direktor des Germanistischen Instituts - seit 1. Oktober emeritiert. Mit vier Kollegen gab er 1986 die vergleichende Grammatik Serbokroatisch-Deutsch heraus, die erste komplette Darstellung des modernen Deutschen gegenüber dem Serbokroatischen der achtziger Jahre, die erste vergleichende Grammatik einer slawischen mit einer germanischen Sprache. Ein Forschungsschwerpunkt ist die Ansiedlung der Donauschwaben im Banat und der Bacska, ein Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit die deutschen Spuren im Donauraum seit dem Mittelalter.

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