56 Jahre Schweigen sind genug

19451960198020002020

Rudolf Schusters Vorstoß, Schuld im Zusammenhang mit der Vertreibung Deutscher einzugestehen, wurde schnell dementiert. Dagegen zeichnet sich in Serbien eine Wende in dieser Frage ab.

19451960198020002020

Rudolf Schusters Vorstoß, Schuld im Zusammenhang mit der Vertreibung Deutscher einzugestehen, wurde schnell dementiert. Dagegen zeichnet sich in Serbien eine Wende in dieser Frage ab.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Aufregung war groß, eine unerwartete Wende der offiziellen slowakischen Position zur Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus Mitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich ab: Staatspräsident Rudolf Schuster hatte in einer Grußbotschaft an die Sudetendeutsche Akademie in diesem Zusammenhang von einem "tragischen Irrtum" gesprochen und forderte die zuständigen Länder auf, ihre Schuld zu bekennen. Einen Tag nach Veröffentlichung dieser überraschenden Meldung folgte aber schon das Dementi: Slowakiens Staatspräsident stellt die "Abschiebung" der deutschsprachigen Bevölkerung aufgrund der Potsdamer Abkommen der damaligen Allierten nicht in Frage, hieß es. Über den Inhalt der Grußbotschaft sei er nicht informiert gewesen.

In der Slowakei bleibt demnach offiziell alles beim Alten. Dagegen zeichnet sich nach dem Wahlsieg der Opposition in Serbien ein grundsätzlicher Stimmungswandel bezüglich der Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte ab. Bislang ein Tabu, werden die Verbrechen der Titopartisanen an den Donauschwaben von den Medien in der Woiwodina derzeit heftig diskutiert.

Es war das bis dahin kräftigste Zeichen einer Wende, als die serbische Tageszeitung Danas aus Novisad/Neusatz Mitte letzten Monats eine ganze Seite unter die Schlagzeile "Tabu-Thema: Die Leiden der Woiwodinaer Deutschen Ende 1944" setzte. Im Artikel ging es um das sogenannte "Geheimnis der Parzelle 44" in Subotica, einem Schauplatz von Massakern, um Massenvergewaltigungen im Stadtzentrum von Kikinda und um die Todeslager, unter denen Rudolfsgnad, das heutige Knjicanin, den übelsten Ruf genoss.

56 Jahre lang durfte nicht darüber gesprochen, geschweige denn geschrieben werden. Auch westliche Regierungen hielten sich an das Tabu, um nicht den umhätschelten Machthaber Tito zu verstören. Und selbst zehn Jahre nach dem Zerfall Titojugoslawiens halten die Nachfolgestaaten an den AVNOJ-Beschlüssen fest, die die "Rechtsgrundlage" des "kommunistischen Genozids an den Deutschen" (Danas) bildeten.

Erste Zeichen einer Auflockerung gab es, als an verschiedenen Orten der Woiwodina Gesellschaften gegründet wurden, die sich die Zusammenarbeit zwischen Serben und den noch verbliebenen Donauschwaben zum Ziel setzten. Sie begannen, Schritt für Schritt, die verwilderten Massengräber zu pflegen, auf den Friedhöfen Gedenktafeln aufzustellen, zu Allerseelen der Toten zu gedenken. Im November vergangenen Jahres dürfte es aber wohl das erste Mal gewesen sein, dass Rudolf Weiss, der Vorsitzende des "Volksverbandes" in Subotica bei dieser Feier Zahlen nannte, die im Westen längst bekannt waren, aber an Ort und Stelle nie erwähnt werden durften: 110.000 Zivilpersonen, darunter 6000 Kinder und Jugendliche kamen in der Woiwodina zwischen 1944 und 1948 ums Leben, erschossen, verhungert, an Krankheiten gestorben. Nur deswegen, weil sie nach Ansicht der Partisanen, dem "falschen Volk" angehörten.

Als man im September 1998 in Vrsac/Werschetz eine Ausstellung über die Geschichte der Stadt mit ihrer dreifachen nationalen Identität - deutsch, serbisch, ungarisch - zeigte; da wurde das große Interesse der jungen Menschen deutlich, die nie etwas über die vertriebenen oder ermordeten Mitbürger gehört hatten. Aber den deutschen Bildtexten eine adäquate serbische Übersetzung beizufügen, war unmöglich - dort wo die Bilder neben den Maßnahmen der deutschen Besatzung auch die Taten der Partisanen darstellten.

Das hat sich geändert. Im November 2000 wurden nicht nur in Rudolfsgnad und Gakovo, sondern auch in Sombor, Apatin und Subotica Kränze auf den Massengräbern niedergelegt und auch Vertreter der Provinzregierung der Woiwodina nahmen an den Gedenkfeiern teil. Der Vorsitzende des Provinzparlaments, Nenad Canak, kündigte die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Erforschung der Kriegsverbrechen in der Woiwodina ab 1940 und später - also von deutscher wie von jugoslawischer Seite - an.

Ethnische Minderheit Das Medienecho war lebhaft. Nicht nur die örtlichen Radio- und Fernsehsender, auch TV-Belgrad berichtete, ebenso die Zeitungen der ungarischen Minderheit. Szabad Het Nap aus Subotica fragte: "Gibt es Angaben über die Zahl der Opfer?" und mahnte: "Die Vergangenheit darf man nicht vergessen!"

Selbst der serbische Bulevar aus Neusatz stellte fest: "Die Frage, die länger als ein halbes Jahrhundert systematisch unter den Teppich gekehrt wurde, die Frage der ethnischen Säuberung der Woiwodina, wird dieser Tage aufgeworfen. Viele werden überrascht sein, wenn sie hören, dass bis zum Zweiten Weltkrieg eine halbe Million Deutsche in Jugoslawien lebte - und 1991 waren es nur rund 4.000. Die Mehrheit wurde vertrieben und viele liegen in Massengräbern."

Die AVNOJ-Beschlüsse boten nicht nur die Grundlage für die Vernichtung oder Vertreibung der Donauschwaben, sondern mehr noch für die entschädigungslose Enteignung ihres Vermögens. "Plünderung bleibt auch nach 56 Jahren Plünderung," wird Rudolf Weiss vom Volksverband im oben erwähnten Danas-Bericht zitiert. "Wir müssen aber realistisch sein: es ist heute unmöglich, alles Vermögen zurückzubekommen. Aber man kann zumindest sagen, dass es Unrecht war!"

Das genügt aber manchen schon nicht mehr. In Neusatz forderte - nach einem Bericht der ungarischsprachigen Zeitung Magyar Szo - eine neugegründeten "Liga für den Schutz des Privateigentums und der Menschenrechte" von der neuen Regierung ein Gesetz über die Rückgabe des 1944 beschlagnahmten Vermögens und die Rehabilitierung der geschädigten Familien. Das gilt wohl zunächst für jene Jugoslawen, die einst als Königstreue von den Kommunisten verfolgt wurden. Und eine weitere Forderung wird nach dem Sturz Milosevi'cs an die neue Führung in Belgrad gerichtet: Die Anerkennung der 4.000 Donauschwaben als ethnische Minderheit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung