Maler und "Wundertier" asdasd

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Rolf Haybach: Diese Biographie war fällig!

Zwischen der Wiener Medizin und den Künsten besteht ein altes Nahverhältnis. Ärzte musizieren, dichten, malen, nun schrieb die Ärztin Gerlinde Michels ein Buch über Rudolf Haybach. Diese Biographie war längst fällig. Haybach war nicht nur ein spät berufener, aber interessanter Maler. Als erster und längere Zeit einziger Verleger Heimito von Doderers war er auch das, was der Untertitel des Buches über ihn sagt: "Eine Schlüsselfigur der österreichischen Kulturgeschichte". (Nach der Liquidierung seines eigenen Verlages motivierte er den Verlag Beck, Heimito von Doderer zu publizieren.)

Gerlinde Michels kam in sehr jungen Jahren in Haybachs Freundeskreis und lernte ihn - er war um 73 Jahre älter als seine spätere Biographin - als vitale, kreative Persönlichkeit kennen. Er war ein Mann von ungewöhnlicher Vielseitigkeit und starker Ausstrahlung, tatkräftig, großzügig, dabei für sich selbst völlig bedürfnislos und wurde mit diesen Eigenschaften für viele junge Menschen zu einer Art "Wundertier". Freunde und Zeitzeugen mehrerer Generationen wurden zitiert, befragt oder schrieben Beiträge, weshalb Michels als Herausgeberin zeichnet. Ihr Werk enthält Texte von Albert Paris Gütersloh, Murray G. Hall, Otmar Rychlik und Erinnerungen von Bruno Dallansky, Herbert Lederer, Hilde Sochor, Paulus Manker, Angela Pauser, Rudolf Pritz, Hans Staudacher, Wander Bertoni und vielen anderen. Das Buch ist gründlich recherchiert und mit Engagement, Lebendigkeit und Wärme geschrieben.

Gewesen war der 1886 geborene Haybach schon vieles, Bauingenieur, österreichischer Weltkriegsoffizier, Maler, Graphiker, Drucker, Romancier, Verleger, Theaterdirektor, Freund ungezählter noch unberühmter späterer Berühmtheiten, als er in den frühen fünfziger Jahren Generalsekretär der Wiener Secession wurde und deren Wiederaufbau als Organisator, aber auch eigenhändig mit Krampen und Schaufel vorantrieb. Ein großer Teil des Gebäudes war zerstört und der Abriss von der Gemeinde Wien bereits allen Ernstes beschlossen. Dass die Pläne, die an Stelle der Secession eine Verkehrsfläche vorsahen, wieder geändert wurden, erreichten vor allem Haybach und Viktor Matejka. Auf dem Dachboden lagerte Haybach Baumaterial, darunter manch aus dem Schutt der Bombenruinen geklaubtes Undefinierbares, wovon nur der gelernte Bauingenieur wusste, wozu es sich noch eignen mochte. Aber auch der junge Maler Hans Staudacher durfte auf dem im Winter eiskalten Dachboden längere Zeit wohnen.

Auch der alte Haybach sah zugige, notdürftig adaptierte Dachböden als vollwertige Wohnstätten an und hat längere Zeit in der Parisergasse in einem gehaust, wobei die Holztrame als Sitzgelegenheit, Bücher-, Geschirr- und Kleiderablage dienten, "im Sommer heiß und im Winter saukalt, teilweise lag der Schnee im Zimmer", wird Paulus Manker zitiert, aber man "hatte den Eindruck, es geht ihm gut, er lebt nicht im Luxus, aber er ist eins mit sich selbst." Paulus Manker weiter: "Bei Haybach war alles ungeschminkt, unorthodox, archaisch, und das ist natürlich für jedes Kind aufregend. ... Die Unordnung, die uns vorgeworfen wurde, wurde hier von einem Erwachsenen gelebt."

Durch seine radikale Unangepasstheit wurde er für viele zur Bezugsperson. Und er genoß natürlich seine Wirkung auf junge Menschen, einsam war er auf diese Weise nie. Das Geheimnis seiner Wirkung war seine Authentizität, aber auch der verwirrende Reichtum seiner Biographie. Dank Gerlinde Michels bekommt plötzlich vieles Kontur, was im Nebel lag.

Haybachs prägendes Erlebnis waren eine schwere Verwundung im Ersten Weltkrieg und die lange russische Kriegsgefangenschaft. In Krasnojarsk baute er aus Holz seine erste Druckmaschine, hier beschloss er, für die Kunst zu leben, nicht von der Kunst: Sein Berufsbild war der Mittler, der den Künstlern Publikationsmöglichkeiten verschafft. So wurde er zu einer wichtigen Figur des Wiener Kunst- und Literaturbetriebes der Zwischenkriegszeit. In der NS-Zeit leitete er ein Theater und bot Leon Epp und Gustav Manker Arbeitsmöglichkeiten. Dass er einige Zeit auf die Nazis hereingefallen war, hing ihm nicht allzu lange nach. Nach dem Krieg "durfte" er für die sowjetische Kommandantur, die im beschlagnahmten Gebäude des Stadtschulrates bei der Bellaria untergebracht war, ein riesiges Stalinporträt malen.

Gezeichnet und aquarelliert hatte Haybach schon immer. Doch erst im Alter konnte er sich vom Einfluss seines Freundes Albert Paris Gütersloh lösen. Damit wurde der Weg zu einer erstaunlichen eigenständigen Entwicklung als Maler frei. Nun entstanden innerhalb eines Jahrzehnts die Landschaftsbilder, mit denen Haybach in Erinnerung bleibt. "Ein Geschenk von Harmonie und Schönheit" nannten wir sie im Jänner 1982 anläßlich von Haybachs 95. Geburtstag in der "Furche": "Seine Antriebskräfte sind eine so tiefe wie unkonventionelle Frömmigkeit und ein eng mit ihr verbundenes, spontanes, nur scheinbar ,naives', als ,Geführtwerden' verstandenes Schaffen. ,Ich mache keine Abbilder, ich habe mit meinen Objekten, mit den Lebewesen, sei es ein Haus oder ein Baum, ein Zwiegespräch, wir schaffen ein Dokument.'" Nachzulesen bei Michels.

Der Gesamteindruck dieser Bilder ist Großflächigkeit, Einfachheit, Klarheit. Dem genaueren Hinsehen erschließt sich das ganze Raffinement des starken Kolorits, das Spiel mit den Formen. Das Buch ist hervorragend illustriert, nicht nur im Bildteil, sondern durchgehend, mit Arbeiten Haybachs, seiner Zeitgenossen und Freunde und vielen historischen Fotos. Dieser Bildband ist eine Fundgrube für jeden, der die Zwischenkriegszeit in Wien aus einem weiteren Blickwinkel kennenlernen möchte.

RUDOLF HAYBACH 1886 - 1983

Eine Schlüsselfigur der österreichischen Kulturgeschichte

Böhlau Verlag, Wien 2001

224 Seiten, Ln., öS 510,-/e 37.04

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