"Realismus ist im Kino nicht möglich"

Werbung
Werbung
Werbung

Am 3. Juni wird er 86: Alain Resnais ist der unbestrittene Altmeister des französischen Films - und immer noch erfolgreich: Sein neuestes Leinwandwerk "Herzen - Cœurs", das dieser Tage hierzulande ins Kino kommt, erhielt 2006 bei den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen für die beste Regie.

Alain Resnais wurde zu einer Zeit groß, als die Nouvelle Vague das Filmemachen veränderte. Und doch gehörte der 1922 in Vannes, Frankreich, geborene Regisseur niemals wirklich zu dieser Strömung. Nicht nur, dass Resnais gut eine Dekade älter war als Godard, Chabrol oder Truffaut. Auch seine damaligen Arbeiten - von Hiroshima, mon amour (1959, Drehbuch: Marguerite Duras) über Letztes Jahr in Marienbad (1961, Drehbuch: Alain Robbe-Grillet) bis Je t'aime, je t'aime (1968) - ließen sich nie wirklich mit der Nouvelle Vague verbinden. Viel mehr gemein hatte Resnais mit Agnès Varda und Filmemachern, die dem Modernismus nahestanden. Außerdem war er niemals "Auteur", sondern verfilmte meist die Stoffe fremder Schriftsteller.

Herzen, der neueste Film von Resnais, demnächst 85, reiht sich da ein in sein komplexes Œuvre, ohne aus dem Ideenreichtum früherer Resnais-Filme zu schöpfen. Die Geschichte wurde ersonnen vom britischen Bühnenautor Alan Ayckbourn, der Resnais bereits 1993 zu seinem Film Smoking/No Smoking inspirierte. Ein Reigen um sechs liebeshungrige Herzen, die auf der Suche nach dem Glück auch Rückschläge hinnehmen müssen. Die episodenhaft erzählten Geschichten rotieren um einen Makler und eine Sekretärin (André Dussolier und Sabine Azéma), die sich beinahe zufällig ineinander verlieben, um ein Ehepaar (Lambert Wilson und Laura Morante), das gerade dabei ist, sich auseinanderzuleben, und um einen Barkeeper und eine liebessehnsüchtige Frau (Pierre Arditi und Isabelle Carré). Freilich hängen die bruchstückhaft montierten Ereignisse auch sachte zusammen, wenngleich es Resnais' Bestreben ist, über universellere Erkenntnisse zu referieren: Allen gemein ist, dass sie die Hoffnung auf Liebe und die Illusion perfekten Glücks nicht aufgegeben haben.

Die Theatralik ist auch bei Herzen zentrales Stilelement: Gerne gönnt Resnais seinen Darstellern große Gesten, die Szenen finden allesamt in geschlossenen Räumen statt, dazwischen verdecken Vorhänge einen Teil des Geschehens. Künstlichkeit in Inszenierung und Spiel, das ist Resnais' liebste filmische Form. Für Herzen erhielt Alain Resnais 2006 den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig für die beste Regie. Matthias Greuling

Herzen - Cœurs

F/I 2006, Regie: Alain Resnais. Mit Sabine Azéma, Isabelle Carré, Pierre Arditi, André Dussollier. Verl.: Polyfilm. 120 Min.

Die Furche: Monsieur Resnais, Ihre Filme wirken meist sehr theatralisch. Ihr neuer Film "Herzen" bildet da stilistisch keine Ausnahme.

Alain Resnais: Vielleicht hat es damit zu tun: Wenn Sie ins Theater gehen, dann wissen Sie, dass das, was Sie zu sehen bekommen, Schauspieler sind. Darsteller, die sich auf einem künstlichen Set bewegen. Es ist ein plastischer Zugang, eine ganz und gar plastische Erfahrung - ähnlich wie in der Oper. Ich mag es, ins Kino zu gehen und die Konventionen der kinematografischen Kunst zu erkennen. Ich mag, wenn man erkennt, dass es sich dabei nicht um Realität handelt. Ich glaube, Realismus ist im Kino gar nicht möglich.

Die Furche: Als Sie 1959 Ihren Film "Hiroshima, mon amour" drehten, kam gerade die Nouvelle Vague auf, die von einem neuen Geist des Realismus und einem neuen Zugang zum Filmemachen geprägt war. Wie standen Sie zu dieser Richtung?

Resnais: Ich verstand mich gut mit Truffaut, Rivette, Chabrol, Rohmer oder Godard. Ich gehörte aber nicht dazu, weil ich zehn Jahre älter war - eine andere Generation. Das Neue und Frische an der Nouvelle Vague war, dass diese Filmemacher auch die Autoren ihrer Filme waren, und dass sie nicht erst bei zehn Filmen als Assistenten arbeiteten, ehe sie erstmals Regie führten. Was zählte, war, lediglich genügend Filme gesehen zu haben. Bei mir war es ähnlich: Ich war nur ein einziges Mal Assistent, ehe ich selbst die Kommandos gab.

Die Furche: Zurück zum Realismus. Sie glauben also, realistische Filme sind unmöglich?

Resnais: Genau. Deshalb ist es für mich auch nötig, sich der klassischen Konventionen des Films und des Theaters zu bedienen. Und ich nutze sie auch im Text. Wenn ich am Dialog eines Films arbeite, möchte ich, dass er ganz speziell klingt. Ich will geradezu, dass er nicht natürlich klingt.

Die Furche: Wenn Ihnen der theatralische Klang der Dialoge so wichtig ist, gibt es denn da noch Raum für Improvisation?

Resnais: Es gibt bei mir vollkommene Freiheit für Improvisation - während der Proben. Normalerweise finden die Proben mindestens einen Monat vor Drehbeginn statt. Ich höre dabei immer auf die Vorschläge meiner Darsteller. Wenn sie stichhaltig sind, dann lasse ich Dialoge durchaus ändern. Aber beim Drehen selbst gibt es keine Änderungen mehr. In dieser Sache bin ich sehr streng - vielleicht auch ein wenig manisch.

Die Furche: Finden Sie nicht, dass das Stück von Alan Ayckbourn, das "Herzen" zugrunde liegt, auch etwas von einer Seifenoper hat?

Resnais: Natürlich. Schon anhand der Charaktere hat man das Gefühl, dass es sich um eine Soap handelt. Seifenopern reflektieren doch das tägliche Leben. Wir fragen uns alle permanent: Mit wem leben wir? Wer ist das, mit dem wir uns unterhalten? Das reflektiere ich in meinen Filmen.

Die Furche: "Herzen" handelt auch von Kommunikationsproblemen, Leiden und Einsamkeit. Gehört das zum Leben des modernen Menschen dazu?

Resnais: Lassen Sie mich das Problem leicht verändern: Ich würde sagen, dass es chemische Verbindungen gibt, die einen Effekt auf unser Gehirn haben, und das bringt eine konstante Veränderung in unserem Lifestyle, unserem Denken mit sich. Man könnte sagen, dass Tiere - vielleicht mit der Ausnahme von Katzen - ihr ganzes Leben lang ein und denselben Charakter haben. Menschen hingegen verändern sich - aufgrund ihres Bewusstseins. Dem Bewusstsein, sterben zu müssen. Sie ändern wieder und wieder ihre Stimmungen, ihre Launen. Und gerade diese Veränderungen bringen Probleme mit sich. Das nenne ich das "menschliche Verhängnis". Das Leben bringt Momente des vollkommenen Glücks und Freude mit sich - aber auch ebenso viele Momente totaler Verzweiflung.

Die Furche: Warum haben Sie die Drehbücher ihrer Filme nie selbst verfasst?

Resnais: Weil das Regieführen schon sehr anstrengend ist. (lacht)

Die Furche: Aber Sie haben immer wieder prominente Autoren gewonnen.

Resnais: Ja, obwohl viele zu dem Zeitpunkt unserer Zusammenarbeit noch gar nicht bekannt waren. Marguerite Duras hatte damals großes Interesse, das Drehbuch zu Hiroshima, mon amour zu schreiben. Robbe-Grillet war seinerzeit auch noch nicht so berühmt, als er Letztes Jahr in Marienbad schrieb. Ich hatte wohl immer eine glückliche Hand bei der Auswahl meiner Autoren.

Die Furche: Sie verwenden in "Herzen" sehr oft Vorhänge - um Dinge, Orte oder Personen zu trennen. Das ist wieder etwas Theatralisches. Hat Regieführen auch mit Verbergen zu tun?

Resnais: Ja. Als ich das Drehbuch zu diesem Film gelesen habe, war ich begeistert von der Idee, dass die Figuren versuchen, viel zu verstecken, viel zu lügen. Durch dieses Verstecken und Lügen werden sie voneinander getrennt. Was aber viel wichtiger ist: Wenn Figuren im Film plötzlich verschwinden und viel später wieder auftauchen, dann hat das Publikum eine große Freude an diesem Wiedersehen. Ich habe am Kino die Off-Screen-Arbeit immer besonders gemocht. Es ist für mich sehr wichtig, dass ein Teil der Handlung außerhalb des sichtbaren Bildes passiert …

Die Furche: Sie sind von Comics fasziniert. Sehen Sie sich auch Comicverfilmungen an?

Resnais: Comics sind für mich ein künstlerisches Genre, das ich respektiere und schätze. Ich war immer sehr von den Dialogen in Stan Lees Comics der Marvel Reihe (etwa Spider-Man, Anm.) fasziniert. Der Sound, den er produziert, ist sehr typisch, sehr persönlich. Für mich ist es eine Tatsache, dass der Dialog-Schreiber in einem Comic ebenso wichtig ist wie der Zeichner. Ich muss gestehen, dass ich kein großer Fan von Comicverfilmungen bin - wobei jemand wie Tim Burton Batman zu einem großartigen Film gemacht hat. Das hätte ich nicht geschafft. Spider-Man habe ich bislang noch nicht gesehen. Ich zweifle allerdings auch etwas an der Umsetzung, da das Drehbuch nicht von Stan Lee geschrieben wurde.

Die Furche: Schauen Sie sich Ihre alten Filme noch hin und wieder an?

Resnais: Nein, überhaupt nicht. Denn ich habe so viel Zeit mit ihnen am Schneidetisch verbracht, dass ich das gar nicht mehr aushalte. Außerdem wären da drin so viele Schauspieler zu sehen, die nicht mehr am Leben sind - und das wäre wie ein Friedhofsbesuch. Lieber gehe ich ins Kino und sehe mir neue Filme an.

Das Gespräch führte Matthias Greuling

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung