Schiller nicht zu retten

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Schillers "Jungfrau von Orleans" kann auch am Burgtheater nicht mehr entstaubt werden.

Eine Staubwolke sprüht aus der Schärpe des Königs, eine zweite aus dem Pelzmantel seiner Geliebten. Der Staub, der das Publikum des Wiener Burgtheaters unfreiwillig erheiterte, stammt wohl direkt aus Friedrich Schillers romantischer Tragödie "Die Jungfrau von Orleans", die da als vermeintlicher Klassiker auf eine Bühne ersten Ranges gehievt wurde. Weder in der im Dezember von Literaturkennern im Magazin profil erstellten Liste der "50 Klassiker fürs Leben", noch in dem kurz darauf vom Hauptverband des österreichischen Buchhandels, der ORF-Sendung "Treffpunkt Kultur" und profil initiierten Publikumswahl eines Literaturkanons war Schiller vertreten. Dass er, dessen Name an der Fassade des ehemaligen Hofburgtheaters neben dem von Goethe an prominentester Stelle prangt, zu Recht nicht mehr zu den bedeutendsten Dichtern gezählt wird, hat die Aufführung am Burgtheater unter Aufgebot - nein: Verschwendung - erstklassiger Mimen deutlich vor Augen geführt.

Was soll man heute bloß mit einer Figur wie der Johanna anfangen? - Eine Jungfrau, von Gott gesandt, ihr Vaterland zu retten, die dem niederträchtigen Vorwurf der Hexerei nicht entgegnen kann: "Ich bin unschuldig!", weil sie sich schuldig fühlt, schuldig des ungeheuren Vergehens, Liebe zu einem Menschen empfunden zu haben. Karoline Eichhorn müht sich vergebens ab an dieser vom Hier und Jetzt Lichtjahre entfernten Figur, manchmal blitzt zwar eine heutige, starke Frau durch, doch mehr als diese kurzen Schimmer lässt Schillers Text nicht zu. Auch als Kritik an religiösem Fanatismus und Fundamentalismus kann "Die Jungfrau von Orleans" ohne schwerwiegende Eingriffe in das Drama nicht verstanden werden, dazu ist Johanna eine allzu sympathische Figur, dazu erfährt man allzu wenig von den Ursachen und Motiven für ihr plötzlich ausbrechendes Sendungsbewusstsein und das gnadenlose Festhalten an ihrem Ziel.

Auch Regisseurin Karin Beier konnte Schillers Werk nicht retten. Was nutzt - um dem martialischen Hintergrund des Stückes gerecht zu werden - ein Sieg an ein paar Nebenfronten, wenn die große Schlacht aufgrund minderwertigen Materials von vorneherein verloren ist? Sehr genau zeichnet sie die Proponenten des unseligen Machtgespinstes, das wie Mehltau über dem Frankreich des 15. Jahrhunderts liegt: die englischen Feldherren Talbot (Peter Simonischek) und Lionel (Johannes Krisch), den Herzog von Burgund (Cornelius Obonya), die rachsüchtige Königinmutter (Barbara Petritsch). Hierbei kommen Beier die Schillerschen Qualitäten in der Schilderung von Beziehungsgeflechten durchaus entgegen.

Szenen überzeitlicher Gültigkeit bleiben Einzelfälle: der neronische Auftritt des vor der politischen Realität in die Welt der schönen Künste fliehenden Königs Karl VII. (Nicholas Ofczarek); die sprachlose Freude seiner Geliebten Agnes Sorel (Sylvie Rohrer) über den Sieg gegen die Engländer; das Sterben des Vernunftmenschen Talbot, der die von Johanna ausgelöste irrationale Raserei nicht zu verstehen vermag; die Anklage des verblendeten, die Banalität des Bösen trefflichst verkörpernden Vaters (Urs Hefti); und das vergebliche Flehen des Engländers Montgomery (Rafael Schuchter) um sein Leben. In diesen Momenten lebt Schiller noch, ansonsten ist er so tot wie seine Johanna, die nicht am Scheiterhaufen, sondern in der Schlacht ihr Leben lässt.

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