Werbung
Werbung
Werbung

Als präzise Bestandsaufnahme der Bandbreite zwischenmenschlicher Beziehungen verliert "Das weite Land" auch heute nicht an Gültigkeit.

Schnitzlers weites Land der Seele - bei den Salzburger Festspielen ist es ein geräumiger Bunker aus mattem Stein, durch dessen Sehschlitz ein märchenhaft schönes Licht in das Innere fällt. Doch Regisseurin Andrea Breth lässt keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Sehnsucht erweckenden Schein nur um eine Schimäre handeln kann: Zu abgeklärt, zu lebenserfahren sind die Eingeschlossenen, um sich noch irgendwelchen Illusionen hinzugeben, selbst das Ungestüm und die Naivität der Jugend wirken nur wie eine aus Pflichtbewusstsein übernommene Rolle.

Am Salzburger Landestheater ist "Das wei-te Land" von Arthur Schnitzler eine kühle, präzise Bestandsaufnahme der Bandbreite zwischenmenschlicher Beziehungen in einer Gesellschaft, deren Mitglieder ihre Leidenschaften vergebens mit den gesellschaftlichen Normen in Einklang zu bringen trachten. Es ist eine sehr heutige Gesellschaft, die sich mit schicken Rouleaus und halbtransparenten Schiebewänden sehr stylish in ihrem Bunker eingerichtet hat (Bühne: Erich Wonder), wäre da nicht der Anachronismus des Duells.

Die Angelpunkte des komplizierten Beziehungsgeflechts bilden der Fabrikant Friedrich Hofreiter und seine Frau Genia. Er - herrlich manieriert von Sven-Eric Bechtolf verkörpert - ein näselnder, gliederschlenkernder, gelangweilter Lebemann, sie (Corinna Kirchhoff) eine anämische, vor hohlem Leid triefende Madame. Affären sind selbstverständlich für sie, deren Ehe nur noch durch die Konvention und den - zumindest in der dritten Aufführung - nicht in Erscheinung tretenden Sohn Percy zusammengehalten wird. Gerade hat Hofreiter einen Schlussstrich unter die Affäre mit der simplen, aber intensiv empfindenden Bankiersgattin Adele (Andrea Clausen) gesetzt, da wirft er schon sein Auge auf die junge Erna (Birgit Minichmayr), kein unschuldiges Mädel, sondern eine abgeklärte junge Frau, die mit dem unglücklichen Doktor Mauer (Werner Wölbern) Katz und Maus spielt. Erna hingegen, die gerade einen jungen Pianisten in den Tod getrieben hat, gibt sich dem forschen Fähnrich Otto (Johannes Zirner) hin. Fatal endet das Ganze nur deshalb, weil Hofreiter das Spiel einfach satt hat.

Das Ensemble, darunter eine Reihe von Schauspielern des Wiener Burgtheaters, glänzt bis in die kleinste Rolle: Beeindruckend Angela Schmid als das Verhängnis ahnende Schauspielerin, wunderbar Elisabeth Orth als zwischen Ahnungslosigkeit und Empörung schwankende Frau Wahl, köstlich Cornelius Obonya als von niemandem ernst genommener Paul Kreindl.

Den von manchen vermissten "Wiener Ton" hat Breth dieser Aufführung ausgetrieben. Warum auch nicht? Weltliteratur - und "Das weite Land" gehört zweifellos dazu - muss auch auf usbekisch, kirgisisch oder eben hochdeutsch funktionieren. Der Humor der Tragikomödie ist dadurch zwar trockener geworden, aber immerhin bleibt zum Gaudium des österreichischen Publikums die Figur des Parade-Piefkes Serknitz (Reinhard Firchow), die heute noch genauso gültig erscheint wie 1911: "Das ist so die österreichische Schlamperei. Da klagt ihr dann über den schlechten Fremdenverkehr. Ihr verdient die Gegend nicht, sag' ich."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung