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So war Furtwängler: kompromisslos enthusiastisch - aber auch zweifelnd, abwartend.

Wilhelm Furtwängler 1886-1954

Dirigent

Eine Mixtur aus ruhigmedialem Warten und unruhig-menschlicher Unentschlossenheit, Furtwänglers Überwindung des Zögerns, sein Charisma aus Lauterkeit und Hingabe gingen als lodernde Spannung in seine Kunst ein.

Natürlich beherrschte er seine Partituren hochprofessionell. Er hatte das Dirigieren von der Pieke, von der Provinz auf, in Zürich, Straßburg, Lübeck, Mannheim gelernt und war perfekter Profi. Den künstlerischen Machtansprüchen von Winifred Wagner 1933 in Bayreuth hielt Furtwängler zu Hitlers Verdruss öffentlich entgegen, sie sei im Musikbereich wie in der Frage von Sängerbesetzungen Dilettantin. Und solle den Mund halten.

Andererseits wollte er selber alles andere als glatter Perfektionist sein. Eine berühmte Anekdote berichtet, wie die Musiker ihn einmal baten, einen heiklen Einsatz klar herunterzuschlagen, damit keine Konfusion entstünde. Er tat das. Er dirigierte unumwunden deutlich. Der Einsatz kam perfekt. Strahlend fragten sie ihn, wie es ihm gefallen habe. "Überhaupt nicht", gab er zur Antwort, "ich fand es so scheußlich direkt."

So war Furtwängler. Auf der einen Seite kompromisslos enthusiastisch, auf der anderen zweifelnd und abwartend. Er entschied sich ungern. Über den Skizzen zu seinen Kompositionen steht oft ein "peut-etre" (vielleicht) ... Nun liegt es beim Charakterisieren der Kunst eines Dirigenten nahe, zu beschreiben, was er macht, entdeckt, hervorhebt. Doch mindestens ebenso wichtig wird beim großen Interpreten, was er unterlässt. Furtwängler muss ein zwingendes Bild der organischen Gestalt des Ganzen beseelt haben. Hört man die Probenmitschnitte, etwa wie er am 12. November 1948 in Stockholm die Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 erarbeitete, dann haben seine Anweisungen nichts zu tun mit entrücktem romantischem Subjektivismus.

Wider das "Fälschen"

Im Gegenteil: "Nein, ist nicht im Tempo", ruft er ins Orchester. "Ganz genau, ohne, senza rubato, genau im Takt bleiben", beschwört er die Flöte. "Kann noch stärker, brillanter", überfordert er die armen Violinen. Und später schimpft er, weil er den äußersten Einsatz vermisst und unterstellt, diese alten Schweden verstünden kein Deutsch: "Das ist kein Tutti, was man so markieren kann." Furtwängler lässt, um es verallgemeinernd zu sagen, die kleinen, naheliegenden Wirkungen aus. Alles Romantisieren und Sentimentalisieren nennt er schlicht "Fälschen". Andererseits weiß er auch: "Dem im Vollbesitz seiner seelischen Kräfte stehenden Menschen liegt Sentimentalität fern. Er hat daher auch keine Angst vor ihr und geht den Momenten wahren Ergriffenseins nicht aus dem Wege."

Wer freilich die Fähigkeit besitzt, sich so inständig auf die Lauterkeit seiner inneren Vorstellung vom Werk zu verlassen, wer keinen Effekten, Subtilitäten, Interessantheiten nachzujagen braucht - wer zudem an die Größe der ihm anvertrauten Symphonik so inbrünstig glaubt, ein solcher Genius musiziert unter Voraussetzungen, wie noch so große Kunstfertigkeit, Brillanz und Bemühung sie nie und nimmer zu erjagen vermögen.

Der Autor ist Kulturpublizist und Musikkritiker der "Süddeutschen Zeitung".

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