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Zum 50. Todestag von Wilhelm Furtwängler: Erinnerungen einer alten Bekannten.

Wer Wilhelm Furtwängler wirklich war, wusste niemand. Seine vielen widersprüchlichen Eigenschaften waren schwer unter einen Hut zu bringen. Der musikalische Souverän, der wie ein Gott gefeiert wurde, den die Philharmoniker "Jupiter" nannten, war als Privatmann oft scheu, unsicher, zögernd, voller Selbstzweifel. ...

Ein einziges Mal habe ich seinen Zorn erlebt, als er politischen Ärger hatte. Es war beängstigend. Er regte sich schrecklich auf wegen eines Konzerts, das er in einem Rüstungsbetrieb dirigieren sollte, natürlich zu Propagandazwecken. "Nein! Ich mache es nicht. Ich mache es nicht!" tobte er, während er mit langen Schritten das Hotelzimmer durchmaß und die Fäuste gegen die Schläfen presste.

Und dann hörte ich, dass er es doch gemacht hatte.

Nach jahrelangen Kämpfen, darunter ein zweistündiges Schreiduell mit Hitler auf dem Obersalzberg, hatte die Ohnmacht ihn eingeholt. Ihn, den Kompromisslosen mit dem fanatischen Machtwillen, wenn es um die Durchsetzung seiner Visionen ging - "Primadonna" deshalb von manchen gescholten, die nicht merkten, dass er ein Getriebener war. "Ich kann nicht anders!" schrieb er an einen Freund, lapidar und lutherisch.

Und jetzt: die pure Ohnmacht. Er hat sie hingenommen. Mit welchem Grimm, sieht man auf den Filmaufnahmen.

Aber er verließ die Heimat erst in letzter Minute, als er selber schon das Messer im Nacken hatte. Die Schweiz, wo er eben erst Triumphe gefeiert hatte, wollte ihn nicht einreisen lassen. Die Welt konnte sein Ausharren nicht verstehen, und er konnte die Welt nicht verstehen. Alte Freunde waren zu seinen Feinden geworden. Erschütternde Briefwechsel mit Bruno Walter, mit Thomas Mann.

Es gibt eine Schrift von Furtwängler über das "Irrationale in der Musik", leider verschollen. Irrationales gibt es auch bei Furtwängler. Was auch geschah - er glaubte unbeirrbar an ein besseres Deutschland im Reich der Musik wie an ein "Himmlisches Jerusalem".

Kürzlich fand ich ein Wort des Dirigenten Michael Gielen: "Furtwänglers Gesamterscheinung ist von der deutschen Irrationalität nicht ganz abzutrennen." ...

Furtwängler lebte in gewisser Weise gegen den Strich der Aufklärung. Er mochte nichts "Kopflastiges", war misstrauisch gegen die Intellektuellen (mit Ausnahmen, etwa Adorno. Die beiden schätzten sich sehr.) Dabei war er selber ein halber. Er war sehr kritisch, auch sich selbst gegenüber. "Ich bin ein polemischer Mensch", sagte er einmal. Er war ein Rebell von Jugend an, war ein genauer Analytiker, der Beethoven mit den Wurzeln ausgrub, und er dachte viel und schrieb viel.

Aber er konnte ganz naiv schwärmen und er konnte beten. Das unterschied ihn von ihnen. ...

Furtwängler war eine Ikone der Erhabenheit, und viele Studentenbuden zierte sein Bild. Für meine Kollegen war er der große "Apollonische", nicht zuletzt wegen seiner lichten, hohen Erscheinung und der harmonischen Gelassenheit, mit der er in der Öffentlichkeit auftrat. ...

Ein Biograph hat Furtwängler einen Utopisten genannt, der sich letztlich an seinen Illusionen gescheitert sah, insbesondere an der, die Menschen mit Musik bessern zu können. ...

In Berlin nannte man die Furtwängler-Konzerte "Gottesdienste für die Ausgebombten". Ich habe selber noch eines gehört. Diese inbrünstige Feierlichkeit am Rande des Sterbens, das hat sich eingegraben. Kurz darauf war auch die Philharmonie in Schutt und Asche. ...

Furtwänglers Tod am 30. November 1954 war ein Schock für die gesamte Musikwelt, bis Japan, bis Amerika. Er war erst im 68. Jahr.

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